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Bekenntnis auf Druck der Alliierten

Alljährlich am 20. Juli gedenkt die Bundesrepublik Deutschland der Verschwörer, die 1944 das Attentat auf Adolf Hitler wagten. Doch in den Anfangsjahren der Republik war die Position der Deutschen und des Staates zu dem gescheiterten Anschlag keinesfalls so klar. Vor 55 Jahren legte die Regierung von Konrad Adenauer schließlich ein eindeutiges Bekenntnis ab.

Von Bert-Oliver Manig | 02.10.2006
    "Und dann habe ich nachher erlebt, in der Schule, dass ich Lehrer hatte, die nicht bereit waren, eine Klasse zu übernehmen, in der ich drin war. Ich hatte Kameradinnen, die mich schnitten. Und um eine habe ich sehr gebuhlt, wie das so bei jungen Mädchen ist. Und die habe ich dann auch gestellt und sie sagte: Ja, ich mag Dich auch, aber mit der Tochter eines solchen Vaters darf ich nicht umgehen, das haben mir meine Eltern verboten. Das war Anfang der 50er Jahre, bis Mitte der 50er Jahre."

    Christine Blumenberg-Lampe über ihre Nachkriegserfahrungen als Kind eines Widerstandskämpfers gegen Hitler. In der frühen Bundesrepublik wirkte die nationalsozialistische Propaganda gegen die angeblichen "Verräter" vom 20. Juli 1944 noch nach: 1950 glaubte ein Viertel der Deutschen, dass der Zweite Weltkrieg aufgrund von Verrat und Sabotage verloren worden sei. Der hitlertreue Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer machte in Wahlveranstaltungen der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei hemmungslos gegen den Widerstand Stimmung:

    "Wer sein Land verrät, ist des Todes. Und diejenigen, die das getan haben, werden sich eines Tages vor einem deutschen Gericht zu verantworten haben."

    Die Rechtsradikalen hatten Erfolg: Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen am 6. Mai 1951 erzielte die SRP elf Prozent der Stimmen. Um den radikalen Parolen entgegenzutreten, stand nun eine Ehrenerklärung der Bundesregierung für den Widerstand gegen Hitler auf der Tagesordnung. Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Otto Lenz, der selbst nach dem 20. Juli 1944 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden war, drängte auf ein Bekenntnis zu den Hitler-Attentätern.

    Doch Bundeskanzler Adenauer blies die bereits angekündigte Ehrenerklärung für die Attentäter vom 20. Juli wieder ab. Er wusste, dass nicht nur unbelehrbare Nazis gegen den Widerstand eingenommen waren. Wie eine vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebene Umfrage im Sommer 1951 zeigte, lehnten etwa 60 Prozent aller ehemaligen Berufssoldaten den Aufstand vom 20. Juli strikt ab. Auf diese Gruppe aber war der Kanzler beim Aufbau deutscher Streitkräfte besonders angewiesen. Ausländischen Journalisten erklärte Adenauer einmal süffisant:

    "Meine Herren, ich glaube, dass mir die NATO 18-jährige Generäle nicht abnehmen wird."

    Doch die Alliierten ließen sich die ehemaligen Truppenführer Hitlers nicht zu jedem Preis vorsetzten: Als sich der Vorsitzende des Verbands Deutscher Soldaten Ende September 1951 vor ausländischen Reportern abfällig über die Hitler-Attentäter äußerte und die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Abrede stellte, war für die Besatzungsmächte das Maß voll: Die drei Hohen Alliierten Kommissare gaben dem Bundeskanzler klar zu verstehen, dass sie von ihm eine eindeutige Abgrenzung von den unbelehrbaren Nationalisten erwarteten. Vom Misstrauen in die Stabilität der jungen Demokratie zeugte auch die Absicht der Besatzungsmächte, durch einen Botschafterrat weiterhin die Kontrolle in der Bundesrepublik auszuüben, ein Vorhaben, das Konrad Adenauer besonders entsetzte.

    Der Kanzler ließ nun alle Rücksicht auf die alten Soldaten fahren: Am 2. Oktober 1951 gab die Bundesregierung bekannt, dass das private Hilfswerk 20. Juli von nun an einen jährlichen Bundeszuschuss erhalten sollte:

    "Es ist eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes, für die Witwen und Waisen der Männer zu sorgen, die im Kampfe gegen Hitler ihr Leben für Deutschland geopfert haben. Die Welt empfing durch die Männer und Frauen des 20. Juli noch einmal den Beweis, dass nicht die Gesamtheit des deutschen Volkes dem Nationalsozialismus verfallen war. Damit war die entscheidende Grundlage dafür geschaffen, dass Deutschland in Zusammenarbeit mit der freien Welt wieder aufgebaut werden kann."

    Diese Erklärung war der Beginn des offiziellen Gedenkens an den Widerstand gegen Hitler. Repräsentanten des demokratischen Staates setzten sich von nun an aktiv für das Andenken an die Hitler-Attentäter ein, die jetzt offiziell als vorbildliche Patrioten und Vorkämpfer der freiheitlichen Demokratie galten.

    Die Verachtung vieler Deutscher für die Widerstandskämpfer verschwand zwar nicht über Nacht, doch sie verlor an Boden. 1959 erklärte selbst der Generalinspekteur der Bundeswehr über die Hitler-Attentäter:

    "Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild."

    Der deutsche Obrigkeitsstaat war endgültig zu Grabe getragen worden: Seit der Erklärung der Bundesregierung vom 2. Oktober 1951 steht das Recht auf Widerstand gegen die Diktatur über der soldatischen Gehorsamspflicht. 1968 schrieb man das Widerstandsrecht sogar ins Grundgesetz.