Donnerstag, 25. April 2024

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Beobachtungen in einer Parallelwelt

Die niederländische Autorin Margalith Kleijwegt hat ein Jahr lang Immigrantenkinder im Amsterdamer Problemviertel Slotervaart begleitet. Ihre Erfahrungen hat sie niedergeschrieben. Das Buch "Schaut endlich hin! Wie Gewalt entsteht" wurde in den Niederlanden ein Bestseller, jetzt ist es auf Deutsch erschienen. Kerstin Schweighöfer hat die Autorin getroffen.

15.04.2008
    Der August-Allebé-Platz in Amsterdam-Slotervaart: Frauen in langen Gewändern mit vollen Einkaufstaschen huschen vorbei und verschwinden in grauen Wohnblöcken. Die Fassaden sind übersät mit Satellitenschüsseln. Auf den Balkonen flattert Wäsche im Wind. Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind hoch.

    In Slotervaart sind Mitglieder der islamitischen Terrorgruppe Hofstadgroep aufgewachsen und Mohammed Bouyeri, der Mörder des islamkritischen Regisseurs Theo van Gogh. Ein harter Kern moslemischer Jugendlicher lieferte sich in den letzten zehn Jahren immer wieder Schlägereien mit der Polizei.

    Vor dem türkischen Gemüseladen verbringt eine Gruppe lärmender junger Marokkaner ihre Schulpause. Sie geben sich selbstbewusst, mühelos fallen sie vom Arabischen ins Niederländische, wenn sie wollen. Denn auf den Kontakt mit Einheimischen legen sie keinen Wert. "Einmal Marokkaner, immer Marokkaner", sagen sie:.

    Jugendliche wie diese hat die niederländische Autorin Margalith Kleijwegt ein Jahr lang begleitet. Es ging um Schüler einer sogenannten schwarzen Schule in Slotervaart. Schwarz deshalb, weil fast alle einen Immigrantenhintergrund haben. Margalith Kleijwegt versuchte, mit den Eltern der Schüler in Kontakt zu kommen.

    "Mir war aufgefallen, dass man in Amsterdam-Slotervaart niemanden mehr nach dem Weg fragen konnte, weil dort niemand mehr Nederlands sprach","

    erzählt sie.

    ""Außerdem schimpfte das ganze Land immer wieder über die randalierenden moslemischen Jugendlichen, aber nie über ihre Eltern. Als Mutter wollte ich wissen, wer diese unsichtbaren Eltern waren."

    Nach mehreren Anläufen gelang es Kleijwegt, 19 Familien in Slotervaart zu besuchen. In den weitaus meisten Fällen war sie die erste Niederländerin, die dort einen Fuß über die Schwelle setzte:

    "Was mich am meisten berührte, war die Isoliertheit dieser Familien. Ich betrat Neuland, es war wie eine Entdeckungsreise. Dieser ausdrückliche Wunsch, nicht mit den Einheimischen umgehen zu wollen - und umgekehrt übrigens auch -, das war am schockierendsten."

    Nüchtern und sachlich schildert die Autorin die buchstäbliche Sprachlosigkeit der Mütter, die Hilflosigkeit der Väter, das Überfordertsein der Lehrer und die Orientierungslosigkeit der Kinder: Abgewiesen von der einheimischen Gesellschaft und auf der Suche nach ihrer Identität sind sie eine leichte Beute für islamische Fundamentalisten, so wie die Täter der Londoner Terroranschläge, so wie Mohammed Bouyeri, der Mörder von Theo van Gogh.

    "Wir haben erschreckend viele Moslems unter uns, die unsere niederländische Gesellschaft verabscheuen. Wir haben eine Parallelwelt entstehen lassen, weil wir lange Zeit nicht hinsehen wollten. Wir waren nicht tolerant, sondern gleichgültig. Es gab genug Signale, aber wir haben nichts getan."

    Inzwischen haben die Niederländer zu einem Aufholmanöver angesetzt und gehören zu den Ländern mit den schärfsten Integrations- und Immigrationsgesetzen Europas.

    "Höchste Zeit, dass wir Forderungen gestellt haben","

    findet Kleijwegt:

    ""Die Zuwanderer müssen endlich aufhören zu klagen. Vor allem Mütter tun es, weil sie jetzt Nederlands lernen müssen. So ein Unsinn! Wenn sie es schon nicht für sich selbst lernen wollen, dann für ihre Kinder. Dafür sollten sie es tun."

    Margalith Kleijwegt denkt, dass die Niederlande inzwischen das Schlimmste hinter sich haben und auf dem Weg zu einem neuen Gleichgewicht sind. "Wir sind die Konfrontation angegangen" sagt sie. Dafür hätten das Attentat auf Theo van Gogh gesorgt, die islamkritische Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali und der islamophobe Scharfmacher Geert Wilders mit seinem Anti-Koran-Film "FITNA":

    "In Deutschland hingegen haben die Menschen noch zu viel Angst, die Dinge beim Namen zu nennen - doch ich glaube, auch da ist etwas in Bewegung gekommen. Höchste Zeit, dass auch die Deutschen die Konfrontation angehen."