Donnerstag, 25. April 2024

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Bericht über Bruno

"Wir hielten ihn alle für einen Millionär", schreibt ein verläßlicher Augenzeuge, der Schriftsteller und Soziologe Nicolaus Sombart. Doch hinter die Fassaden des Mannes, dem Sombart einiges an Protektion in seinen Pariser Jugendjahren verdankt, konnte niemand blicken. Woher kam sein Geld? War der großzügige Homme de lettres das illegitime Kind eines elsäßischen Schwerindustriellen? Oder ein von der CIA bezahlter "Kulturbotschafter", der in seinen literarischen Salons Politik und aufsäßige Intellektuelle zusammenbringen und ein bißchen aushorchen sollte? Bis zu seinem Tode 1980 blieb das Geheimnis ungelüftet und wäre vermutlich nie mehr auf die Tagesordnung geraten, hätte der geheimnisvolle Krösus nicht ein Legat hinterlassen. Seit letztem Jahr ist die Bundesrepublik um eine literarische Ehrung reicher, im wörtlichen Sinne. Mit 250.000 Mark dotiert, stellt der Joseph-Breitbach-Preis seine Jury vor die unlösbare Aufgabe, die Relationen zum renommierten Büchner-Preis (ein Viertel der Breitbach-Summe) irgendwie literarisch zu wahren. Woher dieses Geld kommt, weiß auch niemand – sicher nicht mehr von der CIA –, aber man kann sich die diebische Vorfreude des Spenders vorstellen, der zu Lebzeiten Experimente des Sozialen schätzte. "Sein Modus operandi war die subtile Intrige", schreibt Sombart, "die darauf zielt, Menschen auseinanderzubringen, deren Verbindung einem gefährlich werden könnte, und die zu verkuppeln, die man durch die Begünstigung ihrer Schwächen besser in seine Hand bekommen kann." Wer alt genug ist, erinnert sich bei diesen Worten an einen Roman – von Joseph Breitbach. 1962 erschien zum ersten Mal der "Bericht über Bruno", passend im S.Fischer Verlag wieder aufgelegt.

Florian Felix Weyh | 25.02.1999
    Knapp vierzehn Jahre alt ist der Held Bruno, ein ins Bizarre verzerrter Lord Fauntleroy. Äußerlich ein Kind, innerlich eine mathematisch kalkulierende Beziehungsmaschine. Wer auch immer ihn umgibt – das Personal, sein Erzieher, sein gestrenger Großvater –, wird in ein Netz von Lügen und Intrigen eingesponnen, deren Ziel Machtzuwachs lautet. Scheinbar gefühllos und nur an wenigen Stellen zwischen heißer Liebe und kaltem Haß schwankend, absolviert der Heranwachsende ein Programm der inneren Verrohung bei gleichzeitiger Kultivierung äußerer gesellschaftlicher Formen. Er ist höflich, gewinnend, diplomatisch – das Abbild eines künftigen Staatsmannes. Mit dreißig will er sein Land beherrschen, und die ersten Schritte seiner politischen Laufbahn kosten den Erzieher das Leben. Schonungslos opfert Bruno ihn auf dem Altar des politischen Kalküls, treibt den ambitionierten Homosexuellen durch eine gesteuerte Hetzkampagne in den Selbstmord. Auch der Großvater, ein reicher Industrieller und zeitweise Innenminister seines Landes, steht auf Brunos Abschußliste, weil er das inhaltsleere Spiel mit der Macht so zynisch-perfekt beherrscht, wie es der Enkel gerne nachahmen würde – allerdings, dies der Unterschied, mit dem puritanischen Eifer eines Savonarola.

    Unschwer kann man hinter der Figur des Großvaters den Autor Breitbach erkennen, der als Ich-Erzähler den eigenen Untergang minutiös protokolliert. In einer maroden Monarchie angesiedelt, die dem damaligen und heutigen Belgien entspricht, ist dieser Roman kälteste Soziologie bei leuchtenster Prophetie – man erschauert fast, wenn man sich die belgischen Korruptionsskandale der letzten Jahre in Erinnerung ruft. Was in heutigen Politkrimis mit Versatzstücken der Filmdramaturgie hergestellt wird, erzeugte Joseph Breitbach 1962 noch mit sprachlicher Disziplin. Ein immer stärker werdender Sog geht von seiner nüchternen Beschreibungsprosa aus, die ganze Schlüsselszenen indirekt referiert, als Fest des geschliffenen Konjuktivs. Obwohl der Ost-West-Konflikt mit Sowjetspionage ebenso überholt ist, wie sich die gesellschaftlichen Konfliktfelder rund um Ehebruch und Homosexualität beruhigt haben, liest sich der "Bericht über Bruno" als Leitfaden für politische Aufsteiger. Breitbachs tiefschwarzes Menschenbild kannte nur käufliche oder erpreßbare Typen – die beiden Seiten der Manipulation; eine dritte schien ihm undenkbar.

    So bekommt der hoch dotierte Breitbach-Preis einen höhnischen Aspekt: Nicht um Literaturförderung ging es dem reichen Zyniker, sondern um Standhaftigkeit. Wer immer als Literat etwas taugt, darf sich – ebensowenig wie ein Politiker – von einer läppischen Viertelmillion Mark nicht korrumpieren lassen. Der Jury sei ans Herz gelegt, potentiellen Preisträgern zuerst den "Bericht über Bruno" zukommen zu lassen. Wer dann noch das Geld annimmt, darf sich der galligen Verachtung des Stifters gewiß sein. Zum Glück kann er vom Jenseits aus keine Ränke mehr schmieden.