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Bergwerksunglück in Soma
"Die Wahrheit muss ans Tageslicht"

Fünf Tage nach dem schweren Grubenunglück in der Türkei hat die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen drei Mitarbeiter der Betreiberfirma eingeleitet. Insgesamt wurden 24 Menschen verhaftet. Das Bergwerk in Soma selbst ist zwischenzeitlich für Ermittlungen abgeriegelt - Angehörige und Demonstranten fordern Aufklärung.

Von Thomas Bormann | 19.05.2014
    Demonstranten tragen Slogans und ein Bild von Ministerpräsident Erdogan bei einer Demonstration in Istanbul.
    Proteste gegen Ministerpräsident Erdogan in Istanbul. (dpa / Sedat Suna)
    Akin Celik hat die vergangene Nacht hinter Gittern verbracht. Er ist Betriebsleiter der Kohlegrube Soma. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, aus Fahrlässigkeit 301 Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. Er könnte zu 15 Jahren Haft verurteilt werden. Noch am Freitag beteuert, seine Firma habe alles für die Sicherheit der Arbeiter getan. Es habe keinerlei Fahrlässigkeiten gegeben.
    Am vergangenen Freitag noch hatte er beteuert: "Es gibt keinerlei Versäumnis auf unserer Seite. Wir arbeiten hier doch alle mit Leib und Seele. Ich bin hier seit 20 Jahren als Bergbau-Ingenieur beschäftigt, seit 15 Jahren kümmere ich mich um die Sicherheit der Arbeiter. Wir wollen doch unseren Arbeitern kein Leid zufügen."
    Nun also sitzt Celik hinter Gittern, wie auch andere Manager aus der Leitung der Kohlegrube. Die Firmenleitung wie auch die Regierung hatten in den vergangenen Tagen stets versichert, das Bergwerk sei regelmäßig alle sechs Monate streng kontrolliert worden.
    Schwere Vorwürfe gegen die Bergbaufirma
    Doch bei diesen Kontrollen seien die Prüfer gar nicht in die tieferen Bereiche der Grube vorgedrungen, sagte am Wochenende ein 24-jähriger Bergarbeiter und bestätigte damit, was zuvor bereits ein Bergmann im Ruhestand der Nachrichtenagentur Reuters über die Prüfungen erzählt hatte: "Die Firma ruft die Prüfer und die kommen. Aber vorher schließt die Bergbaufirma manche Stollen, in denen gearbeitet wird, und sagt den Prüfern, die sind gar nicht in Betrieb. Das war's. Wenn die Prüfer gegangen seien, machen sie die Stollen wieder auf."
    Wenn diese Vorwürfe stimmen, lassen sich die ohnehin laxen Sicherheitsbestimmungen in türkischen Bergwerken so gänzlich umgehen. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls geht diesen Vorwürfen nach. Oppositionspolitiker betonten gestern Abend, auch die Regierung von Ministerpräsident Erdogan treffe eine Mitschuld. Denn sie hätte von den Mängeln in der Kohlegrube Soma gewusst, die Warnungen aber in den Wind geschlagen.
    Zwei junge Frauen oder Mädchen vor Gräbern in Soma.
    Trauer in Soma. (dpa / Tolga Bozoglu)
    "Keine Vertuschung!"
    In Soma haben am Wochenende Tausende Menschen um ihre verstorbenen Angehörigen getrauert. In die Trauer mischte sich Wut. Die Polizei hatte sogar einige protestierende Bürger in Soma vorübergehend festgenommen und Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt.
    Ein Rentner aus Soma schüttelte nur den Kopf, als er von einer Trauerfeier kam. 301 tote Kumpel: Das könne man nicht begreifen, sagte er, und forderte dann: "Die Wahrheit muss ans Tageslicht, und zwar jedes Detail. Nichts darf vertuscht werden. Ich bin so traurig. Ich möchte mein Mitgefühl ausdrücken: an das ganze Land, an die Bergleute, an die Angehörigen."