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Belgien
Formel 1 für alle in den Ardennen

Die Rennstrecke Spa-Francorchamps in den belgischen Ardennen ist eine der ältesten der Welt. Auch wenn gerade kein Formel 1 Rennen stattfindet, heulen fast jeden Tag die Motoren, quietschen die Reifen. Besucher können sogar mit einem Rennfahrer mitfahren, das allerdings kostet - Geld und Nerven.

Von Eva Firzlaff | 31.08.2014
    Zur Abwechslung bietet sich dann eine Wanderung an durch das hohe Venn oder ein Besuch in Lüttich. Eva Firzlaff nimmt uns mit auf einen kontrastreichen Ausflug ins Umland von Lüttich.
    Auf der Rennstrecke Spa-Francorchamps ist täglich Betrieb. Immer trainiert irgendwer, dreht irgendwer zum Spaß schnelle Runden.
    "Das sind Privatfahrer. Das ist ein Schweizer, der hat die Piste gebucht für 2 Tage. Die haben spaß auf der Rennstrecke, ohne Zeitmessung. Das ist pur „fun". Die bringen ihre Autos mit."
    Und weil Otto-Normal-Fahrer nie an das Wahnsinnstempo heran käme, kann er zu einem Rennfahrer ins Auto mitfahren. Jörg Pastoor hat es gerade hinter sich.
    "Du rast mit gefühlten 300 Km/h auf ein Loch zu. Das entpuppt sich als eine Linkskurve mit einer rechten Steigung. Und der Wagen rutscht hinten weg. Du bist eigentlich nur so am Regulieren, indem Du die Knie irgendwohin drückst und mit der rechten Hand am Griff fest hältst. Die Fliehkräfte sind so enorm und er fährt ganz locker. Und du fragst: Waren das jetzt 300 km/h. Und er sagt: ne, 190 km/h. Aber 300 fahren die Formel-1-Piloten an der Stelle. Das ist unglaublich, das sind Kräfte, die da frei werden."
    Dann bin ich an der Reihe und steige zu ins Auto Jim Vanderperren.
    "Wir sind hier mit einem Renault Megane RS, 2 l Turbo, 265 PS. Jetzt fahren wir auf die Strecke. Das sind die alten Boxen, die Tribünen. Und wir kommen jetzt an die "Eau Rouge". Wir fahren unten 190 km/h, oben 170. Wir fahren jetzt 190? Unten ja. Und die Formel 1 fährt hier 300 km/h."
    Treffen für die High Society
    Ich habe mich mit den Knien zwischen Mittelkonsole und Beifahrertür verkeilt, sämtliche Muskeln angespannt, um den Fliehkräften zu widerstehen.
    Die Rennstrecke wurde 1921 angelegt, im Dreieck der Städte Malmedy, Stavelot und Spa. Doch schon um 1900 kurvten hier tollkühne Männer in ratternden Kisten durch die Berge, während ihre Damen im Nobelbad Spa flanierten. Dort trafen sich Grubenbarone und Industrielle. Der 15 Jahre zuvor von Carl Benz erfundene Motorwagen hatte sich zum ordentlichen Auto gemausert. Gaetan Plein ist Gästeführer auf der Rennstrecke.
    "Spa um 1900 ist ein Treff für die High Society. Belgien war damals ein reiches Land. Es kommt von den Kolonien, Kongo z. B.. Aber auch hier die Industrie. Wir verkaufen Züge nach China, Waffen auch in Lüttich. Und Spa war - wie Monaco - ein eleganter Ort, um sich am Wochenende zu treffen. Die ersten Besitzer von Autos - bei Ihnen Mercedes-Benz, in Frankreich De Dion-Bouton, später Renault, Peugeot - treffen sich in Spa."
    Und lassen ihre PS spielen - auf den engen Bergstraßen rund um Spa und durch die Dörfer.
    "Es gibt viele Unfälle. Die Autos fahren zwar nicht schnell, doch die Fahrer sind etwas verrückt. Und erst das Publikum - hat überhaupt keine Disziplin. Man weiß nicht, was ein Auto ist. Es gibt Leute, die bleiben mitten auf der Straße stehen, auch wenn ziemlich schnell ein Auto kommt. Als die Autos immer schneller wurden, dachte man, es wäre besser, raus zu gehen aus der Stadt. Und am suchte einen Ort. Hier war es ideal. Wir haben hier 3 Straßen, dieses Dreieck zwischen dem Dorf Francorchamps, Malmedy und Stavelot. Es ist keine echte Rennstrecke, das sind nur schöne Straßen, die von Zeit zu Zeit für ein Rennen gesperrt werden. Und das bringt eine Menge von Leuten, denn ein Auto ist so neu und es hat auch diese Dimension von Unglück, meistens passiert etwas."
    Mangelnde Disziplin und viele Unfälle
    Nervenkitzel und Sensationslust vor 100 Jahren. Ein Teil der alten Rennstrecke führte 5 km bergab geradeaus. Klar, dass dort viele Unfälle passierten. Immer wieder wurde umgebaut und entschärft. Nun sind es 7 km und natürlich längst ohne öffentliche Straßen oder gar Dorf-Durchfahrten.
    Die Rennstrecke heißt nicht umsonst auch Ardennen-Achterbahn. Auf und Ab mit insgesamt 100 Metern Höhenunterschied und vielen Kurven. In einer zeigt Jim, wie er ohne zu lenken um die Kurve schlittert.
    "Wenn man sehr schnell fährt, dann rutscht man mit den 4 Rädern. Und dann hat man keine Lenkung mehr. Wir müssen das mit dem Gaspedal machen. Es ist überraschend, was man mit so einem Standardauto machen kann."
    Nur das Looping fehlt, um sich ganz wie auf der Achterbahn zu fühlen. Allerdings gibt es hier keine sichere Schiene.
    "So wir sind schon am Ende. Eine Runde in 3 Minuten, das ist ganz schön schnell für so einen Straßenwagen. Michael Schumacher brauchte nur 1:42."
    Schwer beeindruckt und mit weichen Knien steige ich aus dem Flitzer.
    Nur manchmal ist das Heulen der Motoren bis in das Natur-Reservat Hohes Venn zu hören. Das liegt zwischen Rennstrecke und deutsch-belgischer Grenze, zwischen Eupen und Monschau. Hier sind die ansonsten schon dünn besiedelten Ardennen menschenleer – bis auf die Wanderer. Das Venn ist ein ausgedehntes Moorgebiet, durch das nur wenige Straßen führen und etliche Knüppeldämme.
    "Die offene Venn-Zone ist 4.200 ha, das sind knappe sieben mal sieben km."
    Und diese Flächen liegen in kleinen und größeren Stücken um Mont Rigi und Botrange, dem höchsten Punkt Belgiens herum. Also geschützt werden von der belgischen Regierung als Reservat Hohes Venn 4.200 ha.
    Große Teil des Hohen Venns sind zerstört
    Karl-Heinz Ponzen wandert als Naturführer mit Gästen durch das Venn.
    "Gehen Sie mit mir nach der Schneeschmelze die steilen Bäche runter. Dann werden sie sehen, wie gewaltig das Wasser hier fällt. Es gibt in Deutschland nur die Oker, die steiler fällt, als hier die steilen Bäche im Venn. Dann kommen Sie im Mai, dann blüht das Wollgras. Dann meinen Sie, Sie gingen über einen weißen Teppich. Der dritte Höhepunkt, für mich persönlich der schönste, ist im Oktober, wenn das Land hier golden ist. Das Gras wird golden, die Bäume, die Büsche, außer unseren Fichten leuchtet die ganze Natur golden. Dazu der makellos blaue Himmel und die unheimlichen Fernsichten, die man dann hier hat."
    Ja die Fichten. Neben den typischen Moor-Pflanzen sehen wir auch abgezirkelte Fichten-Reihen, ähnlich wie die Kiefernforste in Brandenburge. In preußischer Zeit wurde versucht, das Venn mit Fichten aufzuforsten. An anderen Stellen ist es nichts geworden. Denn die Fichte passt nicht ins Moor.
    "In diesem Gebiet haben die Fichten Gott sein Dank nicht überlebt. Es war zu nass hier. Wir haben hier 1.400 mm Niederschlag. Wenn es nicht vernünftig ablaufen kann, und das kann es ja nicht im Moor, dann ertrinken die."
    Schon seit 500 Jahren hat der Mensch große Teile des Hohen Venns zerstört - durch Torfabbau, Entwässerung und eben den Anbau von Fichten.
    Im Rahmen eines EU-Projektes wird nun in großem Stil renaturiert. Es wird „entfichtet" und wieder vernässt. Die vielen Wasserflächen ziehen Vögel und Libellen an. Torfmoose verbreiten sich wieder. Das Birkhuhn ist wieder da und der Fischotter.
    Wanderer wundern sich über braunes Wasser und Schaum auf den plätschernden Bächen.
    "In einem Moor verfaulen die Pflanzen nicht, die vergären. Sonst würde es keinen Torf geben. Durch diese Vergärung entsteht Huminsäure, die färbt das Wasser braun und reagiert mit Sauerstoff zu Schaum. Deshalb sehen Sie immer wieder in kleinen Bächen, die aus dem Moor kommen, dicke Schaumkronen drauf. Da sagen alle Leute: "schrecklich, wie kontaminiert das Wasser ist". Das ist nur die Huminsäure."
    Lüttich auf der Suche nach einer neuen Identität
    Das Hohe Venn liegt für die Lütticher sozusagen vor der Haustür. Die Stadt Lüttich - einst von Kohle- und Stahlindustrie gezeichnet - ist gerade dabei sich neu zu erfinden: als Design-Metropole. Benoit Surin:
    Das ist die ehemalige Wiege für Kohle- und Stahlindustrie und jetzt mit dem Wandel musste sich die Stadt eine neue Identität suchen. Designmetropole deswegen: Es hat sich im Bereich Design sehr viel getan in den letzten Jahren. Es findet seit ca. 12 Jahren eine sogenannte Design-Biennale statt, also alle 2 Jahre. Auch die politisch Verantwortlichen haben gemerkt, dass es in der Stadt sehr viele Designer gibt, die z.T. auch im Ausland studiert haben oder in Brüssel oder Antwerpen, die dann zurück nach Lüttich kommen und sich da niederlassen. Die wollen Design entwickeln für die Leute in Lüttich und haben nicht unbedingt den Anspruch, groß auf der internationalen Bühne mitzumischen. Die wollen Design für den Jedermann machen, denn letztendlich sind das die direkten Kunden, die deren Produkte kaufen. Diese Design-Stimmung ist praktisch nicht von oben gekommen. Nein. Da sind diese ganzen Designer, die aus verschiedenen Richtungen kommen, die sich in Lüttich niedergelassen haben und die von unten Druck gemacht haben, dass Design anerkannt wird."
    Seit einem Jahr gibt es nun in der Tourist-Info den Design-Führer, ein Büchlein mit Stadtplan, das zu allen möglichen Werkstätten, kleinen Galerien und Geschäften führt, die in der ganzen Stadt verstreut sind. Mode, Kunsthandwerk, Möbel. Von bodenständig bis flippig und vor allem bezahlbar. Es lohnt sich, auch ein Stück ab vom Zentrum auf Suche zu gehen.
    Vom fröhlichen Design nun zu einem bewegenden Zeugnis von Gewalt und Verderben. Am nordwestlichen Stadtrand von Lüttich liegt das Fort Loncin. Es war Teil eines Festungsringes rund um die Stadt, gebaut 1888. Belgien war seit 50 Jahren neutral, hatte jedoch Angst vor einem Durchmarsch der Nachbarn, der Deutschen oder Franzosen.
    "Weil Preußen und Frankreich schon Krieg hatten 1870. Und Frankreich hat Elsass-Lothringen verloren. Und unser König hat gedacht, die beiden gehen wieder mal gegeneinander. Frankreich will Elsass-Lothringen und Deutschland auch. Er denkt, Belgien muss sich verstärken, dass die nicht durch kommen."
    1914 forderte Deutschland freien Durchgang durch Belgien, den dessen König jedoch verweigerte. Also Angriff.
    "Das einzige Fort noch mit Bewaffnung und wie es aussah bis 15. August 1914 ist Loncin. Die anderen sind leer oder vermietet an Firmen. Munitionslager oder eine Fabrik für Flugzeugmotoren hat ein Fort genommen als Testplatz usw. Nur Loncin und Lantin sind noch zu besuchen. Doch Lantin ist ganz leer, da ist nichts mehr drin. Und hier in Loncin haben wir noch viel gefunden."
    Fort Loncin ist jetzt Museum und Gedenkstätte. Erst seit wenigen Jahren ist es für Besucher offen.
    "Die Leute kamen nur am 15. August Blumen bringen, aber Besuch nicht. Es war zu gefährlich. Im Fort waren im Jahr 2007 noch 3.000 Granaten drin. Dann haben sie die Armee geschickt, die haben raus geholt."
    Am 15. August 1914 - nach 10 Tagen Beschuss - ist Fort Loncin explodiert. Ein Geschoss der damals noch unbekannten "dicken Berta" hatte den Pulver-Raum getroffen. Jetzt ein riesiger Krater.
    "Hier war die Explosion. Da unten, wo Sie das Wasser sehen, da war die Pulverkammer. Da oben war der Beton sehr dick, ungefähr 4 Meter. Als die Wände weg waren, ist das Ganze runter gefallen. Da ist ein kleines Monument, Sie sehen einen Arm mit einer Fackel. Da war ein Raum, da kamen die Soldaten, die keinen Dienst hatten, alle zusammen. Bei der Explosion waren da ungefähr 300 Mann und da liegen heutzutage noch 150 bis 200 Mann drunter."
    Sylvian Vanderwalle vom Förderverein steigt mit mir die Kasematten, zeigt Unterkünfte, Geschütztürme...
    "Und da schießt mein Freund noch zwei Mal pro Jahr - am 11. November und am 15. August – schießt er mit dieser Kanone dort noch einen Schuss. Am 15. August ist es um 17:25 Uhr. Das ist die Explosionszeit des Forts."
    Das Fort ist nicht nur ein militärisches Beispiel. Es ist auch ein Massengrab hier. Darum ist es so besucht. Militärs kommen um zu sehen, wie es damals war. Aber viele Menschen kommen, weil es eine Gedenkstätte ist.
    Der gewaltige Krater und hinweg gefegte schwere Panzertürme zeugen von der wahnsinnigen Explosion. Beim Rundgang lassen einige Skulpturen innehalten und gedenken. Wie die Hand mit der Fackel, die aus den Trümmern ragt. Wie die vielen Schuhe, die in einem unzerstörten Innenhof angetreten sind wie zum Appell, nur die Soldaten fehlen.