Dienstag, 19. März 2024

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Beethoven, Clementi und Cramer
Mehr als nur musikgeschichtliche Fußnoten

Kann ein Klavier singen wie eine Geige? Es kann! Der kroatische Pianist Dejan Lazić zeigt es in Beethovens Violinkonzert, das der Komponist selbst für Klavier und Orchester bearbeitet hat. Und Lazić holt die Komponisten Clementi und Cramer aus der Fußnotenecke.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 17.06.2018
    Der kroatische Pianist Dejan Lasic
    Der kroatische Pianist Dejan Lasic (Lin Gothoni)
    Musik: Beethoven, Klavierbearbeitung des Violinkonzerts, erster Satz
    Der Anfang des Violinkonzerts von Ludwig van Beethoven. Nach dieser langen Orchestereinleitung setzt aber nicht die Solo-Geige ein. Nein, der kroatische Pianist Dejan Lazić hat auf seiner neuen CD "The London Connection" das Violinkonzert in der Fassung für Klavier und Orchester aufgenommen. Ludwig van Beethoven selbst hat diese Bearbeitung geschrieben.
    Musik: Beethoven, Klavierbearbeitung des Violinkonzerts, erster Satz
    Klavier und Geige sind ja zwei sehr verschiedene Instrumente: Auf einem Streichinstrument funktioniert legato durch den Bogen ganz selbstverständlich und auch das An- und Abschwellen eines Klangs ist möglich. Dafür ist mehrstimmiges Spiel, sind Akkorde auf der Klaviertastatur ganz wesentlich. Deswegen ist es eine berechtigte Frage, ob dieser Instrumenten-Wechsel überhaupt funktioniert. Ob nicht das Klavier gegen die Geige verlieren muss, gerade bei diesem Konzert, das so sehr von den sanglichen Passagen lebt.
    Musik: Beethoven, Klavierbearbeitung des Violinkonzerts, erster Satz
    Tatsächlich aber zeigt Dejan Lazić mit dem feinsinnigen Netherlands Chamber Orchestra unter dem Dirigat von Gordan Nikolić, dass diese Version mehr als nur eine Werkverzeichnis-Fußnote, mehr als nur ein Experiment ist. Diese Fassung des Konzerts für Klavier und Orchester gibt dem Pianisten die Gelegenheit, sein Instrument singen und schwelgen zu lassen. Mit wenigen Noten muss er plastisch erzählen können.
    Musik: Beethoven, Klavierbearbeitung des Violinkonzerts, zweiter Satz
    Clementi, der "Father of the Pianoforte"
    Ludwig van Beethoven hat sein Violinkonzert auf Wunsch von Muzio Clementi umgeschrieben. Heutzutage zählt das Violinkonzert zu den Höhepunkten der Geigenliteratur, aber die Uraufführung im Dezember 1806 war kein Erfolg. Und so wurde das Konzert in den folgenden Jahrzehnten kaum gespielt. Muzio Clementi aber, Pianist, Komponist, Klavierbauer und Musikverleger erwarb 1807 in Wien die Rechte, einige Werke von Beethoven in England zu verlegen. Darunter auch das Violinkonzert. In diesem Zusammenhang hat Clementi Beethoven gebeten, eine Klavier-Fassung zu erstellen. Beethoven musste - natürlich - ein paar Noten im Klaviertext neu hinzufügen, um die Solo-Stimme an die musikalischen und technischen Möglichkeiten des Klaviers anzupassen.
    Kadenzen von Beethoven
    Die Fassung für Klavier und Orchester hat darüber hinaus ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der ursprünglichen Fassung für Geige: Beethoven hat Kadenzen für die Klavierversion geschrieben. Für die Geige leider nicht, so dass manche Geiger eine Bearbeitung der Klavier-Kadenz spielen. Die Kadenz im ersten Satz ist tatsächlich außergewöhnlich, ja originell, weil dort die Pauke zum Solisten hinzukommt. Und den Charakter der Musik kurz hin zum Militärischen wendet, eine Farbe, die im ersten Satz ansonsten nicht hervortritt.
    Musik: Beethoven, Klavierbearbeitung des Violinkonzerts, erster Satz
    Nun heißt das Album ja, The London Connection. Der griffige Titel suggeriert tatsächlich etwas mehr Verbindungen unter den drei für die CD ausgesuchten Werken, als erkennbar wird: Dejan Lazić kombiniert das – sagen wir mal sechste Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven, das der Londoner Clementi bei ihm bestellt hat - mit einer Klaviersonate von Muzio Clementi und einer Klaviersonate von Johann Baptist Cramer. Die Cramer-Sonate trägt den Beinamen "Le retour à Londres". "Die Rückkehr nach London". Die Verbindung der drei Werke bleibt also inhaltlich eher lose.
    Eine andere, tiefsinnige Seite von Muzio Clementi
    Wer einmal Klavierspielen gelernt hat, der wird dabei wahrscheinlich auch auf Muzio Clementi gestoßen sein. Gerade in Anfängerheften kommen seine Sonaten oft vor. Die abgedruckten Stücke sind simpel und seicht, seine Kompositionen bloße Lehrstücke. Seine späten Sonaten aber, und dazu gehört die Nr.2 von op.40, die Dejan Lazić aufgenommen hat, diese Spätwerke haben wenig mit den Übungsstücken gemeinsam. Clementi benutzt eine harmonisch ausgefeilte, facettenreiche Musiksprache, die von einem dramatischen Grundcharakter getragen wird.
    Musik: Clementi, erster Satz aus der Klaviersonate, op. 40 Nr. 2
    Dejan Lazić lässt sich auf die schnellen Wechsel von Stimmungen ein, hebt reizvolle reibende Akkorde hervor, und kostet effektvolle Passagen gerne aus. Vor lauter Freude am Dramatischen, wählt er für die Einleitung ein so langsames Tempo, dass die poetische Linie der Phrasen etwas zerbricht, trotzdem ist das eine in sich stimmige Deutung dieser Clementi-Sonate.
    Musik: Clementi, erster Satz aus der Klaviersonate, op. 40 Nr. 2
    Muzio Clementi hat diese h-Moll Sonate 1802 in London veröffentlicht, als eine der drei Sonaten op.40, kurz bevor er zu einer großen Reise durch Europa aufbrach. Mehrere Jahre lang fuhr er von Stadt zu Stadt, durch Deutschland, Russland, Österreich, Italien, Frankreich, usw. 1807 z.B. traf er dann in Wien auch auf Beethoven und dessen Violinkonzert.
    Clementi war in England eine prägende Figur, als Pianist, Komponist, als Lehrer und darüber hinaus als Klavierbauer und auch als Verleger. Unter seinen Schülern finden sich ein paar bekannte Namen, John Field z.B. der zahlreiche Nocturnes komponiert hat und auch Johann Baptist Cramer hat bei Muzio Clementi gelernt.
    Zwei Gleichaltrige: Cramer und Beethoven
    Cramer wurde 1771 in Mannheim geboren – etwa zwei Monate nach Beethovens Geburt in Bonn – die Familie zog aber nach England als Cramer drei Jahre alt war. Dort wurde er musikalisch ausgebildet und wuchs heran zu einem gefeierten Pianisten, Komponisten und Klavierbau-Unternehmer. Cramer reiste als Virtuose auch durch Deutschland und Österreich und so lernte er 1799 auf einer Tournee Beethoven kennen und die beiden freundeten sich an. Beethoven schätzte besonders Cramers Etüden. Er sah in diesen Übungsstücken eine gute Vorbereitung für die eigenen Sonaten.
    Auf Konzertpodien hört man heute Werke von Johann Baptist Cramer nur selten, am ehesten sind noch seine Etüden bekannt. Dabei lohnt sich der Blick auf diese späte Klaviersonate von ihm. Die "Retour à Londres" erschien 1818. Im selben Jahr hat Beethoven zwar schon seine überdimensionale Hammerklavier-Sonate geschrieben, aber Beethoven muss ja nicht die Messlatte sein, an der diese Cramer-Sonate gemessen wird.
    Die technischen Raffinessen dieser Komposition stellen für Dejan Lazić keine große Herausforderung dar, er tupft die schnellen Passagen, gibt beispielsweise dem ersten Satz eine angemessene Leichtigkeit und Klarheit.
    Musik: Cramer, erster Satz aus der Klaviersonate, op. 62
    Die Verbindung der einzelnen Werke, die London Connection zwischen Cramer, Clementi und Beethoven ist tatsächlich nicht besonders zwingend. Die Sonaten und die Bearbeitung des Violinkonzerts sind in London erschienen, Clementi und Cramer haben wesentlich von London aus gewirkt, viel stärker ist die "Connection" aber nicht. Trotzdem hat Dejan Lazić ein spannendes Programm zusammengestellt, im Grunde aus drei Raritäten des Klavierrepertoires, die jeweils die Klavierkunst Anfang des 19. Jahrhunderts beleuchten. Und die dazu beitragen, dass die Strahlkraft eines Beethovens sich auch auf Clementi und Cramer überträgt und so den oft doch beschränkten Blick von Veranstaltern, Musikern und Konsumenten weitet.
    Musik: Cramer, dritter Satz aus der Klaviersonate, op. 62
    "The London Connection"
    Werke von: Ludwig van Beethoven, Muzio Clementi und Johann Baptist Cramer
    Dejan Lazić, Klavier
    Netherlands Chamber Orchestra
    Ltg.: Gordan Nikolić
    Label: OnyxLC-19017// Onyx 4187