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Bericht zum Fall Anis Amri
Schlechtes Zeugnis für ermittelnde Behörden

Hätte der Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 verhindert werden können? Der frühere Bundesanwalt Bruno Jost kommt in seinem Bericht zum Fall Anis Amri zu einem eindeutigen Ergebnis und erhebt gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die ermittelnden Behörden.

Von Paul Vorreiter | 13.10.2017
    Kerzen und Kränze am Eingang der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz in Berlin erinnern an den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016.
    Im Dezember 2016 verübte der Tunesier Anis Amri einen Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben. (Deutschlandradio / Sandra Stalinski)
    "Mangelhaft", "verspätet", "unzureichend", "unterblieben", fehlerhaft", "unprofessionell". Die Bewertungen des früheren Bundesanwalts Bruno Jost sprechen eine deutliche Sprache: Der Jurist beschäftigte sich im Auftrag des Berliner Senats mit der Frage, ob der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz vergangenen Dezember hätte verhindert werden können. Mathematische Gewissheit, dass man Amri hätte festnehmen können, gibt es nicht, sagte Jost:
    "Aber es hätte, wenn alles gut gelaufen wäre, eine reelle Chance gegeben."
    Der Ex-Bundesanwalt geht davon aus, dass Amri im Sommer oder Herbst 2016 mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte in Haft genommen werden können. Ende Juli 2016, einen Monat nachdem der Asylantrag des Tunesiers abgelehnt worden war, hatte die Bundespolizei den Tunesier bei einer Kontrolle in Friedrichshafen in Baden-Württemberg mit gefälschten Ausweisen aufgegriffen:
    "Es hätte aus meiner Sicht die Chance bestanden, Amri in Friedrichshafen festzunehmen und auch in Haft zu behalten. Dass das nicht geschehen ist, ist in hohem Grade bedauerlich und für mich auch nicht sehr verständlich."
    Versäumnisse und Schlamperei
    Der Mann wurde aus der Abschiebehaft wieder entlassen. Die Behörden glaubten, keine Handflächenabdrücke Amris genommen zu haben, die hätte man für entsprechende Unterlagen aus Amris Heimat Tunesien gebraucht. Aber diese Abdrücke lagen mehrfach vor. Hier habe es das Bundeskriminalamt versäumt, Informationen weiter zugeben.
    Aber nicht nur im Südwesten sei geschlampt worden, auch in Berlin. So führten die Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Amri bereits zu Beginn des Jahres 2016 als islamistischen Gefährder, zwischenzeitlich wurde er sogar für den vordringlichsten Fall gehalten worden. Der Tunesier hätte wegen bandenmäßigen Drogenhandels in Untersuchungshaft genommen werden können, doch die Überwachung sei unzureichend gewesen.
    So hat die Berliner Polizei den Tunesier nur von Montag bis Freitag observiert, sowie nur tagsüber:
    "Aber nicht wie es bei einem nachtaktiven Drogenhändler nötig wäre, in den Nachtstunden und auch an den Örtlichkeiten, wo ein Drogenhändler aktiv ist, am Görlitzer Park oder so. Da hat nichts stattgefunden."
    Außerdem hätten abgehörte Telefongespräche den erheblichen Umfang von Amris Rauschgifthandel vom Frühsommer 2016 belegt. Erkenntnisse tauschten die LKA-Abteilungen aber nicht aus. Als eine Beamtin zu dem Schluss kommt, dass die Indizien doch noch reichen könnten, um Amri festzunehmen, passiert ein weiterer Fehler. Die Staatsanwaltschaft erhält ihren Bericht nicht und Amri wird nicht länger beobachtet.
    Josts Bericht legt nahe, dass nach dem Anschlag versucht worden sei, vorherige Fehler der Ermittler zu vertuschen. Der Senat verlangte vom LKA Fakten zu Amri. In dieser sogenannten Führungs-Information wird das Ausmaß von Amris Drogenhandel heruntergespielt. Er wird als Kleinkrimineller dargestellt.
    "Man muss also davon ausgehen, dass, wenn in dieser Führungsinformation von Klein- und Kleinsthandel die Rede war, sich das nicht auf die Erkenntnisse aus den polizeilichen Datenbanken gestützt haben kann."
    Bessere Zusammenarbeit der Behörden gefordert
    Berlins Innensenator Andreas Geisel von der SPD sieht Handlungsbedarf vor allem bei einer besseren Zusammenarbeit der Behörden:
    "Wir brauchen eine viel stärker vernetzte Kommunikation und Kooperation zwischen den Ländern und zwischen den Ländern und dem Bund. Das gilt auch für die Aufklärung des Anschlags. Ich rege deshalb einen Untersuchungsausschuss im Bundestag an."
    Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth fordert in der "Rhein-Nackar-Zeitung" mehr Kompetenzen beim Bund. Der Föderalismus gelange bei der Bekämpfung schnell an Grenzen, sagte der CDU-Politiker. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer von der CSU verlangt in der "Passauer Neuen Presse" eine bessere Überwachung.
    Eva Högl, stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef sagte, der Bericht offenbare "gravierende Fehler der Behörden auf allen Ebenen". Es müsse geklärt werden, was dieses Chaos ausgelöst habe: Schlamperei, Leichtfertigkeit oder strukturelles Behördenversagen.