Rechts oder links?

Von der Verunglimpfung einer Seite

Ein blaues rundes Verkehrsschild mit einem weißen Pfeil, der nach links zeigt, und einem Pfeil, der nach rechts zeigt.
Rechts oder doch lieber links? © imago/STPP
Von Florian Werner · 24.09.2017
Mit der linken Hand hat Kain seinen Bruder erschlagen - so steht es in der Bibel. Ist links also schlecht und böse? Oder sind links und rechts gleich, wie Immanuel Kant es behauptet hat?
Otto Waalkes: "Rechts oder links - welch große Frage! Vor ihr stand Beckenbauer einst, als er, von Rummenigge angespielt, sich frug, wohin des Leders Rund er flanken sollte. Nach links, auf Müllers schussgewalt’gen Fuß? Nach rechts, wo schon das Lockenhaupt des Uli Hoeneß nach dem Ball sich reckte?"
Ganz gleich ob wir - wie Otto Waalkes in dem Sketch "Die Führerscheinprüfung" - beantworten sollen, welches Fahrzeug an einer Kreuzung die Vorfahrt hat, oder ob wir unser Kreuzchen auf einem Wahlschein machen: Andauernd müssen wir uns zwischen Rechts und Links entscheiden. Da wir spiegelsymmetrisch aufgebaute Wesen mit zwei Augen, Ohren und Gehirnhälften sind, ist unsere gesamte Weltwahrnehmung durch diese Hemisphären geprägt. Urbild der Seitigkeit ist dabei die menschliche Hand.
"Die rechte Hand ist der linken ähnlich und gleich, und wenn man bloß auf eine derselben allein sieht, auf die Proportion und Lage der Theile unter einander und auf die Größe des Ganzen, so muß eine vollständige Beschreibung der einen in allen Stücken auch von der anderen gelten."
So Immanuel Kant. Dennoch gelten die rechte und die linke Hand nicht als gleichwertig. Man denke an die berühmte Szene aus dem Filmklassiker "Die Nacht des Jägers", in der Robert Mitchum als zwielichtiger Wanderprediger einer Kinderschar erklärt, warum er auf seinen rechten Fingerknöcheln das Wort LIEBE eintätowiert hat und auf den linken das Wort HASS.
Robert Mitchum in Night of the Hunter: "Would you like me to tell you the little story of right hand, left hand? The story of good and evil?"

Rechte Hand - die Verkörperung des Guten?

Die Linke sei jene Hand, mit der Kain seinen Bruder erschlagen habe - die Rechte hingegen sei die Verkörperung des Guten. Das mag archaisch klingen; aber wer schon einmal seinem Gegenüber zur Begrüßung die 'falsche' Hand entgegengestreckt oder gefragt hat, ob er mit dem linken Fuß aufgestanden sei, weiß, dass dieses mythische Denken bis heute fortwirkt. Die Kanzlerin sitzt im Parlament zur Rechten des Bundestagspräsidenten. Jesus Christus sitzt nach seiner Auferstehung, wie es das apostolische Glaubensbekenntnis formuliert, ad dexteram Dei, 'zur Rechten Gottes'.
"Ein allgemeiner Glaube verbindet das Günstige mit der rechten Seite, das Unheilvolle mit der linken Seite, und daraus folgend das Rechte mit dem Reinen, das Linke mit dem Unreinen",
schreibt der Philosoph George Bataille. Woher aber rührt die so unterschiedliche Bewertung dieser beiden Sphären? Die Antwort liegt 'auf der Hand': Schon der Homo heidelbergiensis hielt seinen Faustkeil vorzugsweise in der Rechten. Die seit Urzeiten von der Bevölkerungsmehrheit bevorzugte Seite wurde also über die Jahrtausende zum Ideal erhoben − die von der Minderheit verwendete Linke hingegen wurde stigmatisiert. "Wie könnte der menschliche Körper, der Mikrokosmos, dem Gesetz der Polarität entkommen, das alle Dinge regiert?", fragt der Religionssoziologe Robert Hertz.

Aristokratisch oder plebejisch?

Die Gesellschaft, das ganze Universum hat eine sakrale, adlige, wertvolle Seite und eine andere, profane und gemeine – könnte da einzig der menschliche Organismus symmetrisch bleiben?
Offenbar nicht. Sicher wussten auch die Angehörigen der Nationalversammlung in Paris um diese Asymmetrie, als sie sich 1789 zusammensetzten, um über die französische Verfassung zu beraten: Die Aristokraten ließen sich auf der Ehrenseite zur Rechten des Vorsitzenden nieder - die progressiven Kräfte zu seiner Linken. Seitdem symbolisiert rechts im politischen Spektrum die Norm und links die Abweichung, das Neue. Kein Wunder also, wenn viele Menschen sich mit der Entscheidung für eine Partei so schwer tun: Mit ihrem Kreuzchen bekennen sie sich nicht nur zu einer politischen Richtung, sondern zu einer ganzen Welthaltung: Alt oder neu? Aristokratisch oder plebejisch? Sakral oder profan?
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