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Begründer der Fotografie als Kunst

"Walker Evans American Photographs" - so heißt eine aktuelle Ausstellung im MoMA. Mit der Schau würdigt das New Yorker Museum einen der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Vor 75 Jahren war Evans der erste Fotograf, dem das Museum of Modern Art eine Einzelausstellung widmete und die Fotografie somit zur Kunstform erhob.

Von Sacha Verna | 21.07.2013
    Mit einer Flasche Bourbon und einer Tube Leim soll sich Walker Evans eingeschlossen haben, um in einer Nacht die erste Einzelausstellung einzurichten, mit der das Museum of Modern Art einen Fotografen beehrte – nämlich ihn. Das war 1938 und Evans 34 Jahre alt. Mit dem Fotografieren hatte der Studienabbrecher und Sohn aus begütertem Hause erst zehn Jahre zuvor begonnen.

    Walker Evans sei im Lauf seiner Karriere vielleicht nuancierter geworden, sagt die Kuratorin Sarah Hermanson Meister, aber seinen unverwechselbaren Stil habe er sich bereits in jener ersten Dekade seines Schaffens erarbeitet.

    "Evans ließ seine Fotografien bewusst unkünstlerisch aussehen. Sie verfügen weder über avantgardistische Einstellungen noch über die Verschwommenheit des Piktorialismus, sondern gleichen in ihrer Direktheit Schnappschüssen oder Beispielen aus der kommerziellen Fotografie. Evans formulierte damit eine neue Bildsprache, von der er sagte: Diese Fotos sehen nicht aus wie Kunst und genau darin besteht ihre Kunst."

    Sarah Hermanson Meister hat für die Ausstellung zum 75. Jubiläum von Walker Evans' spektakulärem Debüt sechzig der ursprünglich hundert Bilder ausgewählt. Zahlreiche davon sind in die Fotografiegeschichte eingegangen: die dicke Frau vor der gestreiften Fassade eines Barbiers in New Orleans. Der schlanke Schwarze im weissen Anzug neben einer Coca-Cola-Werbung. Und natürlich die Aufnahmen, die Evans im Auftrag der Regierung im ländlichen Süden von verarmten Pächterfamilien machte. Fotografien wie diese stehen für das Amerika zur Zeit der großen Depression schlechthin.

    Walker Evans habe seine Bildsequenzen gerne als "lyrische Dokumentationen" bezeichnet:

    "Das weist darauf hin, dass es sich um ein konstruiertes Bild von Amerika handelt. Und doch zeigt jede Aufnahme etwas, das überall als typisch amerikanisch erkannt wird. So entsteht eine breitere Vision der Vereinigten Staaten und ein Bildvokabular, das bei Nachkriegskünstlern wie Robert Rauschenberg, Jasper Johns und Andy Warhol nachklingt."

    Mit Walker Evans feiert das Museum of Modern Art nicht nur einen der bedeutendsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein bisschen sich selber:

    "Indem es Fotografie zur Kunst und einen Fotografen einer Einzelausstellung für würdig erklärte, löste das Museum sein Versprechen ein, alle Disziplinen der Moderne zu beachten, nicht nur die Malerei und die Bildhauerei. Das war ein entscheidender Moment."

    Ein entscheidender Moment, dank dem die Andreas Gurskys, Thomas Demands und Cindy Shermans von heute mit ihrer Fotokunst Millionen verdienen.