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Beliebt und verkannt

Albert Lortzing ist einer der beliebtesten und womöglich verkanntesten deutschen Komponisten, und dies, weil sein Metier die deutschsprachige Spieloper war - eine scheinbar heitere Gattung, die in einer wenig heiteren Zeit ihre musikalische Ausprägung fand. Nun gibt es eine neue Gesamteinspielung von Lortzings Oper "Der Waffenschmied".

Von Frank Kämpfer | 05.06.2005
    * Musikbeispiel: A. Lortzing - Ausschnitt aus: "Der Waffenschmied"

    Undurchschaubare Szene: da wird auf Zwang hin geküsst, der Küssende sogleich denunziert und (weil ein einfacher Schmiedegesell) beinahe des Hauses verwiesen. Da tritt ein Unbekannter ins Spiel, der sich nicht ausweisen mag, aber Annäherungsversuche eines Grafen verrät und einen anderen Bräutigam anpreisen will. Und da beharrt ein Dritter mit eiserner Stimme auf der Komik der ganzen Situation, derweil ein Chor den Denunzianten als "nicht bei Sinnen" zu übertönen versucht.

    Wo sind wir? Im Theater; heute und hier? Im Worms vor 1600? 1846, im Uraufführungsjahr, in Wien, kurz vor der politischen Implosion? In jedem Falle ist von Unerwünschtem, gesellschaftlich nicht Sanktioniertem die Rede. Denn dass ein Adliger eine Bürgersfrau ehelicht, ist auch zur Metternich-Zeit nicht standesgemäß. Doch scheinen Liebe und Ehe an sich auseinander zu fallen im biederen Kleinstadt-Idyll, das die Oper aufzeigt - auseinander zu fallen wie Sein und Schein, wie Ware und Wert.

    Hat Albert Lortzing dies so gemeint? Der Librettist Lortzing ganz ohne Zweifel. Denn dem Waffenhersteller Stadinger droht der Verlust einer Wette, wenn der Falsche seine Tochter zur Frau nehmen darf. Die wiederum träumt vom für sie unerreichbaren Ritter - und nähert sich Konrad, dem braven Gesellen; ihr Realsinn lässt sie den Verführungskünsten Graf Liebenaus widerstehen. Sich zu verbinden ist ein Geschäft und auch sie, Marie, wäre opferbereit, um Gefühle und äußere Form zusammen zu bringen, was sie pikanterweise im Streit mit dem Geliebten verrät:

    * Musikbeispiel: A. Lortzing - Ausschnitt aus: "Der Waffenschmied"

    "Ä", nicht "e". Gäb, nicht geb. "Gern gäb ich Gut und Reichtum her für meine Liebe" - so singt man es wortgetreu in der zentralen melodischen Phrase des Stücks; ein Umstand, der dem Opernbesucher in der Regel nicht unbedingt aufgezeigt wird. Lortzings viel gespielte Verwechslungskomödie gilt bis heute als kompositorisch nicht ernst zu nehmend und wird seit 150 Jahren als biedere Unterhaltung gespielt, die auf zwei Opern-Schlage hinausläuft. Kein Stoff für Regisseure und Dirigenten mit Avantgarde-Ambition. Von einer einzigen Ausnahme (Leipzig 1986) abgesehen, wurde dem Waffenschmied bisher keine kritische, musiktheatralisch reflektierende Auseinandersetzung zu Teil, was den Stellenwert des Werks im Spielplan und auf dem Tonträgermarkt nur zu gut verdeutlicht.

    Dabei lohnt es, auch hier ein wenig genauer und zwischen den Zeilen zu lesen. Also noch einmal: "Ä", nicht "e". Gäb, und nicht geb. Der Konjunktiv in Maries, eigentlich Liebenaus Lied hat eine Schlüsselfunktion zum Verständnis.

    Denn der materielle Liebesbeweis bleibt reine Behauptung und Sein und Schein klaffen tatsächlich auseinander. Im Figurengefüge zum Beispiel. Graf Liebenau und der Arbeiter Konrad sind nämlich ein und dieselbe Figur, die sich nur verschieden maskiert. Wen Marie liebt von diesen beiden und wie sie mit dem Trugbild des anderen umgeht, bleibt offen. Die Titelfigur selbst, der Produzent tödlicher Waffen gilt anderen Figuren der Oper als helfender Tierfreund; von seinem wahren Gewerbe ist wenig zu sehen. Schein versus Sein.

    Noch deutlicher klafft der Schizoid zwischen Text und Musik - das gesprochene Wort (im Repertoiretheater meist amputiert, auf Humor hin getrimmt) wirkt höchst treffend und scharf; der musikalische Part hingegen scheint gedeckelt, verkleinert, höchst bieder und brav. Markiert dies einen Gesellschaftsbefund, erzählt dies vom Verhältnis von Politik, Kunst und Moral - wie es der Komponist zu Metternichs Zeiten erfährt und zugleich reflektierend dokumentiert? Lortzings Umgang mit der Gattung Oper spricht in der Tat Bände. Der Hit dieses Werkes übrigens ist ein nostalgisches Lied. Die Titelgestalt - einst ein Freiheitskämpfer, nun ein mürrischer Kauz - erinnert sich besserer Tage und weiß, dass es ans Abtreten geht.

    * Musikbeispiel: A. Lortzing - Ausschnitt aus: "Der Waffenschmied"

    Sentiment, Biederkeit, Erinnerung an die politisch uneingelösten Ideale einer Jugend, die historisch in die Zeit der anti-napoleonischen Freiheitskriege gehört und in manch geschichtlich späteren deutschen Aufbrüchen und Katastrophen aufschien… Was von alledem ist im neuen, im vergangenen Jahr von den Münchner Rundfunk-Klangkörpern produzierten Lortzing’schen "Waffenschmied" nun real akustisch präsent?

    Zweifellos, unter Leopold Hagers musikalischer Leitung erklingt das Stück ganz ohne Schnörkel und ohne falschen Klamauk. Namhaft ist die Solisten-Besetzung; John Tomlinson singt die Titelpartie, Ruth Ziesak Marie, Bo Skovhus den von Liebenau alias Konrad. Wer erwartet, dass die drei Stars des Opernbetriebs hier alle Register ihres stimmlichen Könnens ziehen würden, der wird enttäuscht. Lortzings Musik gibt dies nicht her - genauer gesagt, dies ist nicht ihre Funktion. Der gesprochene Text ist stark gerafft, pointiert, dramaturgisch gut auf entscheidende Punkte gebracht - und fügt sich gut zur Musik. Ich würde diese Plattenproduktion als grundweg solide betrachten - als etwas, was heute eben gerade noch möglich ist im ökonomisierten Studiobetrieb. Unter dem Theateraspekt allerdings ist die Aufnahme ein wenig nüchtern, stellenweis’ clean, zu wenig einfach interpretiert. Die Angriffslust fehlt, das Provozierende der Leichtigkeit, alle Offenbach’sche Ironie und Widerborstigkeit.

    Der entscheidende Umbruch des Stückes - die Verwandlungsmusik im 3. Akt, der Militärmarsch, der die Spielhandlung endet und kippt und der ein Stück Geschichte vorwegnimmt - Graf Liebenaus Musik also, sie bleibt von Gestus her zu unscharf. Was will, was soll sie? Komponiert ist eine unheilvolle Dimension, die von Leopold Hager als musikalischem Leiter und Koordinator, nicht umzusetzen, nicht zu verwerten war.

    * Musikbeispiel: A. Lortzing - Ausschnitt aus: "Der Waffenschmied"

    Albert Lortzing, "Der Waffenschmied". Gesamtaufnahme. Neu eingespielt mit Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks. Musikalische Leitung: Leopold Hager. Die Doppel-CD ist beim Label Callig Classics, der Edition Günter Hänssler erschienen und sollte in jedem CD-Fachgeschäft beziehbar sein.

    Albert Lortzing: "Der Waffenschmied". Gesamtaufnahme
    div. Solisten
    Chor des Bayerischen Rundfunks
    Münchner Rundfunkorchester unter Leopold Hager
    Label: Callig Classics/ Edition Günter Hänssler
    Labelcode: LC 13395
    Bestellnr.: PH04081