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Beethovens Bläser-Kammermusik
Mit Windkraft nach Wien

Der Komponist, um den sich alles dreht, ist der junge Beethoven. Les Vents Français, die All-Star-Truppe um den Flötisten Emmanuel Pahud, geht sein Frühwerk zwar sportlich an, aber lässt ihm die jugendliche, gewissermaßen vorrevolutionäre Aura.

Von Johannes Jansen | 07.05.2017
    Ludwig van Beethoven wurde am 17.12.1770 in Bonn geboren.
    Ludwig van Beethoven (picture-alliance / dpa)
    MUSIK: Ludwig van Beethoven, Variationen über "Là ci darem la mano" WoO 28 (Arr. Fritz Stein), CD-Track 8, Dauer: 0'50
    Da brausen sie wieder heran: Les Vents Français. Nach zwei Aufnahmen mit vorwiegend französischem Repertoire geht es auf dieser neuen Platte nun in Richtung Wien. Dazu begrüßt sie am Mikrofon Johannes Jansen.
    Startpunkt ist Bonn im Jahr 1786 und der Komponist, um den sich alles dreht, der junge Beethoven. Das Ticket nach Wien erhielt er sechs Jahre später, um dort nach dem Willen seiner Gönner "Mozarts Geist aus Haydns Händen" zu empfangen. In den Variationen über "Là ci darem la mano" aus Mozarts "Don Giovanni" findet diese Erfahrung einen ersten Niederschlag. Dass sich das erwachsen gewordene rheinische Wunderkind mit einem solchen Werk als Mozart-Nachfolger empfahl, zeugt nicht nur von Bewunderung für die Musik des großen Vorbilds, sondern auch vom Charme einer Besetzung, wie man sie so und in dieser Qualität damals wohl nur in Wien erleben konnte. Viele Stars der Bläser-Szene stammten aus Böhmen, so wie die Oboisten-Brüder Teimer, deren Vater schon Angehöriger der Privatkapelle des Fürsten Schwarzenberg gewesen war. Beethoven hörte sie in einem Wohltätigkeitskonzert in den Weihnachtstagen des Jahres 1793 und erkannte, dass es sich lohnen könnte, auf dem florierenden Sektor der Bläser-Kammermusik mitzumischen.
    Sein umfangreiches C-Dur-Trio – er selbst nannte es "Terzetto" – verrät jedenfalls den Ehrgeiz, ein Vorzeigewerk zu schaffen, zumal wenn man unterstellt, dass die Mozart-Variationen mit einer Aufführungsdauer von allein schon zehn Minuten ursprünglich als Schlusssatz dienen sollten. Irgendjemand wird Beethoven, der ja selbst kein Bläser war, geraten haben, mit Rücksicht auf die Ausführenden ein kürzeres Finale zu komponieren, wie es dann auch in die spätere Druckausgabe unter dem Titel "Grand Trio" Eingang gefunden hat, während die Mozart-Variationen erst mehr als hundert Jahre später wieder ans Licht gekommen sind. Eine Menge Noten bleiben es dennoch, nur eben äußerst schnell gespielt. Ein Presto freilich, von dem sich Les Vents Français aus der Puste bringen ließen, muss erst noch geschrieben werden. Erstaunlicher als das schiere Tempo ist die Fähigkeit, statt eines nur dahinratternden Uhrwerks einen vollkommen organisch wirkenden Prozess in Gang zu setzen und den in ihrem Klang und Ansprechverhalten ganz unterschiedlichen Instrumenten ihre Idiomatik zu erhalten.
    Aus zwei Oboen und Englischhorn in Beethovens Erstfassung für die Gebrüder Teimer werden in der hier verwendeten Bearbeitung – gespielt von François Leleux, Paul Meyer und Gilbert Audin – Oboe, Klarinette und Fagott. Aber was man als Einwand gegen diese neue Platte vorbringen könnte, relativiert sich angesichts der von Beethoven selbst besorgten oder zumindest autorisierten Arrangements für Streicher beziehungsweise Violine und Klavier.
    MUSIK: Ludwig van Beethoven, Finale: Presto aus: Trio in C-Dur op. 87 (Arr. John P. Newhill), CD-Tr. 4, Dauer: 3'50
    Im Jahr 1800 mit großem Erfolg in Wien uraufgeführt und seitdem ein Paradestück für Klavier und Horn, ist die Sonate F-Dur op. 17, ein kammermusikalisches Pendant zu Mozarts Hornkonzerten. Auch diese Sonate verdankt sich der Begegnung mit einem der berühmtesten Bläservirtuosen seiner Zeit: Jan Václav Stich alias Giovanni Punto, wie er sich nicht nur aus Reklamegründen nannte, sondern auch als Tarnung, nachdem er als junger Mann aus der – für Musiker in Böhmen noch bis zum Jahr 1781 durchaus üblichen – Leibeigenschaft entwichen war. Bei den Vents Français übernimmt, am Klavier espritvoll begleitet von Éric Le Sage, Radovan Vlatković den Punto-Part, und alles, was sogar Meisterhornisten das Leben sonst so schwer macht und ihrem Instrument den Spottnamen "Glücksspirale" eingetragen hat, erscheint bei ihm wie weggeblasen. Keine Kiekser, keine Wackler, nur Wohlklang, mal satter, mal sanfter und, wo geboten, gern auch schmetternd.
    MUSIK: Ludwig van Beethoven, Rondo (3. Satz) aus: Sonate F-Dur op. 17, CD-Tr. 19, Dauer: 2'00 (nur Ausschnitt von 4'30, Start bei 2'30)
    Speziell für das Horn hat Ludwig van Beethoven nur diese Sonate komponiert, wahrscheinlich auch deshalb, weil er sich nach einigen gemeinsamen Auftritten mit Punto überwarf. Überhaupt scheint ihm in dem Maße, wie er selbst als Pianist und Komponist ins Zentrum des Wiener Musiklebens rückte, das Interesse an Bläser-Kammermusik und ihren Protagonisten abhandengekommen zu sein. Das Werkverzeichnis nennt nur noch drei Duos für Klarinette und Fagott, deren Echtheit freilich angezweifelt wird. Erschienen sind sie im Jahr 1810 in Paris, was vielleicht erklärt, warum die Vents Français wenigstens eines dieser Werke in ihrem Programm nicht missen mochten. Ein unverzichtbarer Programm-Bestandteil ist indes das G-Dur-Trio für Klavier, Flöte und Fagott aus Beethovens Bonner Zeit. In der Wiedergabe der Vents Français wirkt es so vergnüglich und in sich gerundet, dass die von Forschern wie Martin Geck aufgeworfene Frage, ob Beethoven uns in seinen Jugendwerken als Genie oder ›nur‹ frühreifer Routinier gegenübertritt, gänzlich in den Hintergrund rückt. Genauso ist es mit der musikhistorisch vielleicht noch interessanteren Frage nach dem professionellen Anspruch dieser Musik an der Schnittstelle zwischen höfischer Repräsentation und privater Liebhaberei.
    MUSIK: Ludwig van Beethoven, Allegro (1. Satz) aus: Trio in G-Dur WoO 37, CD-Tr. 5, Dauer: 4'20 (nur Ausschnitt von 11'35, Musikstart bei 7'15)
    Die spieltechnischen Anforderungen in diesem Bonner G-Dur Trio lassen vermuten, dass Beethoven zumindest daran dachte, es eigenhändig mit Kollegen der Hofkapelle aufzuführen. Auftraggeber war allerdings ein Amateur, Friedrich Freiherr von Westerholt, Kammerherr des Kölner Kurfürsten und Haupt eines Familientrios, in dem er selbst Fagott spielte, sein Sohn Flöte und die zwölfjährige Tochter Cembalo. Sie war Klavierschülerin des nur wenig älteren Beethoven, und es heißt, er sei in sie verliebt gewesen.
    An wie auch immer definierten historischen Amateur-Standards lassen sich Les Vents Français nicht messen, und auch sonst gültige Maßstäbe verblassen angesichts der Klasse dieser All-Star-Truppe um den Flötisten Emmanuel Pahud. Ihm gereicht es zur besonderen Ehre, dass er Beethovens Frühwerk zwar sportlich angeht und ausdrucksvoll gestaltet, es aber nicht mit gleißender Virtuosität und agogischem Überdruck seiner selbst entfremdet, sondern ihm die jugendliche, gewissermaßen vorrevolutionäre Aura lässt. Kurzum, der junge Beethoven wirkt bei den Vents Français bestens aufgehoben: Titanen unter sich, die gern auch mal zusammen lachen, so wie im Scherzo des C-Dur-Trios dieser neuen Platte aus dem Hause Warner Classics. Damit verabschiedet sich am Mikrofon und dankt fürs Zuhören Johannes Jansen.
    MUSIK: Ludwig van Beethoven, Menuetto / Scherzo (3. Satz) aus: Trio in C-Dur op. 87 (Arr. John P. Newhill), CD-Tr. 3, Dauer: 2'25
    Bläser-Kammermusik von Ludwig van Beethoven mit Les Vents Français

    Emmanuel Pahud (Flöte), François Leleux (Oboe), Paul Meyer (Klarinette), Radovan Vlatković (Horn), Gilbert Audin (Fagott) und Éric Le Sage (Klavier)

    Warner Classics (LC 02882), Best.nr. 0190295919566 (EAN)