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Benito Pérez Galdós: Dona Perfecta

Wäre Spanien nicht nach seinem Goldenen Zeitalter in "dark ages" zurückgesunken und von Europa nahezu abgekoppelt gewesen, dann müßte Benito Pérez Galdós - er starb 1920 mit 77 Jahren - bei uns ebenso bekannt sein wie etwa Dickens oder Balzac, Maupassant oder Tolstoi. Denn er ist der große spanische Romancier des 19. Jahrhunderts. Wie die Dinge jedoch liegen, lasen die meisten von uns seinen Namen wohl erstmals im Vorspann einiger Filme von Bunuel, der als Bewunderer von Galdós’ Romanen einige Geschichten zu Vorlagen nahm. Nazarin und Tristana zum Beispiel.

Gabriele Killert | 05.06.1998
    Nur wenige der über siebzig Romane dieses bedeutenden und fruchtbaren Schriftstellers sind ins Deutsche übersetzt, und diese wenigen meist längst wieder vergriffen. Dankenswerterweise hat der Aufbau Verlag jetzt den kleinen frühen Roman "Dona Perfecta" von 1876 neu aufgelegt, sein in Spanien bis heute meistgelesenes Buch.

    Als bei uns die Gründerzeit mit ihrer hektischen Betriebsamkeit längst angebrochen war, reist in Spanien ein junger Ingenieur namens Pepe Rey aus der Hauptstadt in die Provinz, um in der Heimat seiner verstorbenen Mutter einige ererbte Ländereien in Besitz zu nehmen und seine Kusine vereinbarungsgemäß zu heiraten. Dieses fiktive Städtchen mit Kathedrale und Bischof liegt im Herzen Spaniens und nennt sich Orbajosa, was man lesen kann als "urbs augusta", die Erhabene, aber auch als "urbs alioso", die Knoblauchstadt. Und eher so erscheint sie einem Fremdling wie Pepe Rey, der eigentlich nichts weiter wünscht, als das Land seiner Mutter und Braut schön und heimatlich zu finden. Doch die Furcht der Kirchenhirten um den Verlust ihrer traditionellen Gewalten verbindet sich mit dem Eigennutz der Kirchenschafe, die sich inzwischen die besten Stücke Land von Rey angeeignet haben und den "Eindringling" mit bäurischer Schläue und Zähigkeit nunmehr in endlose Prozesse verwickeln. Dem gutmütigen aber leidenschaftlichen jungen Mann wird so in jeder Beziehung die Unschuld geraubt.

    Im Salon seiner Tante Dona Perfecta, dem Hauptquartier der bigotten Provinzchauvinisten von Orbojosa, trifft man sich täglich, um Pepe Rey aus seiner gutmütig-ironischen Reserve zu locken und ihm schließlich in dreisten Verhören persönlich den Krieg gegen das Wissenschaftliche, den Fortschritt, das Böse schlechthin zu erklären.

    Der immer satirischer und farcenhafter werdende Gang der Handlung führt schließlich in schneidigem Tempo zum tragisch-burlesken Ausgang, der hier nicht verraten werden muß.

    Trotz der Handicaps der deutschen Textfassung, die nicht immer optimal gelungen ist, läßt sich erkennen: Galdós beherrscht jeden Stil und liebt es, sehr verschiedene Register zu ziehen. Den behaglich-altväterlichen, gutmütig-humoristischen Dickens-Stil. Dann den satirisch giftigen und phantastisch-hintergründigen Quevedo-Stil, den rhetorisch-glänzenden der Cervantes-Tradition und nebenbei den Slang unterschiedlichster Populationen seines Landes. Wie Dostojewsky läßt auch Galdós die Personen gern redend sich selbst darstellen, und er hat es darin viel weiter gebracht als beispielsweise Zola oder andere Naturalisten. Seiner enormen Produktivität wegen hat man Galdós oft mit Balzac verglichen, dessen "Comédie humaine" Galdós zu seinen "Episodios Nacionales" anregte, einem riesigen Romanzyklus von 46 Bänden mit über tausend Personen, mit dem der Autor nichts geringeres beabsichtigte, als den Versuch, die spanischen "Annalen" des 19. Jahrhunderts zu schreiben.

    Die gelegentlich formale Schwäche, daß ein Roman nicht wie aus e i n e m Plan entfaltet, sondern teilweise wie das Ergebnis geschickten Anbaus oder Aufstockens wirkt, diese Schwäche ist an dem Roman "Dona Perfecta" nicht zu bemerken. Eher wirkt er ein wenig zu stringent, und daher etwas fabulös und thesenhaft. Doch verfolgte Galdós mit diesem Buch auch dezidiert politische Absichten. Es sollte Stimmung machen gegen die wiedererstarkten reaktionären Kräfte, die die mühsam erkämpfte, halbwegs liberale Verfassung von 1869 zu kippen versuchten. In keinem anderen europäischen Land war ja die Macht der Kirche so ungebrochen wie in Spanien, beinah bis heute.

    Den mörderischen Repressalien, denen Pepe Rey zum Opfer fällt, war Galdós selbst ausgesetzt. Die Kirche verfolgte ihn mit Hirtenbriefen und ultrakonservative Kirchenschafe inszenierten ihre Pronunciamentos in Form von Bombenanschlägen unter seinem Fenster. Selbst hierin ähnelt Pérez Galdós seinem wahlverwandten Landsmann Bunuel, dem gleiches widerfuhr. Wie Bunuel, den dieser Autor bis in seine filmische Syntax inspirierte, warb Galdós für Toleranz und vernünftigen Fortschritt, indem er die Donquijoterie, die gefährliche Neigung zur "fixen Idee" dem Gelächter anheimgab. Und wie jener wußte er dem "engano", der Torheit und Selbsttäuschung, eine metaphysische Dimension zu erhalten, wodurch in dem Spaß ein Rätsel und ein Staunen bleibt.