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"Bei den Einkommen sieht es nach wie vor ja mau aus"

Trotz der guten Wachstumsprognosen fürchtet SPD-Wirtschaftspolitiker Klaus Barthel, dass die Menschen davon wenig spüren. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Stellen vor allem um Leiharbeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse handele.

Klaus Barthel im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.11.2010
    Sandra Schulz: Wie viel Wachstum darf es denn sein? Nach dem Einbruch im vergangenen Jahr überbieten sich die Prognosen jetzt in ihrer Zuversicht. In diesen Trend passt auch das Papier des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, knapper auch Wirtschaftsweisen genannt, das die Wissenschaftler heute Vormittag vorgelegt haben. Die vier vor dem Komma ist bei ihrer Schätzung schon fast in Reichweite und auch für den Arbeitsmarkt gibt es gute Nachrichten.

    Was folgt aus den guten Zahlen? – Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Klaus Barthel, für die SPD im Bundestags-Wirtschaftsausschuss. Guten Tag!

    Klaus Barthel: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Barthel, freuen Sie sich für die Bundesregierung?

    Barthel: Ich freue mich insgesamt, dass der Aufschwung so stark ist und dass die Aussichten nicht so schlecht sind, im Interesse aller, die hoffentlich davon profitieren werden.

    Schulz: Was haben die Menschen in Deutschland von dem Aufschwung?

    Barthel: Das ist ja gerade das Problem, dass schon seit Wochen und Monaten vom Aufschwung geredet wird und auch die Wachstumszahlen ja nicht schlecht sind. Aber wenn man sich so in der Bevölkerung umhört, sagen viele, es kommt bei uns nichts an. Auf dem Arbeitsmarkt geht zwar die Arbeitslosigkeit, die registrierte, zurück, aber ein großer Teil der Stellen, die dort geschaffen werden, gehen auf prekäre Arbeitsverhältnisse zurück, also im wesentlichen auf Leiharbeit und auf befristete Beschäftigung. Und bei den Einkommen sieht es nach wie vor ja mau aus. Also von steigenden Löhnen kann im Moment ja noch gar keine Rede sein.

    Schulz: Es wird von einem Anstieg von ungefähr drei Prozent ausgegangen. Selbst die Rentner bekommen wohl mehr. Verstehen Sie es überhaupt, dass die Leute alle sagen, bei uns kommt nichts an?

    Barthel: Ja, ich verstehe das, weil bisher ja tatsächliche Lohnsteigerungen in diesem Jahr, im zweiten Halbjahr zum Beispiel 2010, überhaupt nicht stattgefunden haben. Viele Tarifverträge laufen einfach weiter. Das heißt, es hängt sehr von einzelnen Unternehmen ab, ob die freiwillig was draufzahlen. Aber das tut ja nur ein geringer Teil, wie wir bisher gehört haben. Und wenn man von einer Reallohnsteigerung von 2,7 Prozent redet, so wie der Bundeswirtschaftsminister, dann würde das ja heißen, dass brutto mindestens vier Prozent drin sein müssten. Aber die Bundesregierung tut ja überhaupt nichts, um zum Beispiel durch vernünftige Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt die Lohnentwicklung auch zu unterstützen. Das heißt, tatsächlich landet im Moment noch gar nichts in der Tasche der Beschäftigten.

    Schulz: Aber weniger als drei Millionen Arbeitslose in Deutschland, sind das nicht vernünftige Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt?

    Barthel: Wie gesagt, es ist natürlich schön, jeder der eine Beschäftigung findet, ist uns natürlich lieb und recht. Bloß die Frage ist wirklich, welche Qualität haben diese Arbeitsplätze, und wenn sich die Konjunktur nicht so toll weiterentwickelt, sind die sehr schnell wieder weg, eben weil es nicht nur, aber überwiegend sich um ungesicherte Jobs handelt und das Problem dieses Ausfransens des Arbeitsmarktes nach unten überhaupt nicht gelöst ist und die Bundesregierung, Stichwort Mindestlohn, Stichwort neue Regelungen bei der Leiharbeit, zwar hier und da was ankündigt, aber überhaupt nichts tut.

    Schulz: Aber ich habe Sie schon grundsätzlich richtig verstanden, dass Sie dem Bundeswirtschaftsminister Brüderle, der sich ja auch für höhere Löhne ausgesprochen hat, grundsätzlich dankbar sind?

    Barthel: Ja. Dass er das für richtig und notwendig findet, da kann ich ihn nur unterstützen. Nur Herr Brüderle ist ja bekannt dafür, dass er vieles erzählt, aber wenig bis gar nichts tut, oder sogar zum Teil das Gegenteil von dem tut, weil die FDP und das Wirtschaftsministerium ja zum Beispiel in der Frage Reformen am Arbeitsmarkt, Reregulierung des Arbeitsmarktes, oder zum Beispiel der Frage Mindestlöhne immer auf der Bremse steht.

    Schulz: Aber den anderen Ansatz der FDP, wenn Sie auch sagen, das komme bei den Menschen nicht an, Steuersenkungen zu fordern, den halten Sie dann für richtig?

    Barthel: Nein. Allgemein gibt es keinen Spielraum für Steuersenkungen, sondern man kann natürlich und wir wollen Korrekturen im Steuersystem, insbesondere was die Belastung der mittleren Einkommen betrifft. Aber das muss aufgefangen werden durch eine höhere Belastung der Vermögen und der Kapitalerträge und der Spitzeneinkommen, weil der Staat dringend das Geld braucht, um die notwendigen Investitionen zu tätigen, insbesondere ins Bildungssystem zum Beispiel, aber auch in die öffentliche Infrastruktur. Da haben wir einen Riesennachholbedarf und ich bin sehr froh, dass der Sachverständigenrat diesen Aspekt sehr deutlich hervorhebt, dass im Grunde kein Spielraum für allgemeine Steuersenkungen da ist und dass Deutschland einmal aus dem Grund heraus, Konjunkturlokomotive sein und bleiben zu wollen in Europa, aber auch einfach aus dem Bedarf, den wir in Deutschland hier aufgestaut haben, unsere Investitionen, die öffentlichen Investitionen deutlich steigern müssen.

    Schulz: Wir haben es ja gerade schon gehört: Die Binnennachfrage ist schon gestärkt. Ist dieser Vorwurf, wir müssen hier in Deutschland mehr tun, überhaupt noch aktuell?

    Barthel: Die Binnennachfrage ist vor allen Dingen deswegen gestärkt, weil noch die Konjunkturprogramme, die der Herr Brüderle ja immer bekämpft hat, wirken. Diese Investitionen in den öffentlichen Sektor, die wirken noch nach. Aber die laufen ja erklärtermaßen, jedenfalls nach den Plänen der Bundesregierung, jetzt aus und da kommen wir in eine ganz schwierige Situation rein. Auch an der Stelle der privaten Nachfrage haben wir ja eine Achillesferse. Wenn es nicht tatsächlich gelingt, bei den Einkommen der breiten Massen, also im Wesentlichen bei den Lohneinkommen, tatsächlich real was draufzusatteln, dann wird die Binnennachfrage sehr schnell zurückgehen, und das sind ja auch die Risiken, die der Sachverständigenrat ganz klar benennt.

    Schulz: Klaus Barthel, der Wirtschaftspolitiker der SPD-Fraktion im Bundestag, heute in den "Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank für dieses Interview.

    Barthel: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören!