Samstag, 20. April 2024

Archiv


Bei Anruf Krebs?

Rund 55 Millionen Deutsche haben inzwischen ein Mobiltelefon und noch immer weiß niemand, ob sie dadurch ihrer Gesundheit nachhaltig schaden. Kann die Strahlung der Handys genetische Schäden verursachen? Kann sie Krebs auslösen oder die Blut-Hirn-Schranke durchlässig machen? Oder sind unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte keine Gefahren zu befürchten? Auch nach mehr als 300 wissenschaftlichen Studien herrscht weitgehend Unklarheit über die gesundheitlichen Folgen des mobilen Telefonierens. Zu jedem Experten findet sich ein Gegenexperte, zu jeder Unbedenklichkeitserklärung ein alarmierender Befund.

Sascha Ott | 20.07.2003
    Um inmitten des babylonischen Studiengewirrs um die Handystrahlung endlich zu gesicherten und unabhängigen Ergebnissen zu gelangen, haben WHO und EU mehrere groß angelegte Untersuchungen in Auftrag gegeben, die den Auswirkungen der Handystrahlung auf allen Ebenen des Organismus auf den Grund gehen sollen: Möglichen Schädigungen des Erbgutes wird dabei ebenso nachgegangen wie dem Wachstum von Tumoren im Tierversuch und den Hintergründen bereits bestehender Erkrankungen beim Menschen anhand des Telefonierverhaltens der Patienten. Wissenschaft im Brennpunkt stellt die wichtigsten aktuellen Studien vor und gibt einen Überblick über die kontroverse Diskussion der bisherigen Ergebnisse.

    Manuskript zur Sendung

    Einen wunderschönen und auch strahlenden Tag im doppelten Sinne, denn neben der Sonne, unserem Energieversorger hier auf der Erde, strahlt es in München besonders intensiv seit vielen Jahren durch die Mobilfunkantennen auf den Hausdächern. Wir haben bedauerlicherweise in München die größte Sendedichte in der Bundesrepublik....

    Eine Kundgebung auf dem Münchener Marienplatz Anfang Juni. Bürgerinitiativen aus ganz Bayern protestieren gegen den weiteren Ausbau des Mobilfunknetzes in München. Ein Transparent warnt vor einem "Freilandversuch am Menschen". Kopierte Handzettel malen die Gefahr in schrillen Farben. Die besorgten Bürger fühlen sich mit ihrer Angst vor der Mobilfunkstrahlung nicht ernst genommen. Ein Lokalpolitiker bekommt dies auf seinem Weg ins Rathaus zu spüren.

    Kein Mensch schützt uns Bürger! Kein Mensch informiert uns Bürger! Wenn jemand die Bürger informiert, dann sind es wir Bürgerinitiativen. Wir hängen dann nachts die Zettel auf! Niemand erfährt es sonst! Und diese Grenzwerte schützen uns nicht.

    Da stimme ich Ihnen ja zu. Aber da sind wir der falsche Adressat. Wir sind auch Opfer dieser Grenzwerte.

    Ja, aber dann verstehe ich nicht, warum sie...

    Aber Sie sind einer der Adressaten! Herr Tannhäuser, da sind wir unterschiedlicher Auffassung...

    Die Bürgerinitiativen stützen ihren Protest nicht nur auf ein subjektives Gefühl der Unsicherheit - in ihren Handzetteln und Broschüren berufen sie sich auf wissenschaftliche Ergebnisse. Aus Studien gehe hervor, welche Gesundheitsgefahren den Benutzern der Mobiltelefone drohten. Renate Schwenkner-Bauer von der Initiative "Funkpause".

    Also das, was uns in der Zwischenzeit bekannt ist, sind Hirntumore, Leukämie, Krebs allgemein und auch Infarkte. Also das ist das, was mir jetzt so spontan einfällt.

    Mitte Mai im gediegenen Jacobi-Haus in Düsseldorf. Kronleuchter hängen von stuckverzierten Decken, moderne Kunst an den Wänden. Der Mobilfunkbetreiber E-plus bittet zur Pressekonferenz. Vor dem Goethe-Zimmer wartet ein kleines aber erlesenes Frühstücksbuffet auf die geladenen Journalisten. Die besten Happen sind schon verschwunden als der E-plus-Sprecher das Wort ergreift.

    "... zum heutigen Pressegespräch begrüßen. Anlass des Gespräches heute ist die Fertigstellung zweier Studien zu den angeblichen Gefahren von Mobilfunk und hier mit besonderem Fokus auf UMTS.

    Mit der finanziellen Unterstützung des Mobilfunkanbieters haben zwei Forschergruppen die Wirkung von Mobilfunkstrahlen der neuesten Generation, von UMTS-Strahlen untersucht. Im Blickpunkt standen die menschliche Muskelreaktion und ein Pflanzenmodell. Die Ergebnisse der Wissenschaftler verwundern niemanden. Prof. Jiri Silny vom Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit in Aachen:

    Die Ergebnisse zeigen, dass diese Mikrowellen, wie sie bei UMTS verwendet werden, keinen Einfluss auf die Erregungsschwelle von Neuronen, Nerven und Muskeln haben.

    - und Prof. Guenter Nimtz, Physiker von der Universität Köln:

    Wir haben mehr bestrahlt, die Intensität war höher als das, was eigentlich erlaubt ist, aber wir haben nichts gefunden.

    - konnten keine Hinweise auf gesundheitliche Gefahren entdecken. Die Wissenschaftler schreiben dazu korrekterweise, Risiken seien nicht nachgewiesen worden. Sie lassen also letztlich offen, ob andere Experimente nicht doch Befunde erbringen könnten. Ihr Auftraggeber geht einen deutlichen Schritt weiter. In der Pressemitteilung heißt es wörtlich: "Die Studien zeigen, dass von den Funkwellen des UMTS-Systems keine biologischen Wirkungen ausgehen."

    Elektromagnetische Wellen umgeben uns überall. Sie stammen aus natürlichen Quellen wie der Sonne oder werden technisch erzeugt, wie beim Mobilfunk. Entscheidendes Charakteristikum ist ihre Frequenz: Das Spektrum reicht von den niederfrequenten 50 Hertz des Netzstroms bis hoch zu den Röntgen- und radioaktiven Strahlen, der sogenannten ionisierenden Strahlung bei mehr als 10 hoch 18 Hertz. Der Mobilfunk liegt mitten dazwischen im Bereich der hochfrequenten, aber noch nicht ionisierenden Strahlung bei etwa 1000 bis 2000 Megahertz.

    Kaum ein wissenschaftlicher Forschungsbereich wird seit Jahren so kontrovers diskutiert wie die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks. Auf jede Studie folgt eine Gegenstudie, zu jedem Experten gibt es einen Gegenexperten. Bisher gibt es nur wenige Ergebnisse über die man sich einig ist. Als erwiesen gilt, dass ein durchschnittliches Handytelefonat eine leichte Erwärmung von wenigen zehntel Grad am Kopf erzeugt - für eine körperliche Schädigung ist diese thermische Wirkung aber eigentlich zu gering. Daher suchen die Forscher nach sogenannten athermischen Wirkungen, die nichts mit der Erwärmung von Körpergewebe zu tun haben. Und hier gilt: Man weiß, dass man nichts weiß. Jenseits dieser Gewissheit beginnt die Diskussion, erklärt der Risikoforscher Peter Wiedemann vom Forschungszentrum Jülich.

    Der Dissens, das heißt die unterschiedlichen Auffassungen beginnen bei der Frage: Gibt es denn möglicherweise Hinweise oder gibt es möglicherweise einen Verdacht, dass es so was geben könnte? Und hier unterscheiden sich in der Tat Wissenschaftler voneinander. Und die macht den Kern der Kontroverse aus.

    Diese unübersichtliche Kontroverse soll in den kommenden Jahren durch neue Fakten versachlicht werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Europäische Union haben großangelegte internationale Studien initiiert, die endlich unabhängige stichhaltige Ergebnisse hervorbringen sollen. Das Augenmerk der Forscher richtet sich dabei im Wesentlichen auf drei verschiedene Ebenen: In Zellstudien wollen sie den Einfluss von Handystrahlung auf das menschliche Erbgut untersuchen. In Tierversuchen soll die Wirkung auf Ratten und Mäuse erforscht werden. Und sogenannte epidemiologische Untersuchungen schließlich sollen Aufschluss über den Effekt auf die menschliche Gesundheit insgesamt geben.

    1999 berichten schwedische Epidemiologen von einem erhöhten Risiko für eine bestimmte Hirntumorart an dem Ohr, mit dem telefoniert wird. Andere Studien können diesen Befund nicht bestätigen. Essener Forscher finden Anfang 2001 in einer epidemiologischen Studie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Augentumor. Wenig später gerät die Studie wegen methodischer Mängel in die Kritik.

    So, dann beginnen wir jetzt mit dem Fragenkomplex. Ich möchte Ihnen zunächst einige Fragen zur Nutzung von Mobiltelefonen, den sogenannten Handys, stellen. Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Handy benutzt?

    Ja.

    Haben Sie jemals regelmäßig ein Handy benutzt? Mit regelmäßig meine ich, ob Sie über einen Zeitraum von sechs Monaten wenigstens einmal pro Woche telefoniert haben....

    Eva Böhler trägt die Antworten ihres Gegenübers in einen Fragebogen in ihrem Computer ein. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik in Mainz. Die Interviews gehören zur INTERPHONE-Studie, mit der die WHO den Zusammenhang zwischen elektromagnetischer Strahlung und Hirntumoren aufklären will. Mehr als 15.000 Menschen aus 14 Ländern sollen bis zum Ende des Jahres interviewt werden. Der festgelegte Fragebogen konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Bereiche: die Telefoniergewohnheiten einerseits und demgegenüber die Gesundheit des Befragten andererseits.


    Nun möchte ich Sie über Ihre Rauchgewohnheiten befragen: Haben sie jemals regelmäßig Tabak geraucht? Mit regelmäßig meine ich, dass Sie Zigaretten, Zigarren oder Pfeife wenigstens einmal pro Tag für sechs Monate oder mehr geraucht haben.

    Nein.

    Haben Sie nicht - dann können wir gleich weitergehen zur medizinischen Vorgeschichte...

    Das Prinzip der Studie ist, dass zum einen Hirntumor-Patienten befragt werden, zum anderen eine gesunde Kontrollgruppe. Durch den Vergleich der beiden Gruppen soll sich dann zeigen, ob sich im Verhalten der Tumorpatienten irgendeine Besonderheit, irgendein Hinweis auf die Ursache ihrer Erkrankung finden lässt. Der Mainzer Epidemiologen Joachim Schüz hat dabei besonders den Mobilfunk im Visier.

    Eine ganz wichtige Fragestellung dieser Studie ist natürlich die Handynutzung. Es gibt Hirntumortypen, die viel interessanter sind, was die Mobilfunkstrahlung angeht als andere. Da wäre zum einen zu nennen das Akustikus-Neuronom, der Tumor des Hörnervs, weil er an der Stelle wächst, wo die Hauptstrahlung auch ankommt. Oder beispielsweise auch das Gioplastrom, das ist ein Tumor, der sehr schnell wächst, wo wir eventuell die Hypothese haben, ob vielleicht das Tumorwachstum durch die Mobilfunkstrahlung angeregt wird.

    Diesen Zusammenhang eindeutig epidemiologisch nachzuweisen, ist aber nicht leicht. Vor allem die Antworten der bereits erkrankten Personen müssen mit Vorsicht ausgewertet werden. Denn es wurde beobachtet, dass Patienten rückblickend die möglichen Ursachen ihrer Krankheit verstärken, also zum Beispiel irrtümlich die Zahl ihrer Handytelefonate vor der Krankheit zu hoch angeben.

    Womit wir dem jetzt in unserer großen WHO-Studie ein wenig entgegentreten möchten, ist, dass wir sogenannte Validierungsstudien unternehmen. Das heißt, es gibt Länder, wo man retrospektiv Daten der Netzwerkbetreiber hat, die man mit den Selbstangaben der Probanden abgleichen kann. Also grob gesagt: Ob frühere Telefonrechnungen in etwa mit dem überein stimmen, was die Probanden als Telefoniergewohnheit für den damaligen Zeitraum angegeben haben.

    Aber die Probleme der epidemiologischen Studie sind nicht nur psychologischer sondern auch grundlegend technischer Natur. Die Strahlenbelastung beim mobilen Telefonieren ist nicht immer gleich. Bei schlechtem Empfang erhöhen die Telefone ihre Strahlleistung mitunter beträchtlich. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Abstand zur nächsten Sendestation zu groß ist oder der Empfang im Auto durch die Karosserie abgeschirmt wird.

    Das heißt, es ist ja noch nicht mal automatisch gesagt, dass jemand, der das Telefon zehnmal die Woche nutzt, tatsächlich eine höhere Strahlenbelastung hat als jemand, der das Handy fünfmal pro Woche benutzt. Und das eruieren wir ebenfalls in einer kleinen Teilstudie, in der wir freiwilligen Probanden Handys ausgeteilt haben, die Strahlenwerte aufzeichnen. Und darüber werden wir später evaluieren können, ob tatsächlich ein häufigeres Nutzen des Handys auch mit einer größeren Strahlenbelastung einhergeht.

    Der epidemiologische Ansatz ist also durchaus fehleranfällig. Aber er ist der einzige Weg, um die Auswirkungen des Mobilfunks auf die menschliche Gesundheit insgesamt zu untersuchen. Dummerweise arbeitet die Zeit gegen die Epidemiologen. Denn es wird immer schwerer, Probanden zu finden, die nicht mobil telefonieren, also als unbelastete Vergleichsgruppe dienen können. Die INTERPHONE-Studie ist weltweit eines der ehrgeizigsten Projekte, um endlich zu stichhaltigen Ergebnissen zu kommen. Kleinere Studien mit einigen hundert Probanden hat es in den vergangenen Jahren zu Dutzenden gegeben. Zwar zeigten sich hier und da Hinweise auf mögliche Krankheitsrisiken. Aber keines dieser Ergebnisse konnte später von anderen Gruppen reproduziert werden. Die Unsicherheit bleibt.

    Ich denke, keine Unsicherheit besteht darin, dass oberhalb der Grenzwerte es tatsächlich zu biologischen Effekten kommt. Was unterhalb der Grenzwerte passiert, da gibt es im Moment eine Restunsicherheit, aber es gibt bisher keinen einzigen biologischen Effekt oder keine Gesundheitsschädigung, die bisher unterhalb der Grenzwerte nachgewiesen wäre.

    International festgelegte Grenzwerte sollen helfen, die Strahlenbelastung des Körpers durch ein Mobilfunkgerät besser abzuschätzen. Entscheidend ist dabei die "spezifische Absorptionsrate", SAR. Sie muss vom Hersteller seit zwei Jahren in der Gebrauchsanweisung angegeben werden. Für Mobiltelefone darf der SAR-Wert höchstens 2 Watt Strahlungsleistung pro Kilogramm Gewebe betragen. Das Bundesamt für Strahlenschutz testete im vergangenen Herbst 162 Telefontypen und fand dabei SAR-Werte zwischen 0,3 und immerhin 1,7 Watt pro Kilogramm.

    Das grundlegende Problem in der wissenschaftlichen Diskussion des Mobilfunks liegt darin, dass sich ein nicht vorhandenes Risiko schlecht nachweisen lässt. Auch wenn immer mehr und immer umfangreichere Studien zu keinem Befund kommen - bewiesen ist damit letztlich nichts. Es bleibt die Unsicherheit, dass es zwar eine Gefährdung gibt, aber bisher nicht mit den richtigen Methoden gesucht wurde. Ähnlich wie in der Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel steht am Ende die Frage, wie viel Risiko sind wir bereit zu tragen? Der Risikoforscher Peter Wiedemann.

    Wir bewegen uns ja immer mehr - und das ist auch gut so - auf einen vorsorgenden Gesundheitsschutz zu und wollen hier auch bei unklaren Risiken einen Schutz bieten. Dann ist natürlich die Frage: Wie viele Beweise brauchen wir, um zu sagen, wir machen jetzt Vorsorge? Ich vergleich das immer mit einem Kriminalfall, wenn sie Indizienbeweise haben. Und da streitet auch die Wissenschaft drüber, was sind denn gute Indizien, was kann ich denn wirklich als Hinweis werten, was nicht.

    Die Beweisaufnahme im "Kriminalfall Mobilfunk" läuft auf Hochtouren. Die bisherige Indizienlage hat schon eine Reihe von Vorsorgeempfehlungen hervorgebracht: Mobiltelefone sollen nicht in die unmittelbare Nähe von Herzschrittmachern und anderen medizinischen Geräten gebracht werden, deren Funktion sie beeinträchtigen könnten. Beim Autofahren sollte die Aufmerksamkeit ganz der Straße und nicht dem Telefon gelten. Schließlich wird davor gewarnt, Kinder zu häufig mobil telefonieren zu lassen. All dies sind Warnungen aufgrund von Verdachtsmomenten. Beweise dazu gibt es bisher keine - weder aus der Epidemiologie noch aus der Forschung mit Tierversuchen.

    Im Tierversuch mit Ratten finden australische Forscher im Frühjahr 1997 ein erhöhtes Risiko für Lymphknotenkrebs nach einer Mobilfunkbestrahlung. Die Tiere sind allerdings genetisch so verändert, dass sie anfälliger für Krebs sind. Ebenfalls 1997 und noch einmal vor wenigen Monaten berichtet eine schwedische Gruppe von Hirnschäden bei Ratten, nachdem Mobilfunkstrahlen deren Blut-Hirn-Schranke geschädigt habe. Forscher der Uni Heidelberg und des Kölner Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung können die Ergebnisse aus Schweden jedoch nicht bestätigen.

    Der Befund von Lymphknotenkrebs bei Ratten in der australischen Studie hat unter den Forschern heftige Diskussionen ausgelöst.

    Diese Studie, die im australischen Bereich gelaufen ist, ist einer der Gründe, weshalb diesem Verdacht nachgegangen werden soll.

    Jochen Buschmann hat sich am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover auf diese Fragen spezialisiert. Bereits Ende der 90er Jahre hat er in einer Studie trächtige Rattenweibchen einem Mobilfunkfeld ausgesetzt, oder wie er sagt, er hat sie "befeldet".

    Die trächtigen Rattenweibchen wurden gegenüber einem GSM-Feld, das ist das Feld, dass ein Handy aussendet, exponiert. Und unser Untersuchungsziel war, festzustellen, ob eine solche Befeldung während der Trächtigkeit bei Ratten zu angeborenen Fehlbildungen bei den Nachkommen führen kann.

    Die Ergebnisse damals waren weitgehend negativ - kein relevanter Befund. Jetzt jedoch ist Buschmann zusammen mit seinem Hannoveraner Kollegen Clemens Dasenbrock an einem wesentlich größeren Projekt beteiligt: Die EU will mit der internationalen Studie PERFORM A die australischen Ergebnisse gründlich überprüfen.

    Perform A läuft so ab, dass in mehreren Labors unterschiedliche Versuchsansätze laufen. Es werden zum einen Ratten zum anderen Mäuse untersucht und es werden sowohl die D-Netz als auch die E-Netz Frequenzen untersucht in unterschiedlichen Dosierungen.

    Forscher aus der Schweiz, Österreich und Italien haben dafür ebenso wie die Fraunhofer-Forscher einen normierten Versuchsaufbau erhalten. Er soll die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherstellen. Zwei Jahre lang wird eine Gruppe von Tieren fünf Tage in der Woche mit Mobilfunkwellen bestrahlt und anschließend mit einer unbelasteten Kontrollgruppe verglichen.

    Die Tiere werden täglich für ein bis zwei Stunden fixiert in Immobilisationsröhren einem konstanten Feld ausgesetzt. Und dann wird nach lebenslanger Befeldung, das sind bei Mäusen in aller Regel anderthalb Jahre, bei Ratten zwei Jahre, nach dieser Zeit werden die Tiere getötet und das gesamte Organspektrum histologisch untersucht und dann festgestellt, ob sich die Tumoranzahl, das heißt die Anzahl von Geschwülsten generell erhöht, ob sich bestimmte Tumortypen in gewissen Organsystemen verstärkt ausbilden im Vergleich zwischen befeldeter und nicht-befeldeter Gruppe.

    Die Experimente mit Ratten und Mäusen haben in den vergangenen Jahren immer wieder beunruhigende Verdachtsmomente für mögliche Risiken des Mobilfunks erbracht: Brustkrebs und Defekte im Immunsystem, Lymphknotenkrebs und Hirnschäden. Doch mal lag die Strahlenbelastung weit über dem Grenzwert, mal waren die Tiere vorher genetisch verändert worden. Die Aussagekraft der Studien ist also nur begrenzt. Obwohl das Tiermodell in den vergangenen Jahren immer besser verstanden wurde, bleibt letztlich auch offen, in wie weit die Ergebnisse an Ratten und Mäusen auf den Menschen übertragbar sind. Welche Rückschlüsse man aus den Ergebnissen von PERFORM A für den Menschen ziehen kann, will die EU zusammen mit der WHO 2005 beurteilen, wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen. Jochen Buschmann zeigt sich optimistisch.

    Wenn diese Studie erfolgreich abgeschlossen wird, dann sind wir erstmals in der Lage einigermaßen extrapolierbare Daten vom Tier auf den Menschen präsentieren zu können und einer Risikoabschätzung für diesen Endpunkt Kanzerogenität, Krebs, sind wir dann wesentlich näher.

    Die Telefone in den einzelnen Mobilfunknetzen senden mit unterschiedlichen Frequenzen. Während das D-Netz mit etwa 900 MHZ arbeitet, ist die Frequenz der Strahlung im E-Netz gut doppelt so hoch. Noch höher liegt die Frequenz im Mobilfunknetz der Zukunft, dem UMTS-Netz: Dort sind es 2000 MHz. Kritischer als die Frequenzen betrachten Mediziner allerdings die sogenannte Pulsung der Signale. Die Geräte in D- und E-Netz übertragen ihre Gespräche nicht kontinuierlich sondern zerstückelt in mehr als 200 Häppchen pro Sekunde. Dieses ständige An- und Abschalten der Strahlung steht im Verdacht, den Körper besonders zu belasten. Im UMTS-Netz fällt diese Pulsung weg.

    Vor wenigen Wochen veröffentlichte eine internationale Forschergruppe die Ergebnisse ihrer Untersuchung über Auftragsstudien. Sie waren der Frage nachgegangen: Wie verändern sich die Ergebnisse einer Studie, wenn sie von bestimmten Interessensgruppen, zum Beispiel Pharmafirmen oder Industriekonzernen, finanziert wird? Das Ergebnis war nicht besonders überraschend: Wenn Firmen den Forschern Geld geben sind die Ergebnisse meist verzerrt - zugunsten der Industrie. Mit diesem Glaubwürdigkeitsproblem haben auch die Wissenschaftler zu kämpfen, die im Auftrag der Mobilfunk-Konzerne zum Ergebnis kommen, dass Handy-Strahlung gesundheitlich unbedenklich ist. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille: Denn andererseits besteht auch die Gefahr, dass Forscher, um Aufsehen zu erregen, unbedingt zu alarmierenden Ergebnissen kommen wollen. Der Kölner Physiker Günter Nimtz:

    Für die Leute, die davon Leben ist das natürlich frustrierend und da wird man dann etwas leichtsinnig. Das ist verlockend, verführerisch, dass man dann etwas nachlässig wird. Also das ist bei uns in Köln sogar passiert vor 20 Jahren.

    Verstärkt wird dieses Spannungsfeld aus alarmierenden Risiken und beschwichtigenden Freibriefen für den Mobilfunk durch die große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Der Aachener Mobilfunkforscher Jiri Silny sieht die Kontroverse sogar weniger unter den Wissenschaftlern als in den Medien.

    Wenn Sie sich die wissenschaftlichen Publikationen anschauen, dann sehen Sie, dass sie wesentlich differenzierter auch eigene Ergebnisse präsentieren. Etwas Anderes ist, was die Presse daraus macht. Die greifen ein paar Sätze heraus und die werden weiterpräsentiert.

    So zum Beispiel sei es geschehen mit den jüngsten Ergebnissen aus dem Berliner Uni-Klinikum. Während die Forscher betonten, man wisse noch nicht, welche Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen seien, war in den Zeitungen von Tumorgefahr und verändertem Erbgut zu lesen. Die Gruppe um den Mediziner Rudolf Tauber hatte den Einfluss der Mobilfunkstrahlen auf die menschliche DNA untersucht. Damit erreichen wir die tiefste, die mikroskopischste Stufe der Handy-Forschung.

    1998 zeigen sich in einer amerikanischen Studie Hinweise auf Brüche in der Erbsubstanz DNA als Folge von Mobilfunkstrahlen. Andere Untersuchungen können den Befund für Strahlung unterhalb der Grenzwerte nicht bestätigen. Auf dem Deutschen Ärztekongress 2003 berichten Heidelberger Forscher von erhöhter Proteinsynthese in den Zellen, einer Stressreaktion unter dem Einfluss von Mobilfunkstrahlung. Auf dem gleichen Kongress legen auch die Berliner Mediziner ihre Ergebnisse vor: Sie fanden nach einer Bestrahlung menschlicher Stammzellen dreimal so viele Strangbrüche in der DNA wie normalerweise.

    Hier sind wir im Gewebekulturlabor. Zellen werden hier gezüchtet. Praktisch alle Zellen, die man kaufen kann und sie können Tausende von Zelltypen kaufen.

    Im Labor des Biophysikers Hans-Albert Kolb an der Universität Hannover.

    Und jetzt haben wir zwei Boxen hier. Und diese zwei Boxen dienen dazu in diesem Fall niederenergetische elektrische Felder anzulegen an eine solche Zellkultur.

    Die Zellkulturen bestehen zum einen aus Eierstockzellen von Ratten, zum anderen aus menschlichen Gebärmutterkrebszellen. Sie werden in kleinen Plastikschalen herangezüchtet, die in einer Metallbox gestapelt werden. Die zweite Box präpariert Kolb auf genau identische Weise mit Zellkulturen.

    Das ist also das Doppel dazu. Und in diesen Brutschrank kommen beide hinein und jetzt wird das Feld appliziert über eine Apparatur, einen Computer. Und wir wissen nicht, in welcher Box jetzt das Feld angelegt ist.

    Wo das Feld anliegt, weiß nur ein Institut in Zürich, das die Boxen konstruiert hat. Dorthin schicken die Hannoveraner Forscher auch nach den Versuchen ihre Ergebnisse, ohne zu wissen, welche Daten von den bestrahlten und welche von den unbestrahlten Zellkulturen stammen. Diesem sogenannten Doppelblind-Verfahren unterwerfen sich insgesamt 14 Arbeitsgruppen in sechs Ländern im Rahmen einer großen EU-Studie. Ziel des Projekts ist es, die unterschiedlichen Hinweise auf genetische Schäden durch Mobilfunkstrahlen zu überprüfen.

    Die eindeutigsten Effekte findet man auf der Gen-Ebene. Da hat man hochauflösende Methoden, mit denen man feststellen kann, ob Ein- oder Doppelstrangbrüche nach einer Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern also auch Mobilfunkfrequenzen auftreten und das ist der Fall bei einer Reihe von Zellsystemen. Nicht bei allen Zellsystemen. Zellen in Blut, wie zum Beispiel die Lymphozyten, die teilen sich nicht, die werden einmal gebildet und nach einigen Monaten sterben sie ab - da findet man praktisch keine Effekte. An anderen Zellen, die sehr schnell wachsen, findet man verstärkt Effekte gegenüber solchen Zellen, die sehr langsam wachsen.

    Je größer allerdings die Einheiten sind, die man betrachtet, desto schwieriger wird es, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Während Brüche in der DNA noch relativ leicht zu untersuchen sind, ist es schon wesentlich schwieriger die Auswirkungen dieser Brüche auf die Produktion der Proteine und die Vorgänge in der gesamten Zelle zu beschreiben.

    Wir haben einen sehr komplizierten Mechanismus in der Zelle, der zunehmend aufgeklärt wird mit zellbiologischen und molekularbiologischen Methoden. Das ist die gesamte Logistik des Sortierens und des Verschickens von Proteinen innerhalb einer Zelle. Und dieser Mechanismus, der scheint in einem oder zwei Fällen, soweit wir das sagen können, beeinflussbar zu sein. Da werden Proteine bewegt, da findet ein Transport statt und jeder weiß, wenn ich geladene Teilchen in einem Feld bewege, dann gibt es eben da Wechselwirkungen, die eben da zu einer Störung dieser Logistik führen können.


    Diese Wechselwirkungen müssen aber nicht immer identisch sein. Daher haben amerikanische Physiker die Theorie entwickelt, es liege an den individuell unterschiedlichen Biofrequenzen in Lebewesen, dass die Schäden durch elektromagnetische Strahlung so schwer zu reproduzieren sei. Strahlung, die in einem Organismus zu gravierenden Schäden führe, könne in einem anderen kaum Effekte auslösen. Der Hannoveraner Hans-Albert Kolb geht außerdem davon aus, dass die Gefährdung durch den Mobilfunk entscheidend von individuellen Vorschäden eines Menschen abhängt, zum Beispiel durch Röntgen- oder UV-Strahlen.

    Ich denke, das wird sich erhärten, dass sich eine Vorschädigung durch UV oder andere Faktoren plus elektromagnetisches Feld nicht addieren sondern multiplizieren, ein Vielfaches bilden. Dass also eine Vorschädigung wohl, so muss man sich das wohl anschaulich vorstellen, schon ein Großteil der Reparatursysteme in Beschlag nimmt, die dann nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn noch eine weitere externe Belastung hinzu kommt wie ein elektromagnetisches Feld. Wir haben eben nur eine bestimmte Anzahl von Reparatursystemen und wenn die voll am Arbeiten sind, dann steht eben nichts mehr für die weitere Reparatur wenn noch Schäden kommen zur Verfügung.

    Ob sich dieser Verdacht wirklich bestätigt, wird sich schon in wenigen Wochen zeigen: Im August soll der EU der Abschlußbericht des internationalen Mobilfunk-Projekts vorliegen.

    Elektromagnetische Strahlung ist in unserer Umgebung allgegenwärtig: von der Hochspannungsleitung bis zum Fernseher, von der Mikrowelle bis zum Strom aus der Steckdose. Im Bereich des Mobilfunks stehen neben den Telefonen und ihren Basisstationen vor allem die Sendemasten im Kreuzfeuer der Kritik besorgter Bürgerinitiativen. Die Strahlungsleistung dieser Masten liegt deutlich höher als bei einem Handy. Da jedoch der Abstand zum Mast normalerweise immer viele Meter beträgt, während man das Telefon direkt ans Ohr hält, ist die resultierende Strahlungsbelastung auf den Körper letztlich wesentlich geringer. Im Kampf gegen die Sendemasten spielt aber nicht zuletzt auch die Wut der Bürger über die Ohnmacht gegen immer neue Anlagen in unserer Umwelt eine große Rolle.

    Es gibt einen Punkt, in dem sich fast alle Wissenschaftler, die sich mit den Auswirkungen des Mobilfunks beschäftigen einig sind: Es muss noch weiter geforscht werden. Damit fordern sie aber auch gleichzeitig: Es müssen noch weitere Millionen aus der Industrie und den öffentlichen Kassen in die Mobilfunkforschung fließen. Auf diese Weise sichert die Angst vor der Mobilfunkstrahlung einem ganzen Wissenschaftszweig die Existenz. Letztlich gibt es dazu aber auch keine Alternative. Denn die Öffentlichkeit fordert Klarheit von der Wissenschaft - und von dieser Klarheit kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rede sein. Daher, so der Risikoforscher Peter Wiedemann, sollte man sich genauso vor denen hüten, die felsenfest behaupten, es sei nun erwiesen, dass der Mobilfunk krank macht, wie auch vor denen, die beteuern, es könne gar kein Risiko bestehen.

    Jemand, der dann sagen würde: Nun habt euch nicht so! Weil die Wissenschaft hat das ja nachgewiesen, dass dies kein Risiko ist oder dass es hier keine besondere Empfindlichkeit gibt. Der argumentiert meines Erachtens immer zu kurz, weil Wissenschaft so was jedenfalls zum jetzigen Stand nicht völlig ausschließen kann.

    Der gewünschte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. The number you have dialed ist temporarily unavailable. Please try again later...

    Gesprächspartner:

    Dr. Joachim Schüz, Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, Mainz; Dr. Peter Wiedemann, Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik, Forschungszentrum Jülich; Renate Schwenkner-Bauer, Bürgerinitiative "Funkpause", München Prof. Jiri Silny, Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit, RWTH Aachen; Prof. Guenter Nimtz, Institut für Physik, Universität Köln; Eva Böhler, Wiss. Mitarbeiterin, Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, Mainz; Dr. Jochen Buschmann, Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin, Hannover; Prof. Hans-Albert Kolb, Institut für Biophysik, Universität Hannover