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Befreiungsschlag fürs Netz

Peter Dengate Thrush, der Vorsitzende des Direktoriums der Internet-Verwaltung ICANN, macht ernst: Er fordert, den laufenden Vertrag zwischen ICANN und der US-Regulierungsbehörde für Telekommunikation über die ICANN-Aufsicht im nächsten Jahr nicht mehr zu verlängern.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering | 19.01.2008
    Manfred Kloiber: Wäre das der erste Schritt zu einer privatwirtschaftlich organisierten ICANN unter internationaler Aufsicht, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Es wäre zumindest der erste Schritt der Emanzipation von der amerikanischen Regierung. Durch das so genannte Joint Project Agreement, also den Vertrag mit der US-Behörde für die Telekommunikationsaufsicht, hat das US-Handelsministerium weitgehenden Zugriff auf die ICANN-Strategie und die konkrete Ausrichtung der Internet-Politik. Wird dieses Joint Project Agreement, das übrigens schon der damalige US-Vizepräsident Al Gore im Jahre 1998 abschaffen wollte, wird also dieser Vertrag nicht verlängert, schrumpfen die Eingriffsmöglichkeiten der amerikanischen Regierung gewaltig. Und insofern wäre das wirklich ein guter erster Schritt der Emanzipation.

    Kloiber: Ist die ICANN völlig unabhängig von der US-Regierung, wenn dieser Vertrag nicht mehr verlängert wird?

    Welchering: Nein, diesem ersten Schritt in die Unabhängigkeit müssen zwei weitere Schritte folgen. Läuft das Joint Project Agreement aus, wird die ICANN im Tagesgeschäft tatsächlich unabhängiger. Die Ernennung von Registraren, die Schaffung neuer Top-Level-Domains, die konkrete Verwendung von Technologien für bessere Ausfallsicherheit und der betrieb der Domain Name Server, das würde alles ohne Einspruchsmöglichkeiten der amerikanischen Telekommunikationsaufsicht laufen können. Unberührt davon bleibt der Aufbau des Domain Name Systems. Darauf hat die US-Regierung weiterhin Einfluss. Und das ist ganz clever gemacht worden. Denn der ICANN wurde ja die Internet Assigend Numbers Authority, kurz IANA, eingegliedert. Und mit dieser Eingliederung verbunden war das Einspruchsrecht der US-Regierung bei Veränderungen in der so genannten Root-Zone, und dazu gehören eben auch Veränderungen in der Strategie und im Aufbau des Domain Name Systems. Weiterhin wird der A-Root-Server, sozusagen die Mutter aller Domain Name Server von Verisign betrieben. Und der Betrieb durch Verisign ist in den IANA-Verträgen der US-Regierung mit der ICANN festgelegt.

    Kloiber: Das heißt, das ICANN-Direktorium könnte Verisign nicht einfach als A-Rootserver-Betreiber entlassen?

    Welchering: Nein, das würde nur mit Zustimmung der US-Regierung gehen. Und so hat sich die US-Regierung in den IANA-Verträgen noch eine ganze Reihe von Vetorechten gesichert, zum Beispiel was den grundlegenden Aufbau des Domain Name Systems angeht. Außerdem ist durch diese Verträge gesichert, dass die US-Regierung im ICANN-Regierungsbeirat eine ganz Reihe von Vetorechten ausüben kann. Also verglichen mit der US-Regierung ist die ebenfalls im ICANN-Regierungsbeirat vertretene Bundesregierung nur eine Art Beiratsmitglied zweiter Klasse.

    Kloiber: Der Bundestag hat sich ja Donnerstag für regionale Top-Level-Domains, wie etwa Bayern oder Berlin ausgesprochen. Könnte das denn nach dem Auslaufen des Joint Project Agreements vom ICANN-Direktorium in Eigenregie entscheiden werden?

    Welchering: Ja, das könnte ICANN dann selbst entscheiden und müsste das auch nicht mehr gegenüber der US-Telekommunikationsaufsicht rechtfertigen. Allerdings könnte eine solche Entscheidung im ICANN-Regierungsbeirat vom privilegierten Beiratsmitglied US-Regierung wieder gekippt werden. Und deshalb werden ja auch innerhalb der ICANN Stimmen laut, dass eben nach diesem ersten Emanzipationsschritt des Auslaufens der Verträge mit der Telekommunikationsaufsicht auch die IANA-Verträge und die Privilegien der US-Regierung im ICANN-Regierungsbeirat abgeschafft werden müssten. Aber das ist noch ein sehr langer Weg. Dennoch darf man diesen ersten mutigen Schritt, den ICANN ja offensichtlich gehen will, sich aus der Oberhoheit der Regulierungsbehörde und damit letztlich des US-Handelsministeriums zu verabschieden, nicht unterschätzen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt.

    Kloiber: ICANN soll nach der Loslösung von der US-Regierung unter internationale Aufsicht kommen. Gibt es dazu schon Modelle?

    Welchering: Richtige Modelle noch nicht, aber jede Menge Begehrlichkeiten. Die International Telecommunications Union würde diese Aufsichtsfunktion gern wahrnehmen. Zweitens gibt es Bestrebungen beim Generalsekretär der Vereinten Nationen ein ICANN-Aufsichtsgremium zu installieren. Drittens sehen einige im ICANN-Regierungsbeirat vertretenen Staaten diesen Beirat als eine Art Welt-Internet-Regierung und wollen die ICANN unter regelrechte Beiratskuratel stellen. Gegenwärtig gibt es hier dummerweise auch keine Diskussion über die Umsetzbarkeit der drei Ansätze, sondern jede Partei blockiert einfach die beiden anderen.