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Berg, Kahn, Cage

Theodor W. Adorno, Fritz Klein, Hans Erich Apostel - gemeinsam haben diese drei ihren Kompositionslehrer: Alban Berg. Die neue CD des Leipziger Pianisten Steffen Schleiermacher versammelt Klavierwerke von Berg und seinen Schülern. Thomas Günther widmet seine Klavier-CD dem Gesamtwerk von Erich Itor Kahn als wichtigen Nachfolger von Arnold Schönberg. Sabine Liebner schließlich interpretiert "Music for Piano" von John Cage.

Von Frank Kämpfer | 06.01.2008
    Am Mikrofon Frank Kämpfer, im Folgenden geht es um Klaviermusik der Moderne. Ich stelle Ihnen heute drei CDs vor - mit Interpreten und Werken, die es zu hören lohnt.

    " Alban Berg, Lulu-Variationen
    CD mdg 613 1475-2, LC 06768 "

    Aktienbetrug, Prostitution, Mord - die Welt als Bestiarium, gebannt in strenge Orchestermusik, unter der ein Bänkellied liegt. Hier erklingt der Klavierextrakt - genauer gesagt, das, was Hans Erich Apostel aus dem üppigen Satz Nr. 4 der Lulu-Sinfonie seines Kompositionslehrers auf vier Hände zu komprimieren verstand.

    Die komplexe Miniatur findet sich auf einer neuen CD der Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, kurz: MDG, die in die Edition Die Wiener Schule - Lehrer & Schüler gehört. Klaviermusik ist der Gegenstand; Steffen Schleiermacher aus Leipzig, ein kundiger wie engagierter Interpret der Moderne von gestern, ist verantwortlich für die pianistische Leistung wie für das Programm. Die im Herbst 2006 produzierte, im November vergangenen Jahres erschienene Platte gilt Alban Berg. Vielmehr dem Kompositionslehrer Berg nebst bedeutenden Schülern - wobei die Werk-Auswahl tief hineinlotet in das besondere Lehrer-Schüler-Gefüge des Zirkels in jener Zeit: den 1920er/30er Jahren.

    Bemerkenswerterweise beginnt die CD mit Bergs op. 1 - jener berühmten frühen Sonata, mit der Berg aus eigener Schülerschaft aufbricht. Bergs Schüler Adorno, Autor entscheidender Berg-Analysen, beendet die Platte mit drei Miniaturen. Zu entdecken sind auf der CD jedoch vor allem Hans Erich Apostel und Fritz Heinrich Klein. Seitens Apostel (1901-1972) hat Schleiermacher den Zyklus Kubiana gewählt - ein Dokument der Freundschaft des Komponisten mit dem Zeichner Alfred Kubin: 13 atonale Charakter-Miniaturen zu dessen Künstlerporträts. Fritz Klein (1892-1972) definierte die Dodekaphonie nicht nach Verläufen sondern vielmehr aus zwölftönigen Akkorden heraus - von ihm gibt es hier die Zwölfton-Satire Die Maschine, ein als Weihnachtsgeschenk für Berg komponiertes Andante sowie 10 Klavierstücke, die der Komponist selbst nicht a-, sondern ex-tonal nennt:

    " Fritz Klein, 10 extonale Klavierstücke
    CD mdg 613 1475-2, LC 06768 "

    Klaviermusik von Fritz Klein, Hans Erich Apostel, Theodor W. Adorno sowie ihrem gemeinsamen Kompositionslehrer Alban Berg - versammelt auf einer neuen CD von Dabringhaus und Grimm. Pianist Steffen Schleiermacher bewältigt die weitgehend unbekannte Literatur mit der für ihn charakteristischen Präzision und Distanz.

    In Tiefenschichten zu schauen, Subtexte aufzuschließen und hörbar zu machen, beansprucht der Essener Pianist Thomas Günther. Auf einer neuen, bei CYBELE erschienenen Platte bündelt er das Klavierwerk von Erich Itor Kahn, auf den ihn Juan Allende-Blin verwies. Kahn (1905-1956) war bis zur NS-Diktatur Mitarbeiter von Hans Rosbaud bei Radio Frankfurt, jedoch kein Schönberg-Schüler im direkten Sinn. Kahn sei - so Pianist Günther im gut erklärenden Booklet - Kahn als Komponist sei für ihn das lange gesuchte Bindeglied zwischen Schönberg und Pierre Boulez. Dass diese Verbindung nicht von der Hand zu weisen ist, ist sogar historisch belegt: Im Pariser Exil, der Zwischenstation vor der Emigration nach New York, vermittelte Kahn die Schönbergsche Tradition an René Leibowitz, der sie später an seinen Schüler Pierre Boulez weitergab.

    Stilistisch, so offeriert die Gesamteinspielung, bewegt Kahn sich in aparten Spannungsgefügen. Was hier aufklingt, ist kein Vorgriff auf die bald alles reglementierende Darmstädter Schule. Avancierte Klaviermusik der vorangegangenen einhundert Jahre vielmehr scheint als Erfahrung zugegen. Impressionistisches, später Skrjabin, Schumann und anderes blitzt hier auf - anverwandelt jedoch einem gänzlich neuen musikalischen Sprachgefüge.

    Mehrere Zyklen von Bagatellen und Inventionen aus den 1930er Jahren verdeutlichen dies. Die auf 1937 datierten Acht Inventionen zum Beispiel sind Hommage an Bach'sche Polyphonie - allerdings von einer Radikalität, die die Schönbergs übersteigt. Die Fünf Bagatellen verweisen auf Beethovens letzte Klavierkomposition und sind auf Zeitgenossen Kahns bezogen. Die folgende, René Leibowitz gewidmete Miniatur weist ob ihrer Extreme weit in die Zukunft - gleichwohl ist sie nicht ohne schmerzhaften Ausdrucksgehalt und für den Pianisten, der sie hier darlegt, eine wahre Herausforderung. - Ein Ausschnitt daraus:

    " E.I.Kahn, Bagatelle à René Leibowitz
    CD CYBELE SACD 160 043, LC 03738 "

    Das Klavierwerk Erich Itor Kahns - eingespielt von Thomas Günther - eine Superaudio-Produktion des Düsseldorfer Labels CYBELE.
    Ein Sprung in die 50er Jahre, ein Sprung nach Amerika. Schönberg-Schüler John Cage unternimmt hier einen musikhistorischen bedeutenden Schritt: Er befreit sich und sein Komponieren von der in Europa vorherrschenden kompletten Determinierung aller musikalischen Parameter - statt vielschichtiger, hochkomplexer Gefüge liefert sein Notenpapier vermeintlich naive, scheinbar eindimensionale Einstimmigkeit. Zufallsprinzipien - dem Buch I Ging abgeleitet - liegen der Ordnung der Noten zugrunde; Tonhöhen sind Sternenkarten entlehnt, oder Unebenheiten von Tisch und Notenpapier.

    Die Münchner Pianistin Sabine Liebner ist sich der Verantwortung für solche Musik in besonderem Maße bewusst. Cage ist für sie kein Mann ungezügelter Freiheit, sondern besonderer Strenge - seine Musik fordert den Pianisten dazu in ganz neuer Art. Ihrer Neueinspielung von Cages in den 50er Jahren notierter, in sich 84teiliger Music for Piano, hat Sabine Liebner eine Mischung aus Analyse und eigener Intuition zugrunde gelegt. Cages Einheitsformat, die Notenseite, liest sie als Zeitangabe - notierte Ereignisse befragt sie nach ihre Dichte und Dramaturgie, die es auszuhören gilt, bis sie die jeweilige musikalische, um nicht zu sagen musikantische Botschaft freigeben.

    Das Resultat ist eine Doppel-CD mit hoch filigranen, zarten, fast flüchtigen, in sich allerdings äußerst spannungsgeladenen Miniaturen. Hier ein Hineinhören in die Nr. 1:

    Cage, Music for Piano Nr. 1
    CD NEO S 10703/04, LC 015673

    Sabine Liebner interpretiert Music for Piano von John Cage. Die Aufnahmen entstanden im Herbst 2003 im Bayerischen Rundfunk und sind Ende 2007 beim neuen süddeutschen Label NEOS erschienen. Zuvor habe ich Ihnen eine Alban Berg gewidmete Platte aus Steffen Schleiermachers Edition Wiener Schule - Schüler & Lehrer angespielt, die bei Dabringhaus und Grimm erschienen ist - sowie Thomas Günthers Erich-Itor-Kahn-Gesamteinspielung bei CYBELE.