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Beitrittsgespräche mit der Türkei
Eine schwierige Frage für die EU-Außenminister

Soll die EU die Beitrittsgespräche mit der Türkei auf Eis legen oder weiterführen? Darüber beraten die EU-Außenminister bei einem Treffen auf Malta. Während manche dafür sind, den Prozess anzuhalten, raten andere zu mehr Vorsicht im Umgang mit Präsident Erdogan. Fest steht: Die EU und die Türkei werden sich weiterhin brauchen - und zwar gegenseitig.

Von Kai Küstner | 28.04.2017
    Die türkische und die europäische Flagge wehen vor der Nuruosmaniye-Moschee in Istanbul.
    Die Frage, ob die EU im Umgang mit der Türkei Türen verrammeln soll oder sie lieber offen lässt, ist eine durchaus heikle. (pa/dpa/EPA/Bozoglu)
    Bei allem Streit darüber, wie hart man den ja selber nicht eben samtpfötigen türkischen Präsidenten Erdogan von EU-Seite anpacken sollte – eins jedenfalls steht fest: Würde die Türkei nicht seit mehr als zehn Jahren mit den Europäern über einen Beitritt verhandeln, sondern müsste sie sich heute ganz neu bewerben - sie hätte wohl nicht den Hauch einer Chance, als Kandidatin anerkannt zu werden. Nach allem, was im vergangenen Dreivierteljahr passiert ist. Und dass Besserung in Sicht wäre, lässt sich auch nicht behaupten:
    "Jede Maßnahme, die ergriffen werden müsste, damit die Türkei wieder zu einem hinnehmbaren Zustand des Rechtsstaats zurückkehrt, widerspricht den Machtplänen von Präsident Erdogan", erklärt der ehemalige EU-Botschafter für die Türkei, Marc Pierini, im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel.
    "Man sollte klarstellen: Die Türkei erfüllt die Bedingungen nicht mehr"
    Doch auch wenn, zumindest aus heutiger Sicht, Erdogan und die EU unvereinbar zu sein scheinen – die Frage, ob die Europäer von sich aus die Beitrittsgespräche unter- oder gar völlig abbrechen sollten, ist nicht ganz leicht zu beantworten:
    Marc Pierini: "Ich würde nicht dazu raten, den Beitrittsprozess für ewig tot zu erklären. Man sollte aber klarstellen: Die Türkei erfüllt die Bedingungen nicht mehr. Der Prozess wird angehalten, bis die Türkei zu einem hinnehmbaren Rechtsstaatsniveau zurückkehrt und die krassesten Verstöße aufhebt, zum Beispiel das Einsitzen von Journalisten und Gelehrten im Gefängnis."
    Doch es gibt auch Stimmen, die zu noch mehr Vorsicht im Umgang mit dem "starken Mann am Bosporus" raten: Mit dem Abbruch würde man Präsident Erdogan einen Gefallen tun, der die Gespräche ohnehin nicht mehr wolle und dann mit dem Finger auf die angeblich so ‚böse‘ EU zeigen könnte.
    Türen verrammeln oder lieber offen lassen?
    Gewonnen sei für Europa mit der hochoffiziellen Verfrachtung der Gespräche ins Eisfach ohnehin nichts, weil sie sich ja in der Praxis genau dort ohnehin schon befänden. Für den zuständigen EU-Erweiterungs-Kommissar Johannes Hahn steht jedoch auch fest, dass es nicht genau so weiter gehen kann mit der Türkei wie bisher:
    "Alle sind der Meinung, dass wir die Beziehungen zur Türkei auf eine neue Basis zu stellen haben."
    Dass Erdogan ihnen im Referendumswahlkampf ‚Nazi-Praktiken‘ vorwarf, hat einige EU-Staaten tief verstört. Gleichzeitig lässt sich auch schwerlich ausblenden, dass der Europarat - Vorkämpfer für Menschenrechte auf dem Kontinent – erst diese Woche entschieden hatte, die Türkei wieder unter verschärfte Beobachtung zu stellen. Und dem Land damit bescheinigt, dass man sich ernste Sorgen um die Demokratie dort macht. Gleichzeitig werden sich die EU und die Türkei weiterhin brauchen – und zwar gegenseitig:
    "Interessant war, dass der türkische Präsident bei allen Angriffen auf die EU während des Wahlkampfs die wirtschaftlichen Beziehungen ausgespart hat."
    Betont der ehemalige EU-Botschafter Pierini, der heute für die Denkfabrik Carnegie Europe arbeitet. Die Hälfte ihrer Handelsgeschäfte wickelt die Türkei mit der EU ab. Was bedeutet: Ganz egal kann auch einem Herrn Erdogan die Beziehung zur Europäischen Union nicht sein. Umgekehrt gilt das – schon mit Blick auf den Syrien-Krieg – ohnehin. Zudem wird die EU auch all jene nicht im Stich lassen wollen, die gegen den Machtausbau des Präsidenten gestimmt haben. Die Frage, ob man im Umgang mit der Türkei Türen verrammelt oder sie lieber offen lässt, ist also eine durchaus heikle.