Aufarbeitung des DDR-Staatsdopings in Mecklenburg-Vorpommern

Konkreter, schneller, weiter

Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm)
Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm) © imago/Steinach
Von Elmar Krämer · 29.04.2018
Der Doping-Opfer-Hilfeverein hat Anne Drescher mit dem Anti-Doping-Preis 2018 ausgezeichnet: Die Beauftragte für Stasi-Unterlagen von Mecklenburg-Vorpommern habe echte Empathie gezeigt und eine belastbare Hilfsstruktur aufgebaut, lobt die Jury. Das Land sei hier ganz vorn.
"Das Drama ist ja, dass sich aufgrund dieser langen Abwehrhaltung das Thema so ewig, ewig dehnt und ich hab da so ein ganz stoischen Ansatz zu sagen: Je früher wir einem Trauma begegnen, umso geringer sind die Spätschäden."
Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins, Ines Geipel. Seit rund 20 Jahren schaut sie in eine Art Abgrund:
"Die Schäden sind vor allen Dingen so massiv, weil wir damit nicht umgehen. Und diesen konkreten Umgang, den leistet die Politik in Mecklenburg-Vorpommern, den leistet vornehmlich die Landesbeauftragte dort. Und das ist hoch zu ehren."

"Leidpotenzial mit echter Empathie wahrgenommen"

Grund genug, die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern, Anne Drescher, mit dem "Anti-Doping-Preis 2018" der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) auszuzeichnen. "Anne Drescher", heißt es in der Begründung, "habe als Landesbeauftragte das Leidpotenzial der staatsgedopten DDR-Athleten mit echter Empathie wahrgenommen und daraufhin in ihrer ruhigen, beharrlichen Art in Mecklenburg-Vorpommern eine belastbare Hilfsstruktur aufgebaut."
Mit dieser Hilfsstruktur ist vor allem ein Forschungsprojekt verbunden, das es anderswo derzeit in Deutschland nicht gibt. Die 55-Jährige freut sich natürlich über die Auszeichnung, in der sie auch eine Wertschätzung der jahrzehntelangen Arbeit ihrer Behörde sieht.
"Wir haben schon seit den 90er-Jahren immer wieder Betroffene bei uns in der Beratung gehabt, die über diese Erfahrungen, die sie machen mussten in diesem System erzählt haben, berichtet haben. Auch von den Folgen, von den schweren gesundheitlichen Folgen und die gefragt haben, was es dafür Möglichkeiten gibt, der Sache nachzugehen, da zu recherchieren, Unterlagen darüber zu bekommen. Und ob es irgendwelche Hilfemöglichkeiten gibt."

Brutal vom Schwebebalken gefegt

Dass das auch knapp 30 Jahre nach dem Ende der DDR nach wie vor dringend von Nöten ist, wissen Fachleute. Es ist dokumentiert, staatlich anerkannt durch die Entschädigung in vielen Fällen. Teils unter Tränen berichteten drei anerkannte Dopingopfer von dem Leid, das sie in frühester Kindheit im Sportbetrieb der DDR erfahren mussten. Eine Turnerin erzählte von ihrem Trainer, der sie so brutal vom Schwebebalken fegte, dass sie nur knapp an einem Genickbruch vorbeischrammte. Dieser Trainer ist heute noch aktiv.
Wie das möglich sein kann, wundert auch Viola von Cramon, die langjährige Sportpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag:
"Ich denke, dass der Nachholbedarf zum einen an Wissen und Forschung aber zum anderen auch an ganz konkreter Hilfeleistungen für die Leiden der Dopingopfer, der ist so groß, das kann man gar nicht oft genug in die Presse bringen."
Mit über 1700 ehemaligen Leistungssportlern, die heute mit den gravierenden Folgen des organisierten Staatsdopings in der DDR und den Nachwendejahren zu kämpfen haben, hatte die Doping-Opfer-Hilfe bereits zu tun. Etlichen konnte geholfen werden und doch: Für die nicht selten schwer traumatisierten Opfer ist es immer wieder ein Kraftakt, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Und: Die Dunkelziffer ist groß.

Forderung nach Entfristung des Hilfegesetzes

Die DOH fordert deshalb vom Bundesinnenministerium, dem entscheidenden Geldgeber des Spitzensports in Deutschland, das 2. Dopingopferhilfegesetz zu entfristen – es würde sonst 2020 auslaufen. Und: Auch die Kinder der Opfer müssten im Auge behalten werden. Wir brauchen mehr Forschung, so der Tenor unter den Fachleuten. Warum schweigen der organisierte Sport mit dem Dachverband an der Spitze? Grünen-Politikerin Viola von Cramon:
"Naja, für den bricht ein gesamtes Narrativ zusammen. Also das, was heute gesagt wurde und worüber gesprochen wurde, das passt halt nicht in die Glanzwelt, in die Welt der Sieger, in die Welt des Wettbewerbs, sondern das sind sozusagen die Abfallprodukte. Das ist im Grunde das Bittere, oder wie Frau Geipel sagte, die tiefen Narben des organisierten Sports. Der Verantwortung muss sich der DOSB dringend stärker stellen, als er das in der Vergangenheit getan hat."
Immerhin scheint es eine Art Leuchtturm in Mecklenburg-Vorpommern zu geben. Die dortige Zusammenarbeit von Ärzten, Opfern, Politikern und Behörden bezeichnet die Doping-Opfer-Hilfe als vorbildlich.
Jochen Buhrmann, der Chefarzt für Psychosomatische Medizin an der Helios Klinik in Schwerin, stellt fest:
"Es sind glückliche Umstände, dass sich diese Protagonisten in Mecklenburg-Vorpommern getroffen haben. Das widerspricht ein bisschen dem immer noch viel gehandelten Zitat von Bismarck: "Wenn die Welt untergeht, möchte ich gerne in Mecklenburg-Vorpommern leben, weil es da fünfzig Jahre später passiert."

Doping und Radsport, das ist für viele immer noch ein Begriffspaar. Am 4. Mai beginnt der Giro D'Italia, und auch bei der Rundfahrt wird es nicht ohne Diskussion um unerlaubte Leistungssteigerung zugehen. Intensiv diskutiert wird derzeit über zweifelhafte Methoden im Team Sky, über Weltklasse-Athleten wie Chris Froome und Bradley Wiggins. Stefan Osterhaus sprach darüber mit dem Radsport-Experten Tom Mustroph. Dessen Fazit: Ganz so schlimm wie zu Zeiten eines Lance Armstrong geht es nicht zu.

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