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Benjamin Netanjahu
"Er hat so viel Porzellan zerschlagen"

Keine Zwei-Staaten-Lösung: Mit dieser Ankündigung habe Benjamin Netanjahu wissentlich die Politik der westlichen Staaten auf den Kopf gestellt, sagte der frühere deutsche Israel-Botschafter Rudolf Dreßler im DLF. Gegenüber US-Präsident Obama sei er nun in der Bringschuld.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.03.2015
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler (SPD) in der ARD-Talkshow ANNE WILL am 30.07.2014 in Berlin
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler (SPD) (imago / Müller-Stauffenberg)
    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die Wähler in Israel haben Benjamin Netanjahu wieder einmal bestätigt. Es war unerwartet, zumindest wenn man den Umfragen vorher geglaubt hat, aber das zeigt einmal mehr, die Umfragen sind eben immer nur Umfragen.
    Die internationale Lage wird dadurch nicht gerade einfacher. Wie geht es zum Beispiel weiter mit einem Palästinenserstaat und was will Netanjahu wirklich? Das alles sind Fragen, die in diesen Tagen erwogen werden, und wir wollen Einschätzungen dazu einholen von einem der sich gut auskennt, weil er auch mal Botschafter im Land, in Israel gewesen ist. Ich begrüße am Telefon Rudolf Dreßler, guten Morgen, Herr Dreßler!
    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Dreßler, fangen wir zunächst einmal an, erklären Sie uns noch einmal, wieso verfängt eigentlich Netanjahus Strategie, die ja in der Kurzfassung heißt "Ich oder das Chaos oder die Gefahr", wieso verfängt das immer noch in Israel so gut?
    Dreßler: Weil wir uns hier in Mitteleuropa die Sozialisation, mit der Israelis groß werden, sich entwickeln, überhaupt nicht nachvollziehen können.
    Wir haben uns in unserem Land, in Deutschland, zu vergegenwärtigen, dass wir zweimal im vorigen Jahrhundert die Erde an den Abgrund gebracht haben, und sind trotzdem wieder obenauf. Unsere Existenz wurde niemals, trotz zweier Weltkriege, die wir verursacht haben, infrage gestellt. Das ist in Israel völlig anders. Jede Woche drei-, viermal wird aus den umliegenden Staaten von Israel der dortigen Bevölkerung mitgeteilt, wir wollen euch eliminieren, wir wollen euch nicht haben, wir stellen die Existenz des Lebens in Israel infrage. Und das entwickelt sich logischerweise in einem solchen Prozess völlig anders, als wir uns das vorstellen können.
    "Netanjahu hat eine Bringschuld"
    Zurheide: Ist denn die Gefahr real? Beziehungsweise sind die Antworten, die Netanjahu gibt, dann reale Antworten, oder spielt er nicht auch mit diesem Faktor?
    Dreßler: Ich glaube, dass er mit diesem Faktor nicht nur spielt, sondern sehr stark spielt. Dass solche Gefahren real sind, das ist unstrittig. Das heißt aber nicht, dass man 2009 in einer Grundsatzrede an der Bar-Ilan-Universität, wie er es gemacht hat, die Zweistaatenlösung sozusagen als politisches Bekenntnis hinterlassen kann, um dann sechs Jahre später in einem solchen Prozess aus wahltaktischen Gründen der Bevölkerung wörtlich zu sagen, während meiner Ministerpräsidentenschaft wird es niemals einen zweiten Staat geben! Wissend, dass er damit die gesamte Politik der westlichen Staatengemeinschaft und der Russen und der Chinesen auf den Kopf stellt.
    Das heißt, er hat so viel Porzellan zerschlagen, dass er jetzt eine Bringschuld hat, dieses in den nächsten zwei Jahren wiederherzustellen oder einigermaßen zu korrigieren.
    "Das Verhältnis zu Obama ist völlig zerrüttet"
    Zurheide: Sehen Sie denn wirklich die Möglichkeit? Ich meine, er hat ja in der Tat jetzt gesagt wieder, ja, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, kann er sich das dann doch vorstellen. Das würde natürlich das Vorherige als reines Wahlkampfmanöver entlarven. Aber die Frage bleibt ja: Was kann man ihm noch glauben? Kann man ihm irgendwas abnehmen?
    Dreßler: Das wird sehr, sehr schwerfallen. Wir müssen uns einfach vergegenwärtigen, dass Obama noch zwei Jahre im Amt ist, dass er jetzt mindestens zwei Jahre noch Ministerpräsident ist, das Verhältnis ist völlig zerrüttet und ich glaube nicht, dass Obama ihm gegenüber eine Bringschuld hat, sondern dass er es Obama gegenüber hat. Und das muss er bringen. Und das wiederum steht im völligen Gegensatz zu der Auffassung seiner zukünftigen Koalitionspartner. Wie er das national in Israel und international gegenüber der europäischen Wertegemeinschaft und den Vereinigten Staaten klären will, ist mir bis heute völlig schleierhaft.
    "Die Europäer können nicht mit sich spielen lassen"
    Zurheide: Wir stehen ja dann am Ende vor der entscheidenden Frage, Sie haben es angesprochen: Obama sagt ja auch schon, das wird Konsequenzen haben, wenn er nicht da zurückrudert. Damit kommt natürlich schnell die Frage, was tun die Europäer, und wird man möglicherweise auch härter sagen müssen, was richtig ist?
    Dreßler: Ich kann mir das nicht anders vorstellen. Die Europäer können nicht mit sich spielen lassen. Das wiederum, wenn ich das nach mitteleuropäischen Maßstäben messe, bedeutet, dass er in Israel die Koalition, die ihm vorschwebt, politisch überhaupt nicht halten kann, sondern dass es in der Tat darauf hinausläuft, was der Staatspräsident angedeutet hat, nämlich eine Große Koalition. Um genau die internationale Staatengemeinschaft wieder zu beruhigen und andererseits den Prozess selbst mit den Palästinensern wieder in Gang zu bringen. Denn mit der Position, die er im Wahlkampf vertreten hat, wird er bei den Palästinensern nicht einen Millimeter Erfolg haben.
    "Ich halte in Israel nichts für ausgeschlossen"
    Zurheide: Sehen Sie denn eine Chance für diese Große Koalition? Denn da sind ja nun wirklich auch erhebliche Gräben zuzuschütten.
    Dreßler: Also, nach unseren Maßstäben würde man sagen, das kann nicht gelingen. Nach den Maßstäben im Nahen Osten ist es so, dass das, was heute Realität ist, morgen auf den Kopf gestellt wird und umgekehrt. Deshalb halte ich dort nichts für ausgeschlossen.
    Zurheide: Und der Druck, der möglicherweise dann von der internationalen Gemeinschaft kommen würde, wenn das denn nicht so käme, ist dann vorstellbar, dass auch möglicherweise die Amerikaner irgendwann mal kein Veto mehr im UNO-Sicherheitsrat einlegen? Damit hat Obama ja mehr oder weniger gedroht.
    Dreßler: Dieses kann ich mir jedenfalls vorstellen, wenn er, Netanjahu, gegenüber den Vereinigten Staaten so weitermacht wie in den letzten Wahlkampfwochen.
    Zurheide: Wagen Sie eine Prognose, wie es ausgehen wird?
    Dreßler: Ich wage keine Prognose, weil ich in den fünf Jahren meiner Botschaftertätigkeit in Israel festgestellt habe, dass alle Prognosen von dienstags bis mittwochs nicht mehr reichen.
    Zurheide: Herr Dreßler, ich bedanke mich für die klaren Worte heute Morgen und wünsche Ihnen alles Gute, um 8:17 Uhr! Danke schön!
    Dreßler: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.