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Beginn der 15. Istanbul Biennale
"Wir erleben im Moment unsere glücklichste Zeit"

Trotz der schwierigen Lage in der Türkei zeigen sich viele Künstler in Istanbul zuversichtlich, sagte der Kunstkritiker Ingo Arendt im Dlf. Unter dem Motto "Ein guter Nachbar" spare die Kunst-Biennale den politischen Kontext keineswegs aus, sondern greife politische Themen auf subtile Weise auf.

Ingo Arend im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 14.09.2017
    Blick auf Bosporus vom Szeneviertel Cihangir aus gesehen, Istanbul
    Türkische Künstler üben subitlen Widerstand. Zu sehen in Istanbul, hier ein Blick auf den Bosporus vom Szeneviertel Cihangir aus. (imago stock&people/ Ali Kabas / Danita Delimont )
    Maja Ellmenreich: Jetzt bloß nicht kneifen! "Don’t chicken out!" Mit diesen Worten hatte Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk den Kuratoren der Istanbul-Biennale eine deutliche Ansage gemacht. Es war kurz nach dem Putschversuch im Sommer 2016, da hat Pamuk dem skandinavischen Kuratoren-Duo Elmgreen und Dragset klargemacht, dass sie bloß an ihren Plänen festhalten sollten. Das haben die beiden getan – obwohl vielfach zum Boykott aufgerufen worden ist. Übermorgen (16. September 2017) beginnt nun in Istanbul die 15. Biennale, auf der in diesem Jahr über 50 Künstler aus mehr als 30 Ländern zeitgenössische Kunst zeigen. Der Kunstkritiker Ingo Arend ist für uns in Istanbul. Herr Arend, schon zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung trifft sich dort die Kunstwelt und das ausgerechnet in einer Zeit, in der viele von Reisen in die Türkei absehen. Was für eine Stimmung herrscht dort?
    "Eine unglaublich relaxte Stimmung"
    Ingo Arend: Diese Diskrepanz zwischen Medienwahrnehmung und Realität ist eigentlich für mich die verblüffendste Erfahrung, als ich jetzt hier angekommen bin. In Deutschland haben viele das Gefühl, dass die ganze Türkei inzwischen schon ein einziges, großes Gefängnis ist, und insofern war ich besonders überrascht und fast entsetzt auch ein bisschen, als ich hier auf eine unglaublich relaxte Stimmung im Kunstbetrieb gestoßen bin. Und besonders irritiert war ich, als mir manche Künstler und Kuratoren sagten: "Wir erleben im Moment eigentlich unsere glücklichste Zeit!" Das konnte ich erst nicht glauben, aber es war dann nachvollziehbar, als sie mir gesagt haben: "Im letzten Jahr gab es ja eben noch die unmittelbar die Gefahr, dass hier Anschläge passieren, dass Bomben hochgehen." Diese Lage hat sich etwas beruhigt. Und auch wenn sich die Kunstszene keine Illusionen macht – in anderen Bereichen als dem Kunstbetrieb, etwa an den Universitäten geht es ja viel heftiger, was Entlassungen usw. anbetrifft - genießen sie doch einfach jetzt diesen Moment der Stille und hoffen, dass sie ihren Alltag gestalten können.
    "Alle sitzen eben im gleichen Boot"
    Maja Ellmenreich: Stichwort "Alltag". Dazu passt eigentlich ganz gut das Motto der Biennale, das lautet "Ein guter Nachbar". Das könnte man zum einen ein bisschen ironisch verstehen. Auf der anderen Seite aber, in der Tat als die alltägliche Nachbarschaft, die ist ja in Istanbul bekanntlich sehr beengt. Oder eben auch die internationale Nachbarschaft, das Miteinander von Ländern, von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. Wie genau bilden die Künstler dieses Motto ab?
    Ingo Arend: Es gibt beispielsweise einen türkischen Künstler namens Volkan Aslan, 1982 in Istanbul geboren. Der hat im Museum "Istanbul Modern" eine Drei-Kanal-Videoinstallation montiert. Man sieht ein Boot den Bosporus entlangfahren, eine Frau sitzt an Deck, schaut auf das Wasser. Eine Frau sitzt in einer Wohnung, und alle schauen nach draußen. Und man merkt eben, das ist ein Symbol für diese Nachbarschaft von Leuten, die selber gar nicht genau wissen, mit wem sie alles zusammenwohnen. Es ist ein Symbol dafür, dass eben alle im gleichen Boot sitzen. Ein anderes Beispiel wäre die türkische Künstlerin Candeğer Furtun, 1936 in Istanbul geboren. Sie hat eine Skulptur im "Istanbul Modern" installiert, wo man einen Raum sieht, der wie ein Badehaus aussieht. Und auf diesem Badehaus sitzen auf einer Bank neun Beinpaare ohne Oberkörper, mit gespreizten Beinen, also diese klassische Figur des sogenannten "Manspread", über die man sich in der U-Bahn ja oft ärgert. Und das soll so ein Symbol sein, weil es nämlich neun Beinpaare sind, für die Türkei und die acht sie umgebenden Nachbarn. Es wird hier also der Kontext des männlichen Machtgebarens aufgerufen. Auf dieser subtilen, nicht besonders plakativen Ebene arbeiten eben die Künstlerinnen und Künstler, die Elmgreen und Dragset ausgesucht haben, und daran kann man eben sehen, mit welcher vielschichtigen, komplexen und verschlüsselten Art sie hier versuchen, politische Diskussion zu erzielen.
    "Wie gehen wir eigentlich miteinander um?"
    Maja Ellmenreich: Also ein schlüssiges Konzept dieser beiden Kuratoren, wenn ich Sie richtig verstehe?
    Ingo Arend: Ja, sie wollten eben ein Medium der Kritik eröffnen, das nicht zu offensichtlich ist und wo man die Frage stellen kann, wie wir eigentlich miteinander umgehen: Ob wir es mit Empathie und Respekt tun, ob wir es mit Hass, Abgrenzung und Gewalt tun. Und ich würde sagen, diese Dialektik zwischen privat und politisch, die man ja jederzeit auf die hier existierenden Verhältnisse übertragen kann, ist den Kuratoren geglückt. Das war nicht unbedingt zu erwarten aus meiner Sicht. Elmgreen und Dragset sind ja für sehr spektakuläre Inszenierungen bekannt, ich finde aber doch, dass sie das hier unter den gegebenen Verhältnissen mögliche herausgeholt haben. Für mich ist es eine Biennale der subtilen politischen Auseinandersetzungen und mit Schwerpunkt auf den Künstlern, die Kuratoren haben sich sehr zurückgenommen.
    Skepsis angesichts der künftigen Freiräume für Kunst
    Maja Ellmenreich: Nun ist die Biennale-Stiftung staatlich unabhängig. Und doch stelle ich mir die Frage, ob die türkische Regierung womöglich diese kulturelle Großveranstaltung, die so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, für sich nutzen wird?
    Ingo Arend: Die Möglichkeit besteht, es gibt morgens beispielsweise ein Pressegespräch mit dem türkischen Europaminister, Ömer Celik, die Mitglieder der Regierung geben sonst nicht so viele Interviews. Trotzdem bin ich sehr skeptisch, was die zukünftigen Freiräume für die Kunst in der Türkei anbetrifft. Die Regierung will dieses Land sehr stark umgestalten, und ich glaube nicht, dass die Kunst dieselbe Möglichkeit hat, sich als Medium der Demokratisierung zu inszenieren wie in den 90er Jahren.