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Befreiungstheologie
Die christliche Antifa

Die Befreiungstheologische Gruppe Berlin versteht sich als innerkirchliche Linke. Sie kämpfen gegen Rechts, engagieren sich für queere Anliegen und beten auch bei Demos. Sie ecken an: bei den Kirchen und bei der Linken.

Von Christian Röther | 24.04.2018
    Sorgt oft für Ärger - das Logo der Befreiungstheologischen Gruppe Berlin
    Sorgt oft für Ärger - das Logo der Befreiungstheologischen Gruppe Berlin (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Wir hören jetzt einen Text und ein Lied als Input und danach gibt es das Angebot zu schweigen. Angebot heißt, wer nicht schweigen möchte, kann auch rausgehen. Wir schweigen 15 Minuten und machen danach eine Runde."
    Sonntag Nachmittag in einem evangelischen Gemeindehaus in Berlin-Mitte. Auf niedrigen Stühlen mit dicken weißen Polstern haben es sich acht Frauen und Männer bequem gemacht. Sie sind um die 30 Jahre alt. Zwischen ihnen dösen drei Kinder.
    Mitglieder der Befreiungstheologischen Gruppe Berlin
    Mitglieder der Befreiungstheologischen Gruppe Berlin (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde und der erste Himmel und die erste Erde vergingen. Das Meer ist nicht mehr."
    Abendmahl und Arbeitskampf
    Auf dem Tisch eine Kerze, Tee und ein leicht zermatschter Apfelkuchen. Außerdem eine rote Liedermappe – mit Liedern unter anderem für das Abendmahl und für den Arbeitskampf. Nach der kurzen Lesung aus der Bibel stimmt ein Song die Gruppe auf ihr Treffen ein – die linke feministische Rapperin Sookee.
    "Ich gaukelte anderen vor, dass ich cool sei. Ich fand mich selber nicht cool, das war kein Zufall." (Sookee – Die Freundin von)
    Schnell wird klar: Bei diesem Treffen geht es um Religion und Politik.
    "Wir machen meistens alles durcheinander."
    "Die spinnen total"
    Beten, Demos planen, zusammen kochen – so können sie aussehen, die Treffen der Befreiungstheologischen Gruppe Berlin. Christliche Linke, die im Radio anonym bleiben möchten. Wie kommen christliche Positionen an in der linken Szene?
    "Ich habe vor allen Dingen Irritationen wahrgenommen. Die Bandbreite der Irritationen war groß. Das war so zwischen 'Nee, die spinnen total' und 'Aha, was auch geht'."
    "Ich erlebe in linken Kreisen schon eher eine antikirchliche Haltung. Und dann ist man so als linke Christin schon erst mal ein bisschen exotisch. Aber ich finde das eigentlich ganz angenehm, weil das so Stereotype bricht und man dadurch oft in Gespräche kommt, die nicht so ganz erwartbar sind."
    "Entsetzen und Ablehnung"
    Die meisten Mitglieder der Befreiungstheologischen Gruppe studieren evangelische oder katholische Theologie – oder haben die Fächer studiert. Manche werden Lehrer, andere arbeiten in der Kirche. Dort fallen die Reaktionen auf die Gruppe oft ähnlich kritisch aus wie unter Linken.
    "Innerhalb der kirchlichen Szene gibt es auch richtig Ärger, fühlen die sich angegriffen."
    "Auch Entsetzen oder Ablehnung."
    Stein des Anstoßes ist oft das Logo der Gruppe. Es ist an das Logo der Antifaschistischen Aktion angelehnt: Da sieht man rote und schwarze Fahne auf weißem Grund in einem schwarzen Kreis.
    "Kirche ist ja selber auch gewalttätig"
    Die Befreiungstheologische Gruppe hat in ihrem Logo die Fahnen durch Kirchengebäude ersetzt. Außen steht "Antifaschistische Kirchen". Das Logo kann so Assoziationen hervorrufen zu gewaltbereiten Linken, zum schwarzen Block.
    "Durch das Logo wurde uns oft Gewaltbereitschaft vorgeworfen. Ist natürlich immer schwierig: Kirche ist ja selber auch gewalttätig. Vielleicht nicht offen und vielleicht nicht tätlich, aber mit ihren Strukturen ist das ja genauso eine Gewaltanwendung."
    Der strukturellen Gewalt, die sie in den Kirchen ausmacht, will die Gruppe mit Befreiungstheologie begegnen. Die Befreiungstheologie ist ab den 1960ern in Lateinamerika entstanden. Sie wollte den Armen und Unterdrückten eine Stimme geben und die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern.
    "Ich finde Befreiungstheologie immer noch wichtig. Also eine Kirche, die immer noch tut, als ob sie in der Moderatorinnenrolle wäre – gerade im Konflikt mit rechten Christinnen oder überhaupt mit Rechtspopulismus – und nicht klar Position ergreift, die hat immer noch befreiungstheologischen Bedarf."
    "Eine Brücke zu rechten Einstellungen"
    Dabei positionieren sich die Kirchen ja oft schon gegen Rassismus und Rechtspopulismus. In Berlin zum Beispiel gibt es Kirchengebäude, an denen hängen große weiße Banner mit Sprüchen wie "Menschenfeindlichkeit schadet der Seele". Doch der Befreiungstheologischen Gruppe geht das oft nicht weit genug.
    "Wir nehmen queere Theologien auf, postkoloniale Theologien. Theologien nach der Shoah sind gerade für die Befreiungstheologie ganz wichtig, weil auch in der postkolonialen Theorie oft so ein kleiner Antisemitismus sich reinschleicht und der ist ja beim Christentum auch schnell dabei. Deswegen ist das ein ganz gutes Korrektiv."
    Die Berliner Gruppe ist Teil des Befreiungstheologischen Netzwerks. Auch in anderen deutschen Uni-Städten gibt es Befreiungstheologische Gruppen. Konkret kritisiert eine Aktivistin beispielsweise das kirchliche Familienbild, das zumeist nach wie vor aus Vater, Mutter, Kindern bestehe – obwohl es auch viele andere biblisch-christliche Familienbilder und Lebensformen gebe.
    "Das ist einfach eine Diskriminierung aller anderen Lebensformen, gerade dieses christliche Familienbild – was wir auch angreifen möchten, weil es eine Brücke ist zu rechten Einstellungen, rechtsorientierten Menschen. Da muss die Brücke abgebrochen werden."
    "Das ist nicht das Reich Gottes, was sich manche Leute zusammenmengen"
    Doch rechte und christliche Einstellungen finden eben oft auch zusammen – etwa bei den "Christen in der AfD". Für die Befreiungstheologische Gruppe hingegen sind rechte Ansichten nicht vereinbar mit dem, was die Gruppe unter christlich versteht.
    "Also ich denke nicht, dass sich rechte Positionen immer aus einer Christlichkeit ergeben müssen. Das ist oft auch ein Missverständnis. Das ist noch nicht das Reich Gottes, was sich da so manche Leute zusammen mengen."
    "Was geht ab mit Nächstenliebe? Was würde Euer Jesus sagen? Eine Lebenslüge für jede Lebenslage." (Sookee – Q1)
    "Das ist meine Vorstellung vom 'Reich Gottes'"
    Wie gehen die christlichen Linken also um mit christlichen Rechten? Die Gruppe ist sich da nicht einig. Beim evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin wollten Mitglieder der Gruppe eine Diskussion stören mit der damaligen Vorsitzenden der "Christen in der AfD".
    "Da haben wir versucht, ein bisschen laut zu singen und die Aktion zu stören – wir waren zu wenige."
    "Gewalt erzeugt Gegengewaltphantasien. Pazifismus ist ein Loser und vom Scheitern besiegt." (Sookee – Q1)
    "Ich will eigentlich nur zum Stören was sagen, weil mir bei allem Stören wichtig ist, dass wir trotzdem noch gesprächsfähig bleiben und sichtbar gesprächsbereit. Das ist meine Vorstellung von 'Reich Gottes', dass ich da irgendwie noch reden muss."
    "So sind wir unterschiedlich. Es ist halt auch nicht Aufgabe von Kirche, das gesamte Gesellschaftliche, alle Milieus abzubilden oder die gesellschaftliche Mitte abzubilden. Sondern es ist Aufgabe von Kirche, unterwegs zum Reich Gottes zu sein: zu einer gerechten Gesellschaft und zum Frieden."
    "…dann kann die Kirche nicht zu links sein"
    Für die Befreiungstheologische Gruppe Berlin heißt das: Kirche soll links sein. Dabei wird den Kirchen in Deutschland ja oft vorgeworfen, sie seien zu links. So sagte die damalige AfD-Chefin Frauke Petry 2016 im Deutschlandfunk, "dass die evangelische Kirche eine sehr eindeutige und einseitige Verortung meistens auf der links-grünen Seite hat."
    Die christlichen Linken sehen das ganz anders:
    "Weil wir uns schon immer einig sind, dass Kirche definitiv nicht zu links ist. Es kommt halt einfach darauf an, aus welcher Richtung man schaut. Und wenn man von links schaut, dann kann die Kirche nicht zu links sein."