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Benjamin Thompson
Der öffentliche Raum als Rumford-Labor

Er war Abenteurer, politischer Hasardeur, Frauenheld, Sozialreformer, Erfinder und Naturwissenschaftler. Die Münchner verdanken Sir Benjamin Thompson alias Graf Rumford den Englischen Garten – und feiern seinen 200. Todestag nun mit einem vierwöchigen Kunstprojekt. Zentral dabei: die Kartoffel.

Von Andi Hörmann | 27.05.2014
    In München erinnert ein Denkmal an Benjamin Thompson alias Graf Rumford.
    In München erinnert ein Denkmal an Benjamin Thompson alias Graf Rumford. (dpa/Frank Leonhardt)
    Nach knusprig-krossen Kartoffel-Chips, so könnte sie vielleicht heute klingen, die Erinnerung an Graf Rumford. Er hat die nahrhafte Kartoffel-Knolle im ausgehenden 18. Jahrhundert auf den Speiseplan der Bayern geholt – als Armenspeise, nicht als Party-Snack.
    "Über die Kartoffel bin ich zu Rumford gekommen, habe dann gemerkt, dass der wahnsinnig viele tolle Erfindungen gemacht hat, sehr vielseitig war."
    "Ja, ein Multitalent. Ein ganz moderner Mensch für seine Zeit. Alle Künstler, die wir eingeladen haben, haben sofort einen Aspekt gefunden, wo sie anknüpfen konnten."
    Die Bildhauerin Alix Stadtbäumer und die Videokünstlerin Yvonne Leinfelder – zum 200. Todestag von Graf Rumford machen sie gemeinsam mit 17 anderen Künstlern den öffentlichen Stadtraum zum Kunst-Labor. In den nächsten vier Wochen experimentieren sie mit Aspekten seiner facettenreichen Biographie.
    Vieles dreht sich um die Kartoffel-Knolle
    Dem im nordamerikanischen Massachusetts geborenen Benjamin Thompson gelingt im Alter von 19 Jahren durch die Heirat einer reichen Witwe der soziale Aufstieg. In München wird er unter Kurfürst Karl Theodor im ausgehenden 18. Jahrhundert zum Sozial- und Militärreformer – mit bahnbrechenden Innovationen: von energiesparenden Öfen bis zur Thermo-Unterwäsche.
    Auf der Eröffnungsveranstaltung zeigt sich Dr. Hans-Georg Küppers, Kulturreferent der Stadt München, ganz begeistert vom Leben dieses Tausendsassas: "Die Aktualität ist sehr handfest, nämlich da, wo wir gerade stehen: der Englische Garten, sein Werk."
    Und natürlich die Rumford-Suppe, eine günstige und nahrhafte Malzeit. Hauptzutat: die Kartoffel. Naheliegend also, dass sich nun mit dem Rumford-Labor als Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu seinem 200. Todestag vieles um die Kartoffel-Knolle dreht.
    Auf der Eröffnungsveranstaltung holen Architektur-Studenten der TU München mit einer Küchenmaschine den stärkehaltigen Saft aus der Knolle und stempeln eine Ofen-Skizze nach Rumford auf schwarzes Tonpapier. Studenten der TU:
    "Man sieht das jetzt ganz gut: Am Anfang ist es wirklich flüssig, dann trocknet es und es wird dann ganz weiß. Auf schwarzem Papier sieht man dann ganz gut die Umrisse des Ofens."
    "Am Ende wird das dann fixiert, weil Kartoffelstärke alleine nicht so stark hält auf dem Blatt. Die Blätter sind durchnummeriert, das sind 70 Stück und die verschenken wir dann."
    Eine mit Pommes-Frites-Flagge im Ventilator-Wind
    Der Künstler und Gärtner Martin Weimar beschäftig sich mit den von Rumford in München angelegten Militärgärten im heutigen Englischen Garten: Kartoffelpflanzen in Suppentöpfen auf geometrisch angeordneten, mannshohen Podesten. Die Künstlerin und Modedesignerin Ayzit Bostan lässt eine mit Pommes Frites bedruckte Flagge im Ventilator-Wind flattern. Und die beiden Initiatoren des interdisziplinären Kunstprojekts stellen einen Gemeinschaftsarbeit aus: eine etwa vier auf zwei Meter große Skulptur, platziert im Stadtzentrum: Rumford-, Ecke Klenzestraße. Die Nachbildung eines Rumford-Ofens – überdimensional und rohrförmig, genietetes Alu-Blech. Am Ofenrohr wird noch geschraubt und gehämmert. Yvonne Leinfelder:
    "Ich bin Imkerin und Bildhauerin und Videokünstlerin und habe jetzt zum ersten Mal meine andere Leidenschaft in die Kunst mit rein geholt, das sind die Bienen."
    Über eine Plexiglas-Luke blicken die Passanten ins Ofen-Innere: Die Video-Installation von Yvonne Leinfelder flackert in gelb-weißen Farbtönen, warm und steril zugleich – der pulsierende Stadtraum als künstlerisches Labor.Yvonne Leinfelder:
    "Man denkt von einem Bienenvolk, es wäre hierarchisch: Die Königin schafft an und die Arbeiterinnen führen aus. Es ist aber genau umgekehrt: Die Arbeiterinnen bestimmen, wann die Königin ausgetauscht wird. Das ist so ein demokratischer Gedanke. Und das fand ich bei Rumford auch so spannend, dass er für das Volk was macht. Er macht den Englischen Garten für die Öffentlichkeit, er denkt an die Leute, auch mit seinen Erfindungen, das sind Alltagserfindungen."
    Graf Rumford war rationaler Wissenschaftler und amouröser Abenteurer: Daniel Düsentrieb, James Bond und Casanova in einer Person. Er agierte zwischen amerikanischer Unabhängigkeitserklärung und Französischer Revolution, wechselte als Spion die Seiten und widmete sich als Autodidakt leidenschaftlich seinen weltverbessernden Errungenschaften von zeitloser Relevanz. Für Dana Weschke, der Koordinatorin des Rumford-Labor, ist die Biographie von Graf Rumford filmreifer Stoff:
    "Weil er einfach so ein großer Abenteurer war, diese ganze Spionagegeschichte. Und man hat Sex und Liebe - immer sehr wichtig bei einem großen Blockbuster."