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Bericht ohne Spannung

Klaus Rosen, emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Bonn, hat ausgiebig recherchiert und 600 Seiten über Leben und Wirken des römischen Kaisers Julian vorgelegt. Weil Rosen auf Konstruktion, aber auch darauf verzichtet, seinen Stoff literarisch zum Leben zu erwecken, hat der Leser Mühe, dem Bericht zu folgen.

Von Michael Rutschky | 21.04.2006
    Bei guter Quellenlage stehen Historiker vor dem Problem, dass sie zuviel zu erzählen haben. Im Fall des römischen Kaisers Julian ist die Quellenlage bestens; kein anderer Kaiser hat so viel Selbstgeschriebenes hinterlassen.
    Und die Wirkungsgeschichte ist ebenfalls überreich dokumentiert: Während ihn die christliche Überlieferung als Erzbösewicht kanonisierte, nahm er bei Montaigne und Montesquieu in der einsetzenden Moderne Züge des vorbildlich guten Herrschers an; Voltaire bewunderte ihn, Schiller plante ein großes Theaterstück - und noch Adolf Hitler ließ sich von einem Nazi-Dichter namens Eggers erklären, wieso Julian ihn, den Führer, als Kämpfer gegen das Christentum (sprich Judentum) präfiguriere.

    Diese anhaltende Aufmerksamkeit hat ihren Grund darin, dass Julian, der im Jahr 363 nach nur 20 Monaten Alleinherrschaft mit 32 Jahren starb, eine Reform rückwärts durchzusetzen versuchte, eine retrograde Umwälzung, die noch heute die Imagination anregt. Er revidierte den Beschluss seines Vorgängers (und Onkels) Constantin, den die Geschichte als Constantin den Großen führt, das Christentum als Staatsreligion zu etablieren, und kehrte zum Kult der griechischen und römischen Götter zurück, weshalb ihn die Geschichte Julian Apostata, Julian, den Abtrünnigen nennt. Was wäre gewesen, fragt die Imagination noch heute, wenn Julian länger gelebt hätte und seine religionspolitische Revision strikt hätte durchsetzen können? Wie kam er persönlich zu seiner Konversion?

    Mittels solcher Fragen den Stoff der Überlieferung in Bewegung zu setzen, ist nicht die Sache von Klaus Rosen, emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Bonn. Rosen präsentiert sich durch und durch als der Historiker, welcher eine überaus üppige Quellenlage ökonomisch zu bewältigen hat: Sein Buch umfasst knapp 600 Seiten, auf denen er den Stoff sorgfältig organisiert und abarbeitet - was im letzten Kapitel, das Rosen der so interessanten Wirkungsgeschichte Julians widmet, beinahe zur Listenförmigkeit führt: Dann schreibt noch der Essayist Erhart Kästner über den Apostaten, dann veröffentlicht Gore Vidal seinen Roman "Julian", ganz am Schluss finden sich julianische Verse des antikisierenden Lyrikers Durs Grünbein.

    Weil Rosen auf Konstruktion, aber auch darauf verzichtet, seinen Stoff literarisch zum Leben zu erwecken, hat der Leser Mühe, dem Bericht, wie er gleichmütig vorangeht, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Der Bericht bleibt ohne Spannung. Dass Julian lieber in Athen bei seinem Philosophiestudium geblieben wäre, statt in Gallien die römische Herrschaft militärisch zu sichern; dass er dort überaus erfolgreich agierte und im Jahr 360 in Paris von seinen Soldaten zum Kaiser proklamiert wurde; dass ihm der Bürgerkrieg erspart wurde, weil der legitime Kaiser Constantius mitten in den Vorbereitungen an einem Fieber verstarb und Julian als Nachfolger vorgeschlagen hatte; wie der Feldzug gegen die Perser fürchterlich misslang und Julian die Verwundung durch den Speer erlitt, an der er starb - Klaus Rosen erzählt das alles in Äquidistanz, in der Halbtotale gewissermaßen, was es dem Leser erschwert, zwischen Haupt- und Nebensachen, Figur und Grund zu unterscheiden.

    An diesem Manko leidet besonders stark das Hauptstück der Geschichte. Klaus Rosen vermag Julians Revision der Religionspolitik nicht verständlich zu machen - vielleicht ist das ohnehin unmöglich. Aber es wäre schön gewesen, hätte der Historiker eine konstruktive Deutung wenigstens versucht.

    Anscheinend fühlte sich Julian, ein kleiner, hässlicher Mann, der seinen verwahrlosten Vollbart, überhaupt seine Unattraktivität kultivierte, zeit seines Lebens von den griechischen und römischen Göttern persönlich ergriffen und geleitet. Sie sah er am Werk, als die Soldaten ihn in Paris zum Kaiser proklamierten und der legitime Kaiser Constantius kampflos starb. Besondere Anziehungskraft besaßen für Julian die heidnischen Praktiken der Vorausschau, die Hermeneutik des Vogelflugs, vor allem der tierischen Eingeweide. Dass man den Göttern opfern und damit ihren Willen beeinflussen könne, leuchtete ihm mehr ein als die christlichen Formen der Kommunikation mit dem einen, persönlichen Christengott.

    In der christlichen Überlieferung fand er seinen Platz gleich neben Nero, dem exemplarischen Scheusal in punkto Christenverfolgung. Denkern wie Montaigne und Voltaire war Julian teuer, weil er mit dem antiken Polytheismus Religionsfreiheit zu gewähren schien - lange hatte das monochristliche Europa ja unter dem Kampf um die Vorherrschaft der Kirche und unter religiös motivierten Bürgerkriegen furchtbar zu leiden. Dabei bleibt unklar, wie Klaus Rosen berichtet, ob Julian wirklich Religionsfreiheit wollte oder nicht vielmehr das Christentum ausrotten.