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Befreiungsschlag ohne Gründungsmythos

Gibt man bei Google das Stichwort deutsche Revolution ein, dann gibt es nur wenige Fundstellen zur Revolution von 1918/19. Von der vergessenen Revolution spricht deshalb auch der Historiker Alexander Gallus.

Von Paul Stänner | 22.02.2010
    Nur in der DDR gab es einen offenen, positiven Blick auf die deutsche Revolution vom November 1918, denn die DDR verstand sich als der Staat, der die Ansätze der Revolution politisch, sozial und ökonomisch auch tatsächlich umsetzte. Die DDR gibt es nicht mehr und nun redet man ungern über diese Revolution, die den Ersten Weltkrieg und die Monarchie in Deutschland beendete. Alexander Gallus, Juniorprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Rostock, hat jetzt einen Sammelband herausgegeben mit dem Titel "Die vergessene Revolution von 1918/19". Er schreibt:

    Die deutsche Revolution von 1918/19 konnte sich weder im nationalen kulturellen Gedächtnis noch in der Zeitgeschichtsschreibung einen festen Stand sichern. Der vorliegende Band will insbesondere auf den letztgenannten Mangel hinweisen und diesem zumindest ein wenig entgegenwirken, ohne Vollständigkeit oder gar eine grundlegend neue Revolutionsdeutung zu beabsichtigen.

    Innerhalb dieses angenehm bescheidenen Rahmens lassen sich einige markante Felder eines Geschehens ausleuchten, das Theodor Wolff, der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, am 10. November 1918 als die "größte aller Revolutionen" eingeordnet hat. Dennoch ist aus diesem Befreiungsschlag nie der Gründungsmythos erwachsen, der das Fundament für die Weimarer oder die Bonner oder die Berliner Republik gelegt hätte. Lothar Machtan, der bereits ein Buch veröffentlicht hat mit dem hübschen Untertitel "Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen", befasst sich auch in diesem Band wieder mit seinem Spezialthema und macht zu dem – Zitat: "erstaunlich lautlose(n) Untergang von Monarchie und Bundesfürstentümern" - ein Erklärungsangebot. Zunächst wundert ihn, wie die deutsche Monarchie im November 1918 quasi ohne Widerstand zu leisten aus der Geschichte verschwand, als sei sie von der Revolution weggeatmet worden. Er konstatiert, dass die deutsche Monarchie mit einem Kaiser und 19 bundesstaatlichen Monarchen auch im Jahre 1918 noch als oberster Träger der Staatsgewalt in Deutschland angesehen werden muss.

    Keine Instanz besaß in Deutschland noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine größere politische Handlungs- und Entscheidungskompetenz als der Reichsmonarch und seine Hohen Verbündeten, die Bundesfürsten. Aber gleichzeitig repräsentierte genau dieses dynastische Machtkartell eine strukturelle Inkompetenz in Fragen der politischen Gestaltung.
    In den Augen der Untertanen verloren die Herrscher zunehmend an Rückhalt. Denn das Volk erkannte in den Ergebnissen der Staats- und Kriegsführung durchaus die Kompetenzschwäche der führenden Kreise. Lothar Machtan beschreibt das nicht mehr funktionierende Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten mit Kategorien wie "Mitgefühl", "Liebe", "aufrichtiger Bereitschaft", die zunächst einmal eigentümlich anmuten, aber letztlich doch wohl die Basis erfassen, auf der Herrscher und Beherrschte auseinanderdrifteten. Was 1918 gestürzt wurde, war nicht mehr die Monarchie, es war lediglich ein Kostümball. Die Monarchie hatte sich überlebt und ihre Darsteller hatten es nicht gemerkt.

    Es waren in dieser Wahrnehmung aber nicht Menschen mit immerhin bedenkenswerten politischen Ansprüchen, durch die sie sich von ihren Thronen vertrieben sahen, sondern ein gänzlich verwirrter Zeitgeist hatte sich ihrer Meinung nach der Volksseele bemächtigt und die angestammte Untertänigkeit wie mit einem Zauberstab suspendiert.
    Nicht ganz - denn die Führer der Mehrheits-SPD, allen voran Friedrich Ebert, waren noch stark im Denken der Monarchie verhaftet. Sie versuchten, den entmachteten Monarchen den Weg zu ebnen zu einem gleichsam freiwilligen Machtverzicht. Ein reines Propagandamittel, denn die Entmachtung hatte ja durch die Revolution bereits stattgefunden. Die Idee ging nicht auf, und sie hätte beiden Seiten keine Glaubwürdigkeit eingebracht. Die Monarchie war untergegangen und auch die beharrenden Kräfte in der Mehrheits-SPD mussten es akzeptieren. Lothar Machtan fasst zusammen:

    So blieb die mit sanfter Gewalt erzwungene Abdankung der deutschen Monarchen tatsächlich der einzige radikale politische Umsturz, den die im Übrigen unvollendete Revolution bewirkte. Überspitzt könnte man freilich sagen, dass die Deutschen nicht einmal diese ihre einzige Revolution ohne Mithilfe der Obrigkeit zu einem Erfolg führen konnten.
    Die SPD wollte die Revolution nicht, musste sich aber mit ihr arrangieren. Die KPD wollte sie, konnte sich aber nicht einbringen. Werner Müller schreibt mit reichem Archivmaterial über "Die KPD in ihrem ersten Jahr", über ihren kurzatmigen Aktionismus und die Illusionen, die sich die Partei über ihre Anhängerschaft machte. Boris Barth erläutert die psychischen und sozialen Voraussetzungen, die es möglich machten, dass die viel beschworene Dolchstoßlegende, nach der die Heimat dem im Felde unbesiegten Heere in den Rücken gefallen war, so schnell und so hartnäckig populär wurde. Dafür gab es Gründe. Zum Beispiel streute die Oberste Heeresleitung noch bis kurz vor Ende des Weltkrieges Erfolgsmeldungen aus, sodass das Waffenstillstandsverlangen unbegreifbar überraschend kam. Es hatte aber auch mit der gewachsenen Mentalität des preußischen protestantischen Milieus zu tun, das den Krieg zu einem Glaubenskrieg hochstilisiert hatte, an dem sich Weltgeschichte entschied. Aus dieser Sicht war klar – wer die gottgewollte Monarchie der Hohenzollern bezweifelte, beging ein Verbrechen:

    Jede Art von Widerstand oder Auflehnung gegen den monarchischen Staat galt als Verrat. Der sich abzeichnende Zusammenbruch im Herbst 1918 wurde deshalb konsequent durch das Wirken sinistrer Kräfte erklärt. Das Narrativ des Dolchstoßes, das im preußischen Protestantismus bereits vor dem Beginn der Revolution bestand, fügte sich perfekt in die bestehenden Weltbilder ein.
    Vielleicht ist alles aber auch ganz einfach. Axel Schildt zitiert in seinem Aufsatz zur "Historisierung des langen November" den Publizisten Moritz Bonn, der die deutsche Ordnungsliebe als Grund für die mangelnde Zuneigung zur Revolution sieht, die ja notwendig die ultimative Unordnung darstellt.

    Sind wir so schlicht? Die Historiker wissen es nicht, und der Leser mag es nicht glauben. Wie gesagt, diese Anthologie will gar nicht erst versuchen, die Novemberrevolution auszudeuten. Die neun Aufsätze befassen sich mit einzelnen Aspekten, die auch in der Zusammenschau kein Muster ergeben, wie die Vorgänge im November 1918 und den folgenden Jahren zu erklären seien, aber sie versuchen, diese vergessene – oder sogar verdrängte – Revolution aus der Versenkung zu holen. Alexander Gallus schreibt:

    Diese inzwischen vergessene Revolution hat ein größeres Maß an öffentlicher Erinnerung und fachwissenschaftlicher Beschäftigung verdient. Ein Anfang wäre gemacht, wenn wenigstens die Historiker wieder über sie stritten.
    Das sollte wohl gelingen!

    Paul Stänner war das über: "Die vergessene Revolution 1918/19". Das Buch ist bei Vandenhoeck und Ruprecht erschienen, es hat 248 Seiten, kostet 24 Euro 90 und liegt seit heute in den Buchhandlungen (ISBN 978-3-525-36386-7).