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Belcanto an der Adria

Es war den Veranstaltern des Rossini-Festivals immer ein Anliegen, den ganzen, zumal den hierzulande nie gespielten, Rossini ans Licht zu ziehen. Das ist dieses Jahr famos gelungen - mit Staubsaugern und tuntigen Friseuren auf der Bühne.

Von Dieter David Scholz | 15.08.2013
    Die Reise nach Pesaro lohnt in diesem Jahr schon des "Guillaume Tell" wegen, der letzten Oper Rossinis, seines Chef-d´œvre, das in der französischen Originalfassung, in ganzer Länge, einschließlich der Ballettmusiken zu erleben ist. Der britische Regisseur Graham Vick, der zu Unrecht nach der Premiere ausgebuht wurde, stellt in seiner Lesart des Stücks den historischen Schweizer Freiheitshelden als Revolutionär in den Mittelpunkt einer aufwendigen Breitwand-Inszenierung in der Adriatischen Arena, einer zum veritablen Theater umgebauten gigantischen Sporthalle. Tell kämpft mit seinen Freunden für Freiheit und gegen habsburgische Fremdherrschaft, es ist der Kampf der Schweiz gegen Österreich. Vick macht aus dem Stück eine grausame, schmerzhafte Soldateska, die Alpenpanorama und Schweizerfolklore nur als Filmkulisse zitiert.

    Am meisten war man ja bei diesem "Guillaume Tell" auf die Sängerbesetzung gespannt. Kein Geringerer als der peruanische Tenorstar Juan-Diego Florez ist in der Rolle des Arnold Melchthal zu hören, eine Extraklasse für sich. Florez hat seine große, internationale Karriere 1996 übrigens von Pesaro aus gestartet, ebenso wie die lettische Sopranistin Marina Rebeka als Habsburgerprinzessin Mathilde, Arnold Melchthals Geliebte. Pesaro ist eine Talentschmiede bis heute, vor allem Dank der Accademia Rossiniana, die der künstlerische Leiter Alberto Zedda vor 25 Jahren ins Leben rief, um für Nachwuchs an Rossini-Sängern zu sorgen.

    "Ich habe Glück, sie zu finden. In jedem Jahr wächst die Zahl der gut vorbereiteten Sänger, die die Bedeutung des Belcanto entdecken."

    Dieser "Guillaume Tell" in Pesaro ist bis in die kleinsten Nebenrollen hinein vorzüglich besetzt. Vor allem aber wird die Oper vom Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter Leitung des jungen Michele Mariotti, er ist erster Dirigent des Orchesters, mit einem Furor, einer Grandeur und einer Präzision zum Klingen gebracht, dass man in den mehr als fünf kurzweiligen Stunden, die die Aufführung dauert, hört und begreift, dass diese letzte Oper Rossinis aus dem Jahre 1829 ein Jahrhundertwerk ist, Summe des Gewesenen, Bilanz der Gegenwart und Zukunftsmusik, die Bellini, Donizetti, Meyerbeer, Verdi, ja selbst Wagner vorwegnimmt.

    So wie Guillaume Tell den Endpunkt Rossinis markiert, standen am Anfang seiner Karriere einaktige Farcen. Eine von ihnen, "L´Occasione fa il ladro" (Gelegenheit macht Diebe) wurde dieser letzten Oper Rossinis gegenübergestellt, um die künstlerische Entwicklung Rossinis zu veranschaulichen. Es war immer ein Anliegen des Rossini-Festivals in Pesaro, den ganzen, zumal den hierzulande nie gespielten, den verkannten Rossini ans Licht zu ziehen. Ein Markstein war eben die legendäre Inszenierung Jean-Pierre Ponnelles aus dem Jahre 1987, die "L´Occasione fa il ladro" wiederentdeckte und rehabilitierte. Erstaunlicherweise überzeugt Jean-Pierre Ponnelles 26 Jahre alte, wiederaufgenommene historisierende, quirlige Inszenierung dieser Koffer- und Rollentausch-Komödie zweier Paare als vorgeführtes Barocktheater, in dem die Figuren aus dem Bühnenboden, beziehungsweise aus dem Koffer gezaubert werden, immer noch herzerfrischend und beweist, dass konventionelles Musiktheater nicht langweilig sein muss.

    Konventionell war die zweite Neuproduktion des diesjährigen Rossini-Festivals, "L´Italiana in Algeri" in der Regie von Davide Livermore ganz und gar nicht, im Gegenteil, Davide Livermoore zeigt diese Rossini-Oper über ein arabischitalienisches Absurdistan im entzückenden, alten Teatro Rossini aus amerikanischer Perspektive als 70er Jahre als Revue à la Tausendeine Nacht mit allerhand Projektionen und Filme, von Sprechblasen, über kitschige Tapetenmuster bis hin zu perfekten Comicstrips.

    Eine gut geschmierte Nonsens-Show mit arabischen Pistolero Garden, tippelnden Stewardessen, Staubsaugerinnen in Minis, tuntigen Friseuren und Eunuchen. Der spanische Dirigent José Ramon Encinar, der in Pesaro debütiert, hat es schwer, gegen die Übermacht der Bilder anzudirigieren, obgleich er diesen Wirbelwind von Oper ordentlich zu entfachen weiß. - Alles in allem beweist das diesjährige Rossini-Festival, das auch noch eine konzertante Aufführung der Oper "La donna del Lago" und "Il viaggio a Reims" mit Nachwuchsstimmen anbietet, daneben Konzerte, Vorträge und Diskussionen, mit seinen 24 Aufführungen in 14 Tagen, dass es trotz abnehmender öffentlicher Zuwendungen nach wie vor unverwechselbar ist und weltweit die Nummer Eins in Sachen Rossini. Auch aufs nächste Jahr darf man gespannt sein, denn es wird eine neue "Armida" geben, "Aureliano in Palmira" und "Inganno felice", drei Raritäten, die man eben nur in Pesaro sehen kann.