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100. Todestag von Ludwik Zamenhof
Der Erfinder des Esperanto

Der jüdische Arzt und Hobby-Linguist Ludwik Lejzer Zamenhof wuchs Mitte des 19. Jahrhunderts in einer mehrsprachigen, multikulturellen, aber auch sehr konfliktreichen Region des damaligen Russischen Reichs auf. Die grausamen Pogrome gegen die Juden waren für ihn der Anlass, eine Sprache zu schaffen, die zur Völkerverständigung beitragen sollte - Esperanto.

Von Doris Liebermann | 14.04.2017
    Porträt von Ludwik Zamenhof (1859-1917), dem Erfinder der Kunstsprache Esperanto.
    Porträt von Ludwik Zamenhof (1859-1917), dem Erfinder der Kunstsprache Esperanto. (imago / UnitedArchives)
    Die Welt, in die Ludwik Lejzer Zamenhof am 15. Dezember 1859 hineingeboren wurde, war mehrsprachig und multikulturell. Das nordost-polnische Białystok, seine Geburtsstadt, gehörte zum Russischen Reich, denn Polen war zu dieser Zeit als Staat zerschlagen. Sein Vater, ein Sprachlehrer und aufgeklärter Jude, sprach bevorzugt Russisch, die Mutter am liebsten Jiddisch.
    Den Ort empfand Zamenhof später als prägend für seine Lebensziele: In der Stadt lebten Juden, Polen, Weißrussen, Russen, Litauer, Tataren und Deutsche – ein Gemisch an Sprachen, Kulturen und Religionen umgab ihn seit frühester Kindheit. Es war keine friedliche, sondern eine explosive Mischung, da es viele Animositäten und Feindseligkeiten zwischen den ethnischen Gruppen gab. Zamenhof berichtet von grausamen Pogromen gegen die Juden.
    "In meiner Kindheit liebte ich leidenschaftlich die russische Sprache und das … Russische Reich. ... Aber bald kam ich zur Überzeugung, dass meine Liebe nur mit Hass bezahlt wird, dass die Herren dieser Sprache und dieses Landes sich exklusiv als Menschen bezeichnen, die in mir nur einen rechtlosen Fremdling sehen, dass sie alle meine Brüder hassen, geringschätzen und unterdrücken."
    Eine Sprache für die Völkerverständigung
    Stets der Klassenbeste, sprach der hochintelligente Junge Russisch, Polnisch und Jiddisch und lernte in der Schule, die er ab 1874 in Warschau besuchte, noch Deutsch, Französisch, Griechisch, Latein, Englisch und Hebräisch. Seit frühester Kindheit träumte er von einer umfassenden Weltsprache, die zur Völkerverständigung beitragen würde.
    "Es gibt und gab die Auffassungen, dass die unterschiedlichen Sprachen die Menschen trennen und dass interethnische Konflikte durch die Verschiedenheit der Sprachen begründet wären."
    So der Interlinguist Detlef Blanke.
    "Wir wissen, dass das nicht ganz stimmt, aber durch eine gemeinsame Sprache, wohlgemerkt als zweite Sprache neben der Muttersprache, könne man etwas für die Befriedung der Menschheit leisten."
    Zamenhof wollte mit seiner "neutral-menschlichen" Sprache auch Pogrome gegen die Juden verhindern.
    "Ich begann von einer glücklichen Zeit zu träumen, in der der nationale Hass verschwindet und es nur eine Sprache und ein Land gibt, das mit vollem Recht allen seinen Benutzern und Bewohnern gehört, in dem die Menschen beginnen, einander zu verstehen und zu mögen."
    Blütezeit in den 20er-Jahren
    Der Vater nahm ihm das Versprechen ab, für einen Brotberuf Arzt zu werden. Zamenhof studierte in Moskau, Warschau und Wien und wurde Augenarzt – allerdings konnte er kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten und durchlebte immer wieder Phasen großer Not. Während des Studiums in Moskau hing er zionistischen Ideen an und arbeitete im Verborgenen an seiner Sprach-Erfindung.
    Mit der finanziellen Hilfe seiner Frau Klara Zilbernik, einer Fabrikantentochter aus Kaunas, veröffentlichte Zamenhof im Juli 1887 eine 40-seitige Broschüre über seine "Internationale Sprache" - zuerst auf Russisch. Er gab sie unter dem Pseudonym "Doktoro Esperanto" heraus, da er fürchtete, seine Patienten würden einen Phantasten als Arzt meiden. Wörtlich übersetzt bedeutet "Esperanto": "ein Hoffender". Bald wurde auch die Sprache so genannt. Sie fand Anhänger im Russischen Reich und in Westeuropa, noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden Landesverbände auf allen Kontinenten. In den 1920er-Jahren erlebte die Sprache ihre Hoch-Zeit, wenn sie auch nicht eine solche Verbreitung fand, wie ihre Anhänger dies wünschten.*
    Jedes Wort wird gelesen, wie es geschrieben steht
    Leicht zu lernen, viele Lehnwörter aus dem Lateinischen , 16 Grundregeln, 28 Buchstaben, das Hauptwort hat immer die Endung o, jedes Wort wird gelesen, wie es geschrieben steht, der Akzent liegt immer auf der vorletzten Silbe - dies sind einige Merkmale des Esperanto.
    "Ho, mia kor’, ne batu maltrankvile,
    El mia brusto nun ne saltu for!
    Jam teni min ne povas mi facile,
    Ho, mia kor!"
    Als der Visionär am 14. April 1917 mit nur 57 Jahren starb, folgten nicht nur Anhänger des Esperanto, sondern auch viele arme jüdische Patienten dem Trauerzug zum Jüdischen Friedhof in Warschau.
    Längst hat das Englische Zamenhofs Plansprache den Rang abgelaufen. Heute sind es weltweit etwa eine Million Menschen, die Esperanto beherrschen.
    *Der Deutsche Esperanto-Bund weist darauf hin, dass sich die Esperanto-Sprachgemeinschaft seit den 1960er-Jahren stetig weiterverbreitet hat und heute in über 120 Ländern weltweit vertreten ist. Mehr Information: https://www.esperanto.de/