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Benedikt hat sich "schmerzlicher" Missbrauchsthematik gestellt

Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, nimmt den scheidenden Papst Benedikt vor dem Vorwurf in Schutz, er habe sich nicht genügend mit dem Missbrauchsskandal der katholischen Kirche auseinandergesetzt. Papst Benedikt sei jemand, der dazu eine klare Position bezogen hätte, aber auch eine menschliche Anteilnahme spüren lassen habe.

Stephan Ackermann im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.02.2013
    Christiane Kaess: Der angekündigte Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. ist in Deutschland mit Erschütterung und gleichzeitig Respekt aufgenommen worden. Politiker und Bischöfe würdigten das Kirchenoberhaupt als bedeutenden Theologen. Mit seinem Amtsverzicht beweise er Mut und Souveränität, so heißt es in vielen Reaktionen, aber auch kritische Stimmen melden sich zu Wort, besonders Vertreter von Menschen, die in kirchlichen Einrichtungen Opfer sexuellen Missbrauchs wurden. Das Netzwerk Betroffener von sexueller Gewalt merkte an, zur Unterstützung der Opfer habe Joseph Ratzinger nichts beigetragen. Inzwischen haben die Spekulationen über einen Nachfolger begonnen.

    - Und am Telefon ist jetzt der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, guten Morgen!

    Stephan Ackermann: Einen schönen guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Dass das gestern ein historischer Moment war, darüber sind sich alle einig, wir hören mal gleich zu Beginn eine Reaktion des Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck.

    Franz-Josef Overbeck: "Ich war zusammen mit meinem persönlichen Referenten dabei, einige Apps auf mein neues Handy zu laden und lud dabei auch ein App einer bekannten deutschen Zeitschrift auf. Und als das aufgeladen war, erschien als erste Meldung, der Papst tritt zurück. Wir beide waren derartig konsterniert, dass wir sofort sagten, das ist nicht nur historisch, wir beide werden diesen Augenblick aus vielen Gründen nicht vergessen."

    Kaess: Der Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Herr Bischof Ackermann, wie haben Sie vom Rücktritt des Papstes erfahren?

    Ackermann: Ja, ich war im Grunde dabei, aufzubrechen zu einer mehrstündigen Wanderung durch den Schnee, als die Meldung kam, mein Sekretär mich anrief. Und ich muss ehrlich sagen, ich habe das zunächst für einen Fastnachtsscherz gehalten, weil das mir doch wirklich so unglaublich erschien.

    Kaess: Also Sie haben nichts geahnt?

    Ackermann: Ich habe nichts davon geahnt. Der Papst selbst hat ja das auch schon mal ins Gespräch gebracht in dem Interviewbuch, was er mit dem Journalisten Seewald geführt hat. Es gab ja immer wieder mal auch die Frage: Wie ist das, kann ein Papst zurücktreten, ist das möglich? Das Kirchenrecht sieht das auch vor, aber es war doch mehr eine theoretische Möglichkeit. Aber dass das so jetzt konkret wird, damit hat, würde ich sagen, weltweit keiner gerechnet.

    Kaess: Wir haben vorhin die Reaktion des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner gehört, der Unverständnis gezeigt hat und sagte, wenn Joseph Ratzinger ihn gefragt hätte, er hätte glatt Nein gesagt. Schwingt denn da ein Vorwurf mit, dass der Papst damit die Katholische Kirche, die ja ohnehin schon in einer Krise ist, noch zusätzlich in einen Ausnahmezustand versetzt?

    Ackermann: Also ein bisschen Ausnahmezustand wird das jetzt in den nächsten Wochen sicher sein. Ich verstehe aber Kardinal Meisner so, dass das eine Frage auch des eigenen Amtsverständnisses ist. Ich glaube, da spürt man schon einen Unterschied, auch, wenn man die beiden Päpste Johannes Paul II. und Papst Benedikt vergleicht. Das war ja bei Johannes Paul im Grunde so, dass er auch gesagt hat, ich werde das Amt ausführen und bitte Gott darum, dass er mir hilft, das bis zum letzten Atemzug zu tun. Also eine unglaublich starke Identifikation von Person und Amt. Und bei Papst Benedikt, das entspricht ihm aber auch als Theologen, war es ja immer schon so, dass er deutlich gemacht hat, das Amt hat eine Objektivität, eine Größe, die mich als Person übersteigt. Und auch nicht das Subjektive spielt die Rolle, sondern ich habe dieses Amt auszuführen, sozusagen auch in dem Objektiven. Und habe dahinter zurückzutreten, mich zurückzunehmen. Und ich glaube, von diesem Amtsverständnis her, auch des Petrusamtes, ist jetzt auch dieser Rücktritt zu erklären, zu sagen, das ist so dieses Amt auch mit den Anforderungen: Ich als Mensch kann das mit meinen Kräften nicht mehr gut ausführen, so sagt er ja selber, deshalb trete ich zurück. Es ist, glaube ich, eine unterschiedliche Weise, das Amt zu verstehen, die legitim ist, aber die auch, glaube ich, in den Äußerungen sowohl von Johannes Paul, aber sicher auch jetzt von Kardinal Meisner deutlich wird.

    Kaess: Sie wissen ja als Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche nur zu gut, in welcher Krise die katholische Kirche auch in Deutschland steckt. Was wird der Rücktritt des Papstes jetzt in dieser Situation auslösen?

    Ackermann: Natürlich ist es immer eine Zäsur. Also wenn ein neues Pontifikat beginnt, dann wird sich das ja jetzt vermischen noch mit vielen Fragen, wie geht es weiter, da werden sich Hoffnungen, da werden sich unzählige Erwartungen daran knüpfen. Das ist ja auch immer eine Hypothek, die dann ein neuer Amtsinhaber mit zu bedenken, mit aufzunehmen hat und im Grunde ja auch gar nicht erfüllen kann. Aber ich will noch mal deutlich machen, gerade Papst Benedikt hat sich doch dieser ganzen Thematik, dieser schmerzlichen Thematik gestellt, keinen Zweifel daran gelassen, dass es um Aufklärung geht, dass wir alles tun müssen, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Und er hat sich ja auch der Begegnung mit Betroffenen immer wieder gestellt, in den Vereinigten Staaten, in England und bei uns hier, als er in Deutschland war. Ich war ja selbst dabei in Erfurt, bei dieser Begegnung. Und das gehört für mich wirklich auch zum Berührendsten, auch in der Begegnung mit Papst Benedikt, dass er nach diesem langen Tag, als er dann abends nach Erfurt kam – wir waren im Priesterseminar –, dann dieses Gespräch geführt hat, gehört hat. Und in einer ganz großen Menschlichkeit mit denen, die da als Gäste eingeladen waren, gesprochen hat. Das hat mich sehr beeindruckt, also insofern würde ich sagen, er ist jemand, der wirklich da eine ganz klare Position bezogen hat, aber auch die menschliche Anteilnahme hat spüren lassen.

    Kaess: Dennoch kommt auch jetzt Kritik, vor allem von Missbrauchsopfern. Ich habe es gerade vorhin schon zitiert, das "Netzwerk Betroffene von sexueller Gewalt" meint, zur Unterstützung der Opfer habe Joseph Ratzinger nichts beigetragen. Bleibt da also ein dunkler Fleck auf seiner Amtszeit?

    Ackermann: Das ist sicher eine ganz große Belastung, und, sagen wir mal, eine einschneidende Erfahrung dieses Pontifikates, aber man muss natürlich auch dazu sehen, dass das ja Dinge sind, die zurückliegen, zum Teil sehr weit zurückliegen, dass der Papst auch an dieser Stelle ein Stück Aufarbeitung von Geschichte von Kirche zu leisten hatte. Das tut er an seiner Stelle mit klaren Prinzipien, mit klaren Anweisungen an die gesamte Weltkirche. Aber dann sozusagen die konkrete Arbeit vor Ort, und das heißt auch, die Hilfe, das heißt, das Zuhören, das Hören auf die Betroffenen, das muss ja vor Ort in den Ortskirchen geleistet werden, wie etwa auch hier bei uns in Deutschland in den Bistümern, in den Ordensgemeinschaften, das kann ja der Papst sozusagen alleine nicht leisten.

    Kaess: Sind Sie denn persönlich unter Papst Benedikt XVI. in Ihrer Arbeit an Grenzen gestoßen.

    Ackermann: Das ist ja so, der Bischof hat nicht sozusagen direkt mit dem Papst zu tun, sondern dann geht es ja eher über die römischen Dienststellen. Das ist sozusagen die reguläre Kontaktnahme mit dem Papst. Und das ist ja wie immer sozusagen, wenn man also von Bistümern oder von Stellen vor Ort und zentralen Verwaltungen, Apparaten, da gibt es natürlich immer auch Grenzerfahrungen, das gebe ich zu. Aber das gilt jetzt weniger für die Person des Papstes und die Begegnungen auch mit ihm, das habe ich immer auch bewundert, wie sehr er auch gerade in seinem Alter mit einer hohen Aufmerksamkeit, Einfühlsamkeit im Gespräch präsent war und sich natürlich wirklich auch gut auskennt in der deutschen Landschaft.

    Kaess: Ist der Rücktritt auch eine Chance?

    Ackermann: Also ich glaube, der Rücktritt wird natürlich auch noch mal das Verständnis des Papstamtes verändern. Ich glaube, das können wir natürlich jetzt noch gar nicht so beurteilen. Die Tragweite dessen, was da geschieht, also sich vorzustellen, es gibt auch für den Papst so etwas wie einen Ruhestand, das wird sicher auch noch einmal dieses Amt verändern, in dem Sinne auch modernisieren, denn man sieht ja, die Herausforderungen – das sagt der Papst ja selber ganz deutlich – die sind enorm in der beschleunigten vernetzten Welt. Und wie kann man gut als Mensch mit schwachen Kräften das ausüben und in welchem Alter geht das. Das, glaube ich, hat schon auch noch mal Auswirkungen und wird auch verändern.

    Kaess: In Kommentaren ist heute zu lesen, Benedikt XVI. habe die deutschen Katholiken mehr polarisiert als geeint. Wie müsste denn ein neuer Papst mehr einen als spalten?

    Ackermann: Also, das ist ja die ganz schwierige Frage, gerade auch für die westlichen Gesellschaften in dieser Situation der ganz großen Pluralität. Das ist, glaube ich, der Weg, den wir weiter suchen müssen, den wir noch nicht einfach gefunden haben. Also wie geht Kirche in der Moderne beziehungsweise in der Postmoderne – würden wir heute sagen –, braucht es da stärker da Profil, die Abgrenzung, die klare Kante, die gezeigt wird auf der einen Seite, in diesem Ganzen, sozusagen auf dem Markt der unglaublichen Möglichkeiten und Weltanschauungen. Oder braucht es mehr den Weg einer kritischen Anknüpfung an die Fragen der Zeit, an die Menschen. Beides hat sozusagen auch Stärken und Schwächen. Und das ist, glaube ich, ein Punkt, da muss auch der künftige Papst helfen. Ich würde sagen, es braucht eine kritische Form von Anknüpfung, eine Wachheit für die Zeichen der Zeit. Und wie kann dieser Weg gut beschritten werden, ohne dass wir sozusagen das Spezifische des Glaubens aufgeben, dass wir uns einfach verlieren, dass wir einfach aufgehen. Das ist, glaube ich, die Kunst. Und das wird auf einen neuen Papst auch zukommen, denn das gilt ja in vielen Gesellschaften.

    Kaess: Da hatte sich ja Benedikt XVI. ganz eindeutig positioniert, er hat bei seinem Besuch in Deutschland davon gesprochen, die Kirche solle entweltlicht werden, um der Kirche aus der Krise zu helfen. Muss sie dafür nicht gerade weltlicher werden und näher am Menschen sein?

    Ackermann: Ja, das hat er eigentlich auch gemeint. Es ist eine Frage, was man unter Welt eben versteht. Heißt Welt wirklich nahe bei den Menschen zu sein, bei ihren Fragen. Oder heißt Welt sich mit den Strukturen dieser Welt gleichzumachen, im Grunde ununterscheidbar zu werden von anderen Organisationen und internationalen Verbindungen, Verbänden. Und das ist, glaube ich, aber insofern bringt dieses Stichwort Entweltlichung und die Rede von Freiburg schon sehr genau den Knackpunkt zum Vorschein, zu gucken, was ist da der richtige Weg zwischen Profil, zwischen Erkennbarkeit und Anknüpfung, das heißt, wirklich auch zu sagen, wir sind Kirche in der Welt.

    Kaess: In der Diskussion ist es jetzt wieder, dass ein Nachfolger aus Afrika, Asien oder Lateinamerika kommen könnte. Wäre es denn an der Zeit, einen Papst aus einem anderen Erdteil als Europa zu bestimmen, wo ja auch der größte Teil der Katholiken lebt, also außerhalb Europas?

    Ackermann: Ja, das wird eine wichtige Frage sein, auch jetzt in der Zeit, im Zugehen auf das Konklave, im Konklave selber. Das heißt für mich auch wirklich jetzt, mit zu beten, dass der Geist uns zeigt, wer ist der geeignete Nachfolger für Papst Benedikt, das Kardinalskollegium ist völlig international zusammengesetzt, da sind alle Kontinente und Erdteile vertreten. Das ist dann die Frage, wo will man einen Akzent setzen, was ist sozusagen das Entscheidende. Soll auf das Zeichen gesetzt werden, Kirche ist Weltkirche? Und das zeigt sich auch besonders in der Gestalt des Papstes, der – ich weiß nicht – aus Lateinamerika kommt oder aus Afrika. Oder geht es mehr darum, vielleicht zu sagen, wir wollen jemanden, der auch Weltkirche führt, gerade von Rom aus mit natürlich auch dem Zentrum, mit dem Vatikan, mit sozusagen der Struktur dort, jemand, der Führung in diesem Sinne wahrnimmt. Das ist eine Frage, wo sieht man sozusagen die stärkste Herausforderung und den größten Handlungsbedarf. Das wird sicher auch irgendwie eine Rolle spielen, weniger, dass die Kardinäle sich nicht vorstellen könnten, es könnte jemand, ein Bischof, ein Kardinal aus Asien oder Afrika Papst sein. Ich glaube, das Kollegium, die Kardinäle kennen sich ja auch durch eine ganze Reihe von Zusammenkünften, sodass das da, glaube ich, weniger die Rolle spielt, von welchem Kontinent kommt jemand, welcher Nationalität ist der, sondern was ist wirklich die Eignung, die er mitbringt.

    Kaess: Live bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen der Bischof von Trier, Stefan Ackermann. Danke für das Gespräch!

    Ackermann: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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