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"Benedikt ist Leitfigur für viele konservative Intellektuelle weltweit"

Wegen seiner konservativen Ansichten umstritten, wurde Papst Benedikt XVI. als gelehrter Theologe geschätzt – auch von Papstkritikern. Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf meint, der Papst habe dem Katholizismus ein "intellektuelles, schärferes Profil" gegeben.

Friedrich Wilhelm Graf im Gespräch mit Karin Fischer | 11.02.2013
    Karin Fischer: Der Papst ist natürlich ein Kulturphänomen, auch Benedikt XVI., und das nicht nur, weil es seit dem Mittelalter keinen solchen Amtsverzicht mehr gegeben hat. Oder weil dieser deutsche Papst seit je mehr Begeisterung in fremden Ländern als in seiner Heimat ausgelöst hat. Oder weil die einen ihn für einen theologischen Hardliner halten und die anderen für einen Revolutionär. Diese Diskussion ist übrigens noch offen und auch nicht an dieser Stelle zu führen, das überlassen wir den Spezialisten. Wir interessieren uns für mögliche Beziehungen, die zur Kultur herzustellen sind. Als Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, hatte man ihn ja ganz dezidiert auch als Intellektuellen geschätzt. Was ist das intellektuelle Vermächtnis des Deutschen auf dem Papststuhl? Die Frage ging vor der Sendung an Friedrich Wilhelm Graf, der zwar zu den anderen gehört – er ist evangelischer Moraltheologe, der aber intellektuelle Gefechte durchaus sehr zu schätzen weiß.

    Friedrich Wilhelm Graf: Gut, Benedikt ist Leitfigur für viele konservative Intellektuelle weltweit geworden, zunächst als eine klassische deutsche Gelehrtenbiografie, wenn man sich sozusagen die einzelnen akademischen Stationen anschaut, aber hat immer einen wichtigen Anspruch erhoben, dass das Christentum eine denkende Religion ist, dass das Christentum in einem engen Bündnis mit der Vernunft steht – Glaube und Vernunft, sie waren für ihn ein wichtiges Thema. Insofern hat er dem Katholizismus ein intellektuelles, schärferes Profil gegeben als andere Päpste vor ihm.

    Fischer: Was bedeutet das genau?

    Graf: Das bedeutet eine interessante Mischung aus Modernitätskritik, also etwa die, wie ich finde, geniale Formel – ich halte sie für falsch, aber es ist eine geniale Formel: eine pluralistische Gesellschaft als eine Diktatur des Relativismus zu beschreiben, also Pluralismus mit Relativismus gleichzusetzen. Er sucht sozusagen nach neuen tragfähigen Orientierungen, die seiner Sicht nach nur eine starke religiöse Institution, eben die katholische Kirche, und der christliche Glaube geben können.

    Fischer: Eine andere Verbindung zur Kultur oder zu Kulturschaffenden ist der Schriftsteller Martin Mosebach. Er hat sozusagen als konservative Imitatio des Papstes in Deutschland einen Kulturstreit entfacht mit seinem vehementen Eintreten für die altrömische, für die tridentinische Liturgie. War er sich damit Benedikt, seiner Sache gewiss oder einer Meinung?

    Graf: Also zunächst möchte ich ausholen und sagen, wir erleben in der Bundesrepublik seit ungefähr 15 Jahren ein interessantes Phänomen, das, was Gustav Seibt den Feuilletonkatholizismus genannt hat, also katholische Intellektuelle, die mit ganz konservativen Positionen ins Feuilleton gehen – Martin Mosebach ist nur der Repräsentant oder der prominenteste Sprecher einer ganzen Gruppe solcher Intellektuellen. Und natürlich hat er sich in der Ritusreform oder zur Rückkehr zum alten Ritus mit dem Papst einig gewusst und gewiss auch positive Signale aus Rom erhalten.

    Fischer: Es gibt ganz praktische, ganz menschliche Fragen, die den Laien am Werk eines Papstes, am Lebenswerk eines Papstes interessieren: Wie verhält er sich zum Missbrauch in der katholischen Kirche, zur Kondomfrage, zur Pille danach, um jetzt mal eine aktuelle Diskussion aufzugreifen? Was ist für Sie, Friedrich Wilhelm Graf, das kulturelle Vermächtnis dieses Papstes, was seine größte kulturelle Leistung?

    Graf: Also die Dinge, die Themen, die Sie angesprochen haben, da sieht der Papst sehr schwach aus. Bei dem letzten, Pille danach, kann man sich nicht vorstellen, dass sein enger Vertrauter Kardinal Meisner etwas gesagt hat, was nicht mit Rom abgestimmt war. Das wichtigste intellektuelle Vermächtnis von Joseph Ratzinger oder Benedikt XVI. ist die klare Botschaft, dass das Christentum eine Religion ist, die vor dem Forum der Vernunft verantwortet werden muss, dass ein vernunftloser, ein geistloser Glaube sehr schnell in Fanatismus und Intoleranz umschlägt. Dagegen hat der Papst sozusagen alteuropäische aristotelische Vernunfttraditionen ins Spiel gebracht. Ich würde sagen eine interessante Spielart eines religiösen Konservativismus.

    Fischer: Das war der Theologe Friedrich Wilhelm Graf mit seiner Einschätzung zur kulturellen Bedeutung von Benedikt XVI.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Das Gespräch mit Friedrich Wilhelm Graf können Sie mindestens bis zum 11. Juli 2013 als Audio-on-demand abrufen.

    Alle Beiträge zum Thema haben wir für Sie auf unserer Themenseite: Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zusammengefasst