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Atheismus an der Uni
Das Studium der Gottlosen

Die USA werden immer säkularer: Knapp ein Viertel der US-Amerikaner fühlt sich keiner Religion mehr zugehörig, unter den Jüngeren sind es sogar 35 Prozent. Universitäten antworten jetzt auf diesen Trend: mit Lehrstühlen für Atheismus und Studiengängen zu Säkularismus und Humanismus.

Von Katja Ridderbusch | 27.11.2017
    Atheistische und religionskritische Teilnehmer der "Reason Rally" ("Kundgebung der Vernunft") in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington DC. am 24. März 2012.
    Atheistische und religionskritische Teilnehmer der "Reason Rally" ("Kundgebung der Vernunft") in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington DC. (AFP PHOTO/ Brendan Smialowski)
    Phil Zuckerman will nicht über die Existenz oder Nicht-Existenz von Gott diskutieren. Als Soziologe beschäftigt er sich vielmehr damit, wie Religionen das Leben von Menschen beeinflussen.
    Dabei sei ihm klar geworden, dass es eigentlich keine Forschung über nicht-religiöse Menschen gibt, über Atheisten, Agnostiker oder säkulare Humanisten. Keine akademische Disziplin, die sich der Gedankenwelt eines wachsenden Teils der Menschheit widme.
    Das wollte Zuckerman ändern. Der Wissenschaftler, der sich als "kulturell jüdisch, aber ansonsten agnostisch" bezeichnet, lehrt am Pitzer-College in Kalifornien, einer Universität mit etwa 1000 Studenten. Auf Zuckermans Initiative hin führte die Privat-Uni vor sechs Jahren den Studiengang "Secular Studies" ein - der erste in den USA und einer der wenigen weltweit. Die Universität von Miami in Florida zog nach, rief vor kurzem einen Lehrstuhl für Atheismus ins Leben.
    23 Prozent der Amerikaner fühlen sich keiner Religion zugehörig
    Die akademischen Initiativen reflektieren einen Trend, der Schlagzeilen macht: Die USA, traditionell ein religiös geprägtes Land, werden immer säkularer. Eine Umfrage des Pew-Instituts, des renommiertesten US-Meinungsforschungs-Instituts mit Sitz in Washington, fand heraus: Mehr als 23 Prozent der Amerikaner fühlen sich keiner Religion zugehörig; vor zehn Jahren waren es noch 16 Prozent. Vor allem 20- bis 40-jährige kommen zunehmend vom Glauben ab: 35 Prozent - also mehr als ein Drittel - bezeichnen sich als Atheisten, Agnostiker oder einfach als nicht-religiös.
    Phil Zuckermans Studenten schreiben sich aus ganz verschiedenen Motiven für den neuen Studiengang ein. Die einen wollten sich kritisch mit Religion auseinandersetzten, sagt der Soziologe.
    "Die zweite Gruppe besteht aus Studenten, die an den politischen Aspekten der Säkularisierungs-Debatte interessiert sind, vor allem an Fragen der Trennung von Religionsgemeinschaften und Staat, oder an aktuellen Themen wie dem Einfluss evangelikaler Christen oder den Debatten um Abtreibungsrecht und Klimawandel."
    Und dann gebe es die, denen das Studium bei der Selbstfindung helfe.
    Diese Studenten, selbst Atheisten oder Agnostiker, wollten mehr über die Geschichte humanistischer Ideen lernen und ihre eigene säkulare Identität erforschen.
    Bei Monica Miller kamen all diese Faktoren zusammen. Miller wuchs in Kalifornien auf, einem Bundesstaat, in dem überproportional viele Konfessionslose leben.
    Sie glaube nicht an einen Gott, sagt sie, aber sie sei Humanistin - und als solche überzeugt, dass Wissenschaft und Vernunft dazu dienen könnten, einige der großen globalen Probleme zu lösen.
    Die 'gottlose' Wissenschaft wächst
    Miller studierte am Pitzer College, nahm teil an einem Kurs zum Thema "Soziologie des Weltlichen". Der habe ihr die Augen geöffnet für den Einfluss von Religion in anderen Teilen der USA, vor allem im Süden - und in anderen Teilen der Welt. Später studierte sie Jura, heute arbeitet sie als Anwältin bei der American Humanist Association, einer Organisation, die sich besonders mit Verfassungsfragen befasst.
    In ihrem Jurastudium hätte sie sich für Themen interessiert, in denen es um die Trennung von Religionsgemeinschaften und Staat ging - und für Fälle rund um die Verletzung des ersten Verfassungszusatzes, der Rede- und Religionsfreiheit.
    Seit sie das Pitzer-College besuchte, wächst das interdisziplinäre Secular-Studies-Programm. Sechs Dozenten - Soziologen, Historiker, Philosophen und Kulturwissenschaftler - veranstalten Kurse zu Themen wie "Atheismus und Existentialismus", "Angst im Zeitalter der Vernunft" oder "Die Bibel als Literatur".
    Und auch sonst etabliert sich die noch junge Wissenschaft der Weltlichen Studien in akademischen Zirkeln: Es gibt zwei Fachzeitschriften und eine Forscherkonferenz, die alle zwei Jahre stattfindet.
    Phil Zuckerman hat eine Zeit lang in Dänemark gelebt und ein Buch über die Säkularisierung in Skandinavien geschrieben: "Gesellschaft ohne Gott". Aus dem Forschungsaufenthalt ist sein Spezialgebiet entstanden:
    "Ich interessiere mich besonders für religiöse Indifferenz. Meiner Meinung nach ist Säkularisierung dann am extremsten, wenn den Menschen Religion einfach egal ist. Ein besonders leidenschaftlicher Atheist dagegen reagiert noch mit einem Reflex - nämlich auf eine besonders starke Religiosität, die er ablehnt, mit der er kämpft."
    Die Universität als "säkulare Kathedrale"
    Kein Zufall also, dass nicht nur Theologen den Säkularisierungs-Studien mit Misstrauen begegnen. Sie fürchten, die neue Disziplin könne zum Forum für Kirchen-Hasser werden.
    Und auch einige Atheismus-Aktivisten sind skeptisch. Greg Epstein zum Beispiel. Er ist Humanist an der Harvard-Universität, eine Art 'Seelsorger'. Er hat den "Humanist Hub" gegründet, ein Gemeindezentrum für Studenten, Lehrbeauftragte und Bürger, die eines gemeinsam haben: Sie sind nicht religiös.
    Wenn jemand Säkularismus-Programme an Universitäten unterstützen will, empfiehlt Epstein, dann bitte nicht nur für die Forschung spenden. Das Geld sei besser aufgehoben bei Projekten wie seinem Gemeindezentrum. Denn: Atheisten hätten das starke Bedürfnis, Gemeinschaften zu gründen. Das sei nicht nur ein akademisches Problem, sondern auch ein soziales.
    Deshalb, schlägt er vor, müsse die akademische Erforschung des Atheismus einhergehen mit einer stärkeren Präsenz von säkularen Chaplains auf dem Campus, sozusagen humanistischen Seelsorgern. Schließlich sei die Universität eine Art säkulare Kathedrale.
    Phil Zuckerman will keine Kathedralen bauen, weder religiöse noch weltliche. Er wolle lediglich das Phänomen verstehen, sagt er, das Sich-Abwenden von der Religion aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten - politisch, philosophisch, demografisch.