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Beginn des "Deutschen Herbstes"

Am 30. Juli 1977 erschoss ein Kommando der RAF den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Es war das erste Mal, dass die RAF einen Wirtschaftsführer ins Visier nahm. Mit dem Mord am Bankier Ponto begann eine blutige Terrorserie, die später als "Deutscher Herbst" in die Geschichte einging.

Von Oliver Tolmein | 30.07.2007
    Als am 30. Juli 1977 drei gut gekleidete junge Leute an der Tür der Villa des Dresdner-Bank-Chefs Jürgen Ponto klingelten, schien es ein Freundschaftsbesuch zu sein: Die Schwester von Pontos Patentochter und ihre beiden Begleiter hatten einen Blumenstrauß dabei. Tatsächlich sollte es eine Entführung werden. Es wurde aber ein Mord: Als Jürgen Ponto sich wehrte, schossen zwei Mitglieder des RAF-Kommandos. Tags darauf zeichnete ein Sprecher der Bundesanwaltschaft den Tatverlauf nach dem Stand der ersten Ermittlungen nach:

    "In der Halle kam es zu einem Handgemenge zwischen Jürgen Ponto und den Tätern, als er offenbar in deren Gewalt gebracht werden sollte. Im Verlauf des Handgemenges fielen Schüsse, die nach einem ersten kriminaltechnischen Gutachten aus zwei verschiedenen Waffen des Kalibers 45 abgefeuert wurden. Es wurden sechs Hülsen und vier Projektile gefunden. Wir gehen davon aus, dass dieser hinterhältige Mordanschlag der Terroristenszene zuzurechnen ist."

    Zwei Wochen später und nach heftigen Diskussionen innerhalb der RAF über die Ursachen des Fehlschlags gingen bei mehreren Zeitungen Schreiben ein – anders als alle anderen Erklärungen der RAF sind sie handschriftlich unterzeichnet – von "Susanne Albrecht – aus einem Kommando der RAF":

    "Zu Ponto und den Schüssen, die ihn jetzt in Oberursel trafen, sagen wir, dass uns nicht klar genug war, dass diese Typen, die in der Dritten Welt Kriege auslösen und Völker ausrotten, vor der Gewalt, wenn sie ihnen im eigenen Haus gegenüber tritt, fassungslos stehen."

    Auf der Trauerfreier zeichnete der damalige Wirtschaftsminister Hans Friderichs, der wenig später Nachfolger Jürgen Pontos werden sollte, ein ganz anderes Bild des Toten – und versuchte den Anschlag einzuordnen:

    "Betroffen von diesem hinterhältigen Mord sind aber nicht nur seine Angehörigen und Bekannte. Getroffen ist vor allem auch unsere freiheitliche Ordnung. Warum gerade dieser Mann? Er war kein Repräsentant des Staates, den Terroristen mit der Waffe bekämpfen, er war kein Mann der Politik, der Strafverfolgung, der Rechtsprechung. Warum also Jürgen Ponto? Er war eben auch ein Repräsentant einer Ordnung geworden, die in ihrer idealen, keineswegs immer erreichten Ausprägung wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit, harte Tagesarbeit mit praktizierter Humanität, geschäftlichen Spürsinn mit kultureller Verantwortung verbindet. Er war eben das Gegenteil des Zerrbildes, das über Wirtschaftsführer nicht immer ohne Wirkung verbreitet wird."

    Das nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback im Frühjahr ohnedies angespannte politische Klima verschärfte sich zusehends. Charakteristisch dafür ist die Verhaftung von Eleonore Poensgen in Frankfurt, gegen die trotz zahlreicher Alibi-Zeugen aus ihrem Freundeskreis ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofes erwirkt werden konnte. Die "Welt" brachte damals die aufgeheizte Stimmung auf den Punkt:

    "Das Fräulein Poensgen hat für ein Alibi vorgesorgt und vertraut darauf, ohne Indizien nicht verurteilt werden zu können. Der anarchistischen Sympathisantenszene kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Parallelen zur amerikanischen Banden-Mentalität sind unübersehbar. Ist das die neueste Taktik der Terroristen und ihre bisher infamste Herausforderung an den Rechtsstaat?"

    Erst als ein jeder Sympathie mit der RAF unverdächtiger Straßenbahnschaffner die Verdächtige entlastet und auch keine weiteren Indizien gegen sie vorgelegt werden können, kommt sie frei. 1984 und 1985 werden Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Peter Jürgen Boock als Mittäter an der Ermordung Jürgen Pontos zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt ist Susanne Albrecht längst in der DDR untergetaucht. 1991 ergeht auch ein Urteil gegen sie wegen Beteiligung an der Tat: Als Kronzeugin, die umfangreiche Aussagen macht, erhält sie zwölf Jahre Haft. Das Oberlandesgericht Stuttgart hält in seinem Urteil fest:

    "Der Werdegang von Susanne Albrecht zeigt, dass sie sich langsam, aber stetig von der Sympathisantenszene über die Unterstützerszene bis zu dem Bereich bewegt hat, wo sie schließlich anlangte: der Illegalität. Von einem Hineinschlittern kann keine Rede sein."

    Nach sechs Jahren Inhaftierung wurde sie 1996 entlassen und arbeitet seitdem in ihrem erlernten Beruf: als Deutschlehrerin für Migrantenkinder in einer Bremer Grundschule.