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Bergfilm-Festival
Gipfelstürmer auf Bierkisten

Zwei Tage lang trafen sich Bergsteiger, Kletterfans und Outdoorliebhaber am Gaudlitzberg zum 17. Bergfilm-Festival bei Wurzen, vor den Toren Leipzigs. Neben Streifen über Gipfelbesteigungen und waghalsige Extremsportler gab es klamaukige Sportwettkämpfe - Höhenmeter kann man schließlich auch mit Bierkisten zurücklegen.

Von Claudia Euen | 31.08.2015
    Beobachter stehen an der Straße zwischen Toblach und Cortina, die mit Fernrohren die drei Bergsteiger bei deren Aufstieg an der Nordwand der Großen Zinne verfolgen können. Im Hintergrund sieht man die aufragende Nordwand der Drei Zinnen (undatiertes Archivbild vom Januar 1963).
    Beobachter an einer Straße unterhalb der Nordwand der Drei Zinnen in den Dolomiten. (picture alliance / dpa / Georg Goebel)
    Es rumpelt. Ein Traktor zieht einen Anhänger über den matschigen Waldweg, darauf stehen Sofas und Sessel. Hier können es sich die Gäste auf ihrem Weg zum Gaudlitzberg schon mal bequem machen.
    "Das ist ja lustig hier."
    So abenteuerlich die Fahrt, so imposant ist die Ankunft. Auf der Hochebene breitet sich grüne Wiese aus. An deren Ende ragt eine zerklüftete Felswand senkrecht in den Himmel. Schon von Weitem sieht man die bunten Punkte in der Wand - die Kletterer, die die Aussicht in rund 30 Meter Höhe erklimmen wollen. Nicht umsonst wird die Region hier Hohburger Schweiz genannt. Am Fuße des Berges haben die ersten schon ihre Zelte aufgebaut. Zwischen den Bäumen sind Seile gespannt. Es wird geslaglint, gebouldert und zu sportlichen Wettkämpfen geladen.
    "Das ist Bierkistenklettern. Also sprich: Man stellt so viele Kisten wie es nur irgendwie geht und fällt dann hoffentlich irgendwann um."
    "Thomas, das wird nüscht, das kippelt."
    "Ich hab zwölf geschafft, letztes Jahr aber 15, weil ich keine Schuhe anhatte heute."
    Sagt Thomas Pahl, der schon im zweiten Jahr dabei ist. Die Sportler sind beim Bierkistenklettern mit Seilen an einem Hochstand aus Metall gesichert. Fallen die Kisten um, hängen die Kletterer plötzlich in der Landschaft. Hier geht es nicht um Leistung oder neue Rekordwerte. Der Herausforderung der Berge wird mit Ironie begegnet. Da gibt es Ski-Langlauf auf Rasen anstatt Schnee, Fassklettern, wo man mithilfe eines Weinfasses einen Baum besteigt oder Bouldermattenweitwurf. Dazu experimentelle Musik und Lagerfeuerromantik. Zwei Tage lang frönen hier Großstädter einer Mischung aus Spaßevent und Naturliebhaberei. Mittlerweile kommen über 1000 Besucher im Jahr. Die Berge sind längst Teil moderner Freizeitkultur geworden, sagt Festivaleiter Peter-Hugo Scholz.
    "Bergsport ist ein Trendsport geworden, vor allem das Klettern. Wir sind eher Verfechter des Draußenseins, in der Wand kann man sich viel mehr selbst erfahren als in so einer Sporthalle. Man ist draußen, man hört die Vögel um sich rum, man muss sich konzentrieren, Was ist das für ein Stein? Man ist wie ein Schachspieler in der Vertikalen. Zum einen suchen sie körperliche Ertüchtigung im Freien und dann natürlich die Gemeinschaft. Wo findet man das heute noch? Beim Klettern ist man immer auf ein Team angewiesen, man arbeitet in der Seilschaft sich hoch am Berg. Das sind bleibende Erlebnisse, da gewinnt man auch Freunde."
    Dem Alltag entfliehen - virtuell Gipfel besteigen
    Selbsterfahrung, lebensgefährliche Situationen und das Austesten der eigenen Grenzen – was früher meist nur eine kleine Gruppe waghalsiger Männer in Angriff nahm, hat sich heute bis in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet. Auch zum Bergfilm-Festival kommen viele Familien mit Kindern. Highlight ist das abendliche Kinoprogramm. Kurze Dokumentarfilme berichten von Gipfelbesteigungen im fernen Afghanistan, fernab von Krieg und Nachrichtenbildern. Aber auch angstlose Sandsteinkletterer in Schottland oder junge Dresdner, die in der Sächsischen Schweiz eine Steilwand bezwingen, kommen zu Wort – die eigene Passion wird in die Bergkulisse projiziert.
    "Wir wussten natürlich, jetzt sind wir alleine in der Wand. Dann sind der Gerd Mändl und ich noch mal aufgestiegen, rauf zum Lager 5 auf 7300 Meter. Dort haben wir uns nur eine kleine Brotzeit gemacht und dann sind wir in die äußerst gefährliche Merkellawine eingestiegen und haben uns da die Lungen ausgeschrien. Nichts von den Brüdern."
    Erzählt der Münchner Hans Saler im Film "Ein modernes Nomadenleben". In dem filmischen Porträt erinnert er sich auch an die legendäre Nanga Parbat-Besteigung 1970, bei der Reinhold Messners Bruder Günther ums Leben kam. Der Extremsportler Saler ist Ehrengast im sächsischen Bergland und reflektiert das tragische Ereignis aus seiner Perspektive. Dabei geht es nicht darum, Mythen zu produzieren oder Heldentaten zu feiern, sagt Peter-Hugo Scholz.
    "Der Markt ist am Wachsen, was den Bergfilm angeht. Was uns daran nicht gefällt, sind die Actionfilme, im Hochglanzfernsehen findet man sehr viele Filme in dieser Art. Wir wollen eher dem anderen Film eine Chance geben, wo man nicht mit großer Technik in den Berg geht, keine große Hubschrauber einsetzen muss, sondern dass man so nah und so natürlich wie möglich ein Bergthema einfängt."
    Abends gibt es Bio-Essen, aber auch Bratwurst und Bier vom Fass. Alles hier ist einfach und rustikal. Es geht ums Draußen sein, die Natur als Grundlage für ein gutes Leben. Holm Wiedemann war mit seiner Familie schon öfter da und genießt vor allem die Atmosphäre.
    "Klettern, Reisen, die Sachen anschauen in den Filmen, die man vielleicht selbst nicht besucht. Die Leute sind alle interessant, sie sind alle weltoffen und angenehm, kein unangenehmes aggressives Klima, das gibt es nicht, ist beim Klettern eh selten."
    Das Bergfilm-Festival bei Wurzen gehört zu den ältesten seiner Art in Deutschland und lädt nicht nur Bergfans ein, zwei Tage dem hektischen Alltag zu entfliehen.