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Berichte aus Syrien
Wer dokumentiert die Kriegsverbrechen?

Interviews mit Geflüchteten und Deserteuren: Aktuell ist das für Behörden, Menschenrechtsorganisationen und Journalisten oft die einzige Möglichkeit, an Informationen über die Situation in Syrien zu kommen. Die Verlässlichkeit dieser Informationen ist schwer einzuschätzen. Der Angriff auf ein Konvoi mit Hilfsgütern in Syrien hat dieses Dilemma erneut offenbart.

Von Dietrich Mäurer | 24.09.2016
    Ein Mann steht in Trümmern in Aleppo.
    Ein Mann steht in Trümmern in Aleppo. (afp/Al-Masri)
    Nach dem Angriff auf einen UN-Konvoi mit Hilfsgütern in Syrien hatte man auch bei den Vereinten Nationen viele Fragen, jedoch keine Antworten. Wie konnte es dazu kommen? Wer steckt hinter der Attacke? Und wie kann das Geschehen aufgearbeitet werden? Der stellvertretende UN-Sonderbeauftragte für Syrien Ramzy Ezzeldin Ramzy musste einräumen:
    "Wir als Vereinte Nationen waren nicht dort. Uns war es nicht erlaubt dorthin zu fahren. wie es schon so oft passiert ist."
    Auch, als Anfang September die Syrien-Kommission des UN-Menschenrechtsrats über Gewalt gegen Zivilisten, Angriffe auf Krankenhäuser und Massenhinrichtungen berichtete, sagte der Vorsitzende der Kommission Paulo Sérgio Pinheiro:
    "Es ist uns nicht möglich, das Land zu betreten. Das ist zugegebenermaßen eine große Behinderung unserer Arbeit. Aber dass wir nicht ins Land rein können, bedeutet nicht, dass wir keine Informationen direkt aus Syrien haben."
    Um sich ein Bild über die verübten Verbrechen zu machen, setzt die UNO auf Befragungen. Mehr als 5.000 Interviews führte die Kommission des Menschenrechtsrates mit Flüchtlingen oder Deserteuren. Mehr Mittel bleiben nicht - so Paulo Sérgio Pinheiro:
    "Wir schmuggeln keine Dokumente aus Syrien heraus. Das geht nicht für die Vereinten Nationen."
    Weniger Bedenken hat man da beim Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte in Berlin. Die von Anwälten gegründete, unabhängige Organisation sammelt Beweise für Verletzungen des Völkerrechts. Menschenrechtsanwalt Patrick Kroker erklärt worauf man sich stützt:
    "Die Daten, die wir bekommen sind in erster Linie von Aktivisten, die vor Ort noch leben und unter massivem Sicherheitsrisiko einfach versuchen, noch möglichst viel Dokumentation zu betreiben. Teilweise sind es auch Leute, die schon außer Landes geflohen sind und eben Daten, Dokumentation einfach haben mitnehmen können."
    Schwer verdauliche Informationen
    Schwer verdauliche Informationen laufen auf diese Weise zusammen: Fotos von bombardierten Häusern. Detaillierte Schilderungen von Folterungen:
    "Es gibt eigentlich kein Kriegsverbrechen und kein denkbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was in Syrien nicht von allen Seiten mit einer unheimlichen Regelmäßigkeit begangen wird. "
    Schwierige Aufarbeitung
    Dies zu dokumentieren ist Ziel des Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte. Zudem treten die Anwälte dafür ein, dass die Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden. Im Fall Syrien gestaltet sich das allerdings extrem schwierig:
    "Der Fall Syrien müsste durch den UN-Sicherheitsrat an den internationalen Strafgerichtshof überwiesen werden. Das wurde versucht. Es gab einen Resolutionsentwurf einen entsprechenden unter Federführung Frankreichs im Mai 2015, der aber durch ein russisches und dann auch chinesisches Veto blockiert wurde."
    Auch mit Sondergerichtshöfen der Vereinten Nationen, wie es sie nach dem Jugoslawienkrieg und zu Ruanda gab, sei nicht so schnell zu rechnen.
    Patrick Kroker und seine Mitstreiter hoffen deshalb darauf, dass Gerichte in Drittstaaten diese Verbrechen anklagen - auf Grundlage des Weltrechtsprinzips.
    "Das Weltrechtsprinzip besagt, dass auch nationale Gerichte weltweit bestimmte Straftaten verfolgen können. Und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter und Kriegsverbrechen gehören zu diesen Straftaten. Das bedeutet unter anderem in Deutschland wäre es möglich, diese Verbrechen vor Gericht zu bringen."
    Erste Verfahren könnte es in den nächsten zwei Jahren geben, hofft der Menschenrechtsanwalt.