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Belgische Stadt Dinant
Besuch beim schönsten Mädchen der Maas

Die belgische Stadt Dinant an der Maas hat eine bewegte Geschichte. Einst gehörte sie zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Der Dinanter Adolphe Sax erfand hier das Saxofon - und die deutsche Armee verübte dort 1914 ein grauenhaftes Massaker und tötete 674 Menschen.

Von Franz Nussbaum | 09.11.2014
    Das Panorama der belgischen Stadt Dinant.
    Die belgische Stadt Dinant (picture-alliance / dpa / Romain Fellens)
    Wir reisen in die herbstbunten belgischen Ardennen, in das Städtchen Dinant, rund 13.000 Einwohner, im Tal der Maas. Hier durchbricht die Maas die Ardennenfelsen und bildet dabei eine Art engen „Canyon" mit bizarren Felsformationen. Und deshalb ist Dinant sommers ein Treff für Kletterer und Wassersportler. Dem französischen Dramatiker Viktor Hugo schreibt man den Satz zu, Dinant sei das schönste Mädchen der Maas.
    Und in diesem Jahr feiert dieses Schöne-Mädchen-Dinant den 200ten Geburtstag von Adolphe Sax, dem Erfinder des Saxophons. Er ist hier geboren. Dinant ist derzeit ein Festival der Saxophone. Musiker drängen sich mit ihren Instrumenten durch die enge Innenstadt. Und Dinant ist auch für seine Dinanderien, für seine Messingwaren bekannt, dem "Gold der kleinen Leute".
    Improvisationen von Saxophon und Orgel. Eine Probe für ein Konzert in der Stiftskirche Notre Dame. Im Altarraum die berühmten mannshohen Kerzenleuchter, oder beispielsweise das Weihwasserbecken aus Messing. Dinant war immer ein Zentrum des Messinggusses. Und aus Messing sind die Instrumente des Monsieur Adolphe Sax.
    Und dann fällt mir ein Kirchenfenster mit einer kleinen Widmung ins Auge. Eine Stiftung von Kaiser Otto III.? Empereur, Roi d'Allemagne, also Kaiser und König von Deutschland und die Daten 980-1002. Also nur 22 Jahre alt geworden. Was hat das belgische Dinant mit den deutschen Ottos zu tun? Lea Zuckermann: "Wie alle anderen, ist er hier vorbeigekommen und wollte hier herrschen, eine bestimmte Zeit. Wir haben hier verschiedene Namen, die alle Geld gegeben haben, damit die Kirche immer schöner wird. Dann haben wir Karl aus Burgunden, und der hat alles hier grauenhaft gemacht. Und überall hier finden sie Spuren von all diesen Leuten."
    Dinant gehört zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation
    Also gehen wir auf Spurensuche und beginnen bei Lea Zuckermann selber. Eine zierliche, sehr wache Dame. 80 Jahre oder älter. Zuckermann ist ein bekannter jüdischer Namen, auch aus dem Berlin von 1933. Oder vor dem 9. November 1938. Künstler, Wissenschaftler. Und auch Lea Zuckermann hat Wurzeln in jene Zeit. Sie möchte nicht darüber sprechen.
    Wir stehen mittlerweile draußen, den drinnen gehen die Konzertproben weiter. Was hat nun Kaiser Otto III. mit Dinant zu tun? Blättern wir etwas nach. Otto wird 980 an der unteren Maas geboren. Dinant ist obere Maas. Sein Eltern sind Kaiser Otto II. und die Kaiserin Theophanu. Klein-Otto ist mit Maas-Wasser getauft. Und wir lesen zusammengefasst: "Der obere Maas-Abschnitt gehört von Dinant an damals zum Fürstbistum Lüttich. Lüttich zählt zum Erzbistum Köln und damit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation von Otto dem Großen. Er ist der Großvater von Otto III.." Denken wir mit dieser Notiz 850 Jahre weiter. So kommt die Maas ab Dinant als Westgrenze des römischen Reiches deutscher Nation in die erste Strophe des "Liedes der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben. "Von der Maas bis an die Memel". Und Reichspräsident Friedrich Ebert, ein Sozialdemokrat, verfügt 1922 das Lied der Deutschen mit allen Strophen zur neuen deutschen Nationalhymne zu machen.
    Zurück in das belgische Dinant, Wir lesen noch ergänzend zu Otto III."Otto II. wird in politisch unruhigen Zeiten noch als 3 jähriges Kind in Verona von der Versammlung der deutschen Fürsten zum König gewählt und anschließend in Aachen gekrönt. Wenig später stirbt Otto II., noch jung, bei einem Italienfeldzug. Der Kind-König Otto III. wird dann als Sechsjähriger auch schon Kaiser und wächst unter der Vormundschaft seiner Mutter Theophanu in apokalyptischen Zeiten zu einem jungen Mann heran. Er überlebt mehrere Versuche, auch aus seiner Verwandtschaft, ihm das Erbe streitig zu machen."
    Ein 14-Jähriger auf dem Thron
    Mit 14 Jahren, in einem Alter, wo man heute den Mofa-Führerschein machen darf, übernimmt der junge Otto die Verantwortung für ein Riesenreich. Dabei bestätigt er auch in einer Urkunde dem Bischof von Lüttich ausdrücklich, dass Dinant zu diesem Bistum an der Maas gehört. So mag es auch zu dieser Kirchenfenster-Notiz gekommen sein. Der damalige Bischof Notger von Lüttich kommt aus schwäbischem Adel, wird auf Betreiben Ottos dann auch Erzbischof und Kurfürst von Köln, und soll zu Ottos "Hofkapelle", einer Art Küchenkabinett von engen Beratern des Kaisers gezählt haben. Was so eine Kirchenfenster-Notiz in Dinant uns nicht alles erzählen kann.

    Dinant liegt also immer an einer politischen Schnittstelle, eben der Maas-Grenze und wird rund 20mal erobert oder plattgemacht, wechselseitig von Lüttich, von Burgund, von Frankreich, Spanien und auch von Deutschland. Und wir hörten eben auch von einem Massaker des burgundischen Herzogs Karls des Kühnen in Dinant, und lesen darüber in den Annalen: "Herzog Karls zersplittertes Burgunder-Reich sieht sich zwischen dem Großreich der römisch-deutschen Kaiser und zwischen Frankreich eingeklemmt. Und Dinant liegt dem kühnen Karl wie ein Pfropfen im Wege zwischen seinen Besitzungen Luxemburg und seinem reichen Herzogtum Brabant."
    Und weil er ein machtpolitisches Ausrufezeichen setzten zu müssen glaubte, lässt Karl 1466 Dinant plündern, dann niederbrennen und dann 800 Bürger mit Steinen beschwert in der Maas ertränken. Und wenn sich nun bei uns heute die Nackenhaare der Empörung kräuseln: Es gibt auch Plünderungen von Ludwig XIV.. Und es gibt auch ein deutsches Massaker von 1914, vor einhundert Jahren. Dazu später mehr.
    Messing: Das Gold der armen Leute
    Wir haben ja eben in der Kirche auch über Messing aus Dinant gesprochen. Und Messing-Produkte werden der Reichtum der Stadt im Mittelalter. Sie werden bis nach London verhandelt. Zuckermann: "Wir hatten hier Kupferklöpfer. Und das war die Kunst hier in Dinant. Das ist Messingarbeit. Das gab dann die Möglichkeit nicht zu teure Gefäße zu machen, für Geschirr, für Leuchter, natürlich. Und man hat das auch genannt Gold für arme Leute."
    Aus diesem Gold für arme Leute ertüfftelt also Adolphe Sax, geboren am 6. November 1814, vor 200 Jahren ein neues Musikinstrument, das Saxophon, dieses goldglänzende Ofenrohr. Und hier, wo in Dinant sein Geburtshaus gestanden hat, steht heute eine Ruhebank, darauf sitzt eine Skulptur von Adolphe Sax mit seinem Instrument im Arm. Und ich habe zwei Fotos dabei. Eins zeigt den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, wie er ein solches Saxophon bei einem politischen Gipfeltreffen bläst. Unter den amüsierten Zuhörern erkennt man auch den russischen Präsidenten Boris Jelzin. Das Saxophon, oder Saxophonmusik als Kommunikationskitt auf diplomatischem Parkett? Das zweite Foto zeigt den legendären deutschen Bandleader Max Greger vor seiner Bigband. Er spielt ein fetziges Saxofon-Solo. So weit die Theorie. Nun treffe ich nicht ganz zufällig zwei deutsche Saxofon-Spielerinnen. Der Ort wimmelt von Musikern. Sie haben auch ihr Instrument dabei. Was haben sie für Erfahrungen mit dem Saxofon?
    Das Saxofon kommt aus Dinant
    Eine Musikerin: "Fast auf den Tag genau spiel ich jetzt erst seit drei Jahren Saxofon. Anfang diesen Jahres war ich bei meinem Lehrer, der sagte, guck mal hier wird ein Euregio-Saxofon-Orchester gegründet. Ich dachte, schreib da mal hin. So bin ich hier gelandet. Also ich bin nicht erfahren, ich wachse mit dem Orchester. Und dann auch noch dieses Internationale. Man könnte da jetzt auch noch ein bisschen das Französisch auffrischen. Also auch dieser Austausch mit den ganzen anderen Musikern. Ganz toll, menschlich, sprachlich, musikalisch." Eine Andere: "Ich hab das Saxofon, den Klang des Saxofon immer schon geliebt. Und hab dann den Bezug zu Jazz bekommen. Jazz ist dann meine Leidenschaft geworden." "Ich glaube, der Adolphe Sax hat das Saxofon erfunden, weil er Ersatz für Streicher haben wollte. Ich finde, dass das Saxofon auch sehr der menschlichen Stimme ähnlich ist. Also dass man damit singen kann", sagt die Musikerin
    Da bin ich gespannt, ob man diese Streicher und Stimmungen auch gleich heraus hören kann. Nun eilen meine beiden Saxofonistinnen zu einer Probe des Euroregio-Saxofon-Orchesters. Gleich spielen sie in memoriam Adolphe Sax etwas aus dem Georg-Friedrich-Händel-Oratorium "Salomon". Händel ist in London, 64 Jahre alt. Er ist stark sehbehindert, fast blind, hat grauen Star, als er dieses Oratorium schreibt. Grauer Star, damals ein sehr komplizierter chirurgischer Eingriff, an dessen Folgen ja beispielsweise Johann Sebastian Bach 1770 stirbt. Bach wie Händel kennen noch kein Saxofon. Sie schreiben ihre barocken Ohrwürmer für Pauken und Trompeten und Streicher. Und wir hören also Händels "Einzug der Königin von Saba" bei König Salomon. Das war vor 2.800 Jahren. Bemühen wir etwas unsere Fantasie. Ein pompöser Staatsbesuch aus dem damals märchenhaften, orientalischen Saba, das ist heute der Jemen. Die Königin von Saba hat in vergangener Zeit also eine Reise von gut 2.000 Kilometern hinter sich. Ihre Reisemarschälle werden wahrscheinlich mit einer Flotte damaliger Luxusschiffe vom Jemen durch das Rote Meer geschippert sein. Sicherlich begleitet von Militärs, denn Seeräuberei und Lösegeld-Erpressung sind auch damals schon das drittälteste Gewerbe der Welt. Ausgestattet mit komfortablen Zelten, Teppichen. Dazu Köche, Ärzte, Musiker, Sterndeuter, Visagisten, Coiffeuren, Couturiers. Wir hören nun den festlichen Einzug der Königin von Saba mit ihren Saxofonisten in Dinant.
    1914 verüben deutsche Truppen ein Massaker
    In memoriam Adolphe Sax verlassen wir die Orchesterprobe. 1830 kommen Dinant und die Maas zum neu gegründeten Königreich Belgien, unter einem König aus dem deutschen Haus Sachsen-Coburg. Und nun wenden wir uns abschließend einem ganz anderen Einzug zu. Der Einzug deutschen Militärs 1914 in Dinant. In der sachlichen Sprache einer Nachricht lesen wir: "Am 23. August 1914 verüben deutsche Truppen das Massaker von Dinant und töten dabei 674 Zivilisten. Zugleich werden zwei Drittel der rund 1.800 Häuser der Stadt zerstört. Der militärische Einmarsch der Deutschen im 1. Weltkrieg erfolgt im Verlauf des Marsches durch das damals neutrale belgische Nachbarland."
    Später versuchen deutsche Offiziere und Soldaten ihre Taten damit zu rechtfertigen sie wären von Zivilisten und Freischärlern angegriffen worden. In der Tat hat es Kämpfe mit französischen Soldaten in Dinant gegeben und ein junger Leutnant Charles de Gaulle wird dabei verletzt. Es gab aber keinerlei völkerrechtliche Legalität für die Tötung und Erschießung von 674 zivilen Personen und die Zerstörung einer belgischen Stadt. Erst im Jahre 2001 entschuldigt sich die Bundesrepublik Deutschland offiziell bei den Nachkommen der damaligen Opfer in Dinant. Fast 90 Jahre brauchen wir, brauchen deutsche Politiker und Veteranenverbände um die erdrückende Wahrheit von Dinant anzunehmen. Mittlerweile kenne ich den unfassbaren Ablauf und die Hintergründe des Massakers. Sie sind höchst lesenswert und mit einem einfachen Klick im Internet abrufbar.