Dienstag, 19. März 2024

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Being Stephen Hawking
"Die Rolle birgt viel Versagenspotenzial"

Eddie Redmaynes Darstellung des Astrophysikers Stephen Hawking in "Die Entdeckung der Unendlichkeit" gilt bereits jetzt als oscarverdächtig. Im Corsogespräch erzählt der 33-jährige Schauspieler von der zeitaufwendigen Vorbereitung, der Chaotik seines Nomadenlebens und dem Streben nach nie erreichter Perfektion.

Schauspieler Eddie Redmayne im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 19.12.2014
    Filmpremiere von "The Theory Of Everything" ("Die Entdeckung der Unendlichkeit") in London Physiker Stephen Hawking und der englische Schauspieler Eddie Redmayne
    Physiker Stephen Hawking und der englische Schauspieler Eddie Redmayne bei der Filmpremiere von "The Theory Of Everything" ("Die Entdeckung der Unendlichkeit") in London. (Imago stock & people)
    Sigrid Fischer: Man hat das Gefühl, die Rolle ist wie für Sie gemacht. Aber es heißt, Sie hätten sehr hart darum gekämpft. Wie macht man das, für eine Rolle, ein Drehbuch kämpfen?
    Eddie Redmayne: Bei jedem Projekt, das anders ist als das, was man bisher gemacht hat, muss man die Leute erst mal davon überzeugen, dass man in der Lage ist, diese Rolle zu spielen. In diesem Fall wurde mir das Drehbuch zugeschickt über meinen Agenten. Ich dachte, es sei eine Stephen Hawking Filmbiografie, aber tatsächlich ist es eine komplizierte, leidenschaftliche Liebesgeschichte.
    Das entsprach gar nicht meinen Erwartungen. Aber ich mag Regisseur James Marsh sehr, deshalb wollte ich es trotzdem machen. Aber man muss es erst mal schaffen, ihn zu treffen. Er hatte die Rolle ja noch anderen Schauspielern angeboten. Ich hab ihn dann angerufen, er lebt in Kopenhagen, und habe versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er sich Filme von mir anschaut. Und als er fragte, wie ich die Rolle anlegen will, musste ich mal eben ad hoc eine Methode entwerfen.
    Und dann haben wir uns in London in der Kneipe getroffen, mittags um zwei. Er fragte: "Was willst du trinken?" Und ich: "Ein Bier?" Er bestellte: "Ein Bier für Eddie" und einen Kaffee für sich und ich dachte schon: "Oh, Mist." Aber dann hat er sechs Kaffee getrunken und war irgendwann völlig koffeiniert. Und bei all dem hab ich gemerkt, wir ticken ähnlich, wir sind beide - der Situation angemessen - ängstlich. Und voller Respekt für den anderen.
    Nicht nur eine Stephen Hawking Filmbiografie
    Fischer: Und diese Wellenlänge ist wichtig für so eine Arbeit?
    Redmayne: Ja, besonders bei so einer Rolle, die birgt so viel Versagenspotenzial in sich, da kann man am Ende total zerstört rauskommen. Ich musste mich sicher fühlen.
    Fischer: Stephen Hawking ist schon aus der Ferne betrachtet eine faszinierende Person. Sie haben ihn sogar kennengelernt und sich sehr mit ihm beschäftigt. Was ist für Sie das Faszinierende?
    Redmayne: Es ist nicht so, dass ich ihn mal an der Uni Cambridge gesehen und gehört hätte. Auch hab ich von Physik keine Ahnung. Aber das Drehbuch hat mir, dem Kunststudenten, schon vermitteln können, was er vollbracht hat und dass er und Jane ein außergewöhnliches Leben zusammen hatten.
    Also, es war nicht so, dass ich ihn vorher gut kannte und ihn immer schon mal spielen wollte. Sondern das Drehbuch gefiel mir und ich dachte nu
    r: Kann ich das wohl spielen? Und dann geht man in die Vorstellungsrunden, gibt sich natürlich selbstsicher, so als wüsste man genau, was man tut, um den Job zu kriegen. Und dann kriegt man ihn und denkt: Oh Gott, krieg ich das überhaupt hin?
    "Er ist keine tragische Person"
    Der britische Physiker Stephen Hawking bei seinem Parabelflug
    Der britische Physiker Stephen Hawking bei seinem Parabelflug. (NASA)
    Fischer: Eddie Redmayne, Sie spielen Stephen Hawking nicht als tragische Figur, ist er das in Ihren Augen auch nicht?
    Redmayne: Er ist keine tragische Person, sondern das komplette Gegenteil, er schaut nach vorne, ist leidenschaftlich und hat viel Humor. Deshalb ist es so toll, ihn zu spielen. Er zeigt ganz wenig Schwäche.
    Fischer: Sie konnten ja Ihre üblichen Schauspielerwerkzeuge irgendwann gar nicht mehr einsetzen – Gestik, Mimik fielen weg, aber trotzdem mussten Sie einer Persönlichkeit Ausdruck verleihen, Gefühle transportieren. Was haben Sie gemacht, um sich so zu bewegen beziehungsweise immer weniger zu bewegen wie Stephen Hawking?
    Redmayne: Man hat mir Zeit gelassen zur Vorbereitung, vier Monate, und ich habe eine ALS-Klinik in London besucht. Die Patienten dort haben mir erlaubt, ihre Muskelbewegungen zu ertasten, ich hab sie mit dem iPad gefilmt. Ich habe so versucht herauszufinden, wie der Krankheitsverlauf bei Stephen war.
    "Zu jeder Zeit die entsprechende Behinderungsstufe abrufen können"
    Und das haben wir dann in eine Rangfolge gebracht, und mit einem Tänzer hab ich dann versucht, die jeweiligen Bewegungsstufen in meinem Körper zu finden. Man filmt ja nicht chronologisch, deshalb musste ich zu jeder Zeit die entsprechende Behinderungsstufe abrufen können. Und ich habe vor dem Spiegel geübt, nur diese wenigen Gesichtsmuskeln zu benutzen, die er benutzt, wir aber normalerweise nicht.
    Zum Glück ging es um einen Film, und nicht um ein Theaterstück. Denn im Film sieht man alles – die Kamera kommt einem sehr nah. Auf der Bühne wäre das eine ganz andere Geschichte geworden, aber beim Film kann man hoffen, dass die Kamera alles erfasst, was ich fühle und zum Ausdruck bringe.
    Bei all dem habe ich gelernt: Für ihn könnte die Krankheit nicht unwichtiger sein, sie interessiert ihn nicht. Er will einfach leben. Und meine ganze Vorarbeit war nötig, damit da nicht ein Schauspieler einen Behinderten spielt, sondern damit wir eine menschliche Geschichte erzählen können, die hoffentlich im Mittelpunkt steht.
    "Nicht das perfekte Ergebnis - der Weg dahin muss Spaß machen"
    Fischer: Wenn man so viel investiert in eine Arbeit, muss sie einem auch viel geben. Was hoffen Sie als Schauspieler, vor einer Kamera zu finden, und was haben Sie gefunden?
    Redmayne: Was immer das sein könnte, man findet es nie. Was einen antreibt, ist die Tatsache, dass man immer nach Perfektion strebt, in dem Wissen, dass man sie nie erreichen wird. Man muss lernen, dass nicht das perfekte Ergebnis, sondern der Weg dahin Spaß machen muss. Was ich am liebsten mag, sind die Momente, in denen ich und die Figur sich überschneiden.
    Hier war es die letzte Szene, die wir gedreht haben. Meine Filmehefrau sitzt bei mir auf dem Bett unten in der Küche, und ich sage: Danke! Und das habe ich in dem Moment gewissermaßen auch meiner Kollegin gesagt, denn sie hatte ja die ganze schwere körperliche Arbeit zu tragen in diesem Film. Und sie meinte dann auch: Was hast Du da gerade gesagt? Das war mal so ein Moment, wo die Figur und ich eins waren.
    "Nachlässigkeit ist nicht mein Ding"
    Fischer: Eddie Redmayne, Sie sind offenbar ein sehr ambitionierter und disziplinierter Schauspieler. Waren Sie immer schon so, auch als Schüler?
    Redmayne: Ich bin nicht damit gesegnet, dass mir alles einfach so gelingt, ohne dass ich dafür etwas tue. Ergibt das einen Sinn? Ich muss schon für alles hart arbeiten.
    Fischer: Naja, aber Sie könnten – wie sicher viele Ihrer Kollegen – das Ganze weniger ernst nehmen und sich eitel vor die Kamera stellen.
    Redmayne: Aber man hat doch eine Verantwortung, besonders, wenn man jemanden spielt, den es wirklich gibt. Und es gibt tausende andere Schauspieler da draußen, großartige Schauspieler, und wenn man dann selbst die Chance bekommt: Nachlässigkeit ist da nicht mein Ding.
    Fischer: Sie stammen aus einer Familie mit Bankern und Geschäftsleuten. Dagegen ist das Schauspielerleben eher ungeregelt.
    "Ein Nomadenleben, über das man keine Kontrolle hat"
    Redmayne: Sie macht mein Leben chaotisch. Es ist ein Nomadenleben, ein Zirkusleben, über das man keine Kontrolle hat. Manchmal führt es auch dazu, dass ich mal wieder über Dinge nachdenke und Fragen stelle. Ich bin ein bisschen denkfaul. Und als Stephen neulich seinen ersten Facebook-Post geschrieben hat, stand da: Sei neugierig! Das ist typisch für ihn, etwas Großes so einfach auszudrücken. Also: Man kann faul sein wie ich - oder eben neugierig.
    "Sei neugierig!", betonte der Physiker Stephen Hawking in einem Facebook-Post. Er selbst kann sich nur mithilfe eines Sprachcomputers verständigen.
    "Sei neugierig!", betonte der Physiker Stephen Hawking in einem Facebook-Post. Er selbst kann sich nur mithilfe eines Sprachcomputers verständigen. (AP Archiv)
    Fischer: Apropos Facebook: Sie führen ja noch ein unkontrollierbares Leben im Internet, da gibt es unzählige Interviews und Meldungen und Fanseiten über Sie. Wie gehen Sie damit um, greifen Sie ein oder lassen Sie es laufen?
    "Wie könnte ich es wagen, im Namen von Stephen Hawking zu sprechen"
    Redmayne: Ich versuche, das auszublenden. Weil es einen einholen kann. Vor allem wenn Sachen, die man gesagt hat, falsch zitiert werden, und dann Ärger auslösen. Deshalb ist die Werbetour für "Die Entdeckung der Unendlichkeit" für mich auch nicht einfach. Die Leute wollen, dass ich im Namen von Stephan Hawking spreche. Aber das will ich auf keinen Fall. Wie könnte ich das wagen!
    Aber egal bei welchem Film, wenn man falsch zitiert wird, müsste man das richtigstellen. Über Twitter – sagen mir dann Leute – kannst Du ja direkt reagieren. Aber ich denke: Besser gar nicht erst damit anfangen, sondern es ausblenden.
    Fischer: Haben Sie Stephen Hawkings Bestseller: "Eine kurze Geschichte der Zeit" eigentlich gelesen?
    Redmayne: Ich habe angefangen, ihn zu lesen. Ich war dabei etwas nervös. Dachte zwischendurch immer wieder: Oh, das hab ich ja sogar verstanden! Aber irgendwo zwischen Seite 17 und 23 wurde mir klar, dass ich gar nichts kapiert habe. Und nur noch die Wörter mit den Augen erfasste.