Freitag, 29. März 2024

Archiv


Bedrohung durch den IT-Gau

IT.- Fällt irgendwo großflächig der Strom aus, führt das meist zu volkswirtschaftlichem Schaden in Millionenhöhe. Kaum erforscht ist, was für die vernetzte Welt ein Stromausfall bedeutet. An der FU Berlin sollen Sicherheitsexperten künftig nach Lösungen für derartige Probleme suchen.

Von Wolfgang Noelke | 27.03.2010
    Am Nachmittag des 21. April 2009 fiel wegen eines Softwarefehlers das gesamte Sprach-Mobilfunknetz der Telekom gleich mehrere Stunden lang aus. Betroffene merkten erst dann etwas vom Netzausfall, als sie selbst telefonieren wollten oder eine E-Mail vom Anrufer erhielten, denn die Datendienste funktionierten noch. Der volkswirtschaftliche Schaden des Netzausfalls, beispielsweise durch verpasste Termine, hielt sich in Grenzen.

    Ohne großen Schaden anzurichten, verschwand am Donnerstagmittag dieser Woche eine Stunde lang YouTube vom Netz. Millionen YouTube-Nutzer berichteten über den Kurznachrichtendienst Twitter, dass YouTube ausgefallen sei. Die Twitter-Server waren diesem plötzlichen Ansturm gewachsen, Mobilfunk-Basisstationen geraten jedoch schnell an ihre Kapazitätsgrenzen, wenn beispielsweise einige hundert Bahnfahrgäste gleichzeitig versuchen, ihre am Bahnhof wartenden Angehörigen anzurufen, dass sich der Zug verspätet. Allein die Nachricht über Netzstörungen belastet andere Netze.

    Die Wechselwirkungen und Probleme im Krisenfall erklärt Professor Jochen H. Schiller, Projektleiter des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit am Beispiel eines Stromausfalls:

    "Wie informiere ich jemanden? Selbst wenn Rundfunkanstalten noch Notstromaggregate haben, wer hat noch ein funktionsfähiges Radio daheim, mit Batterie? Wenn ich über Internet-Stream Radio höre, das geht ja alles nicht mehr. Das heißt, Internet ist weg. Mobilfunk ist natürlich ganz schnell weg. Selbst, wenn mein Handy vollgeladen ist, die Funkantennen, die sogenannten Basisstationen haben ja keine unbegrenzte Energiereserve. Die sind dann auch sehr schnell weg. Das heißt, durch so einen Stromausfall bin ich innerhalb von – jetzt können wir sagen, in einem Zeitraum von wenigen Sekunden, bis sehr wenigen Stunden jeglicher Kommunikationsmöglichkeit beraubt. Dann geht gar nichts mehr. Wir können davon ausgehen, dass innerhalb weniger Stunden niemand mehr kommunizieren kann."

    Ein Zusammenbruch der Strom- und Kommunikationsnetze macht sich sofort vor der eigenen Haustür bemerkbar:

    "Die Lebensmittelversorgung ist dann natürlich das nächste. Wo bekommen Sie denn Ihre Lebensmittel her? Sie gehen in den nächsten Supermarkt und wollen vorher noch von Ihrem Geldautomaten Geld holen? Geht ja nicht mehr! Sie wollen vielleicht mit Ihrer Karte zahlen, im Supermarkt? Geht ja nicht mehr! Das heißt: Sämtliche Bezahlmöglichkeiten gehen dann nicht mehr! Jetzt kann man sich vorstellen, Sie haben Hunger und keine Bezahlmöglichkeit funktioniert, was dann das nächste ist..."

    Selbst, wenn die Hungrigen dann den Supermarkt plündern sollten, das funktioniert nur einmal. Ein Nachschub an Lebensmitteln bleibt aus, weil die digital gesteuerte zeitgenaue Anlieferung nicht mehr funktioniert, sobald die Verbindung zu den unzähligen Warentransporten auf Autobahnen und Schienen unterbrochen ist. Sehr schnell herrscht, wie jüngst in Haiti, das Recht des Stärkeren, solange Polizei und Hilfskräfte selbst nicht kommunizieren können:

    "Hilfskräfte haben natürlich teilautonome Systeme, bis hin zu: Im Fall der Fälle muss an jeder größeren Kreuzung ein Feuerwehrauto stehen und wenn was ist, muss man hinlaufen und dort etwas melden."

    In einer Krise, so Projektkoordinatorin Marie-Luise Beck von der Freien Universität Berlin, wären chaotische, selbstregulierende Strukturen, starren hierarchischen Systemen überlegen:

    "Krisenbewältigung wird nicht so sein, dass ein Master das alles macht. Es wird nicht DER Staat sein, es wird auch nicht DIE Bundeswehr sein oder DIE Wirtschaft! Eine vernetzte Katastrophe bedarf auch einer vernetzten Antwort"

    An der jeder mit seinen Fähigkeiten oder Geräten hilft, wie beispielsweise Funkamateure, mit ihren privaten Kurzwellensendern. Warum, so Professor Schiller, soll man diesen Kreis nicht erweitern?

    "Wenn es bezahlbar ist, warum nicht in unser normales Handy eine Funktion einbauen, dass ich von Handy zu Handy telefonieren kann? Für den Notfall! Das ist nicht für bunte Bilder, ich kann auch nicht viele erreichen, aber ich kann vielleicht eine Art Notruf über einen Kilometer oder so etwas machen. Das geht mit dem heutigen System nicht, aber das wäre so ein Schritt, wie ich in die normale Kommunikationstechnik solche Notfallfunktionen einbauen könnte."