Samstag, 20. April 2024

Archiv

Berichterstattung aus Uganda
Allein im Kriegsgebiet

Die eigentliche Flüchtlingskrise dieser Welt findet nicht in Europa statt, sondern im Herzen Afrikas, wie die Journalistin Simone Schlindwein beschreibt. Doch die Lage dort wird kaum beachtet. Denn europäische Journalisten, die dauerhaft in der Krisenregion leben, sind selten.

Von Simone Schlindwein | 27.12.2017
    Südsudanesen warten auf den Wassertruck im Rhinocamp. Gelbe Wasserkanisten sind leer.
    Die Lage der Flüchtlinge im Südosten Afrikas wird in Europa kaum wahrgenommen. (Linda Staude)
    Das größte Flüchtlingslager der Welt steht nicht in Syrien oder der Türkei, sondern im Herzen Afrikas.
    Über 1,3 Millionen Flüchtlinge beherbergt das kleine Land Uganda derzeit – das sind mehr Menschen als im Jahr 2015 über die Balkanroute nach Europa kamen, viel mehr. Dabei ist Uganda selbst ein armes Land und auf Hilfsgelder angewiesen. Doch das Schicksal dieser Flüchtlinge sowie die Kriege in ihren Ländern schaffen es kaum in die deutschen Schlagzeilen.
    Ich lebe und arbeite seit knapp zehn Jahren als Korrespondentin der Tageszeitung taz und verschiedener deutscher, österreichischer und schweizer Radiosender in der Region der Großen Seen. Es ist schon immer eine Region voller Krieg und Gewalt. Doch so schlimm wie jetzt habe ich es noch nie erlebt: Ob aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Südsudan oder dem kleinen Land Burundi – täglich müssen tausende Menschen fliehen, die meisten sind Kinder. Mit nichts als den Kleidern am Leib hetzen sie über die Grenze, viele blutend mit Schusswunden, weil ihnen Rebellen oder Regierungssoldaten in den Rücken schießen, um ihre Flucht zu verhindern. Komplett erschöpft und traumatisiert brechen sie am Schlagbaum zusammen.
    Hilfsorganisationen sind überfordert
    Die eigentliche Flüchtlingskrise dieser Welt findet nicht in Europa statt, sondern hier in Uganda, in einem kleinen Land, in welchem alle drei Monate neue Lager aus dem kargen Savannenboden gestampft werden müssen. Und jenseits der Grenzen, im Ostkongo beispielsweise, ist die Lage noch viel dramatischer: 3,5 Millionen Menschen sind innerhalb ihres eigenes Landes dort vertrieben – sie fliehen vor Gewalt und Krieg. Sie hungern, dabei ist die Ernte auf den Feldern reif. Die meisten schaffen es nicht einmal über die Grenze.
    Hilfsorganisationen und UN-Agenturen sind komplett unterfinanziert. Sie haben nicht einmal die Hälfte des Budgets, das sie brauchen, um die Flüchtlinge zu versorgen mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medizin. Auch das ist nicht noch nie so dramatisch gewesen. Doch aus Europa fließt nur noch wenig Geld.
    In Deutschland und Europa bekommt von dieser Krise kaum jemand etwas mit. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: Es gibt kaum mehr deutsche Korrespondenten und Journalisten in Afrika. Die Medienredaktionen haben in den vergangenen Jahren fast alle ihre Reporter abgezogen. Journalisten, die wie ich nicht nur kurz einfliegen, sondern in den Krisenregionen leben, sind selten geworden. Oft stehe ich ganz allein im Kriegsgebiet und wundere mich, wo die Kollegen sind.
    Europäische Wahnehmung reicht nur bis zum Mittelmeer
    Theoretisch könnte mich das freuen, gibt es doch dann für mich viel mehr zu tun. Doch das Gegenteil ist der Fall – und das ist der zweite Grund: Seitdem die Balkankrise 2015 begann und Migranten und Flüchtlinge nach Europa strömten – dreht sich innerhalb der EU alles nur noch um die eigene, sogenannte Flüchtlingskrise. Dabei ist dies gar keine "Flüchtlings"-Krise, sondern eine Solidaritätskrise innerhalb der EU – und quasi hausgemacht.
    Die Flüchtlinge in der EU wurden zur "Krise" als sich manche Länder wie Ungarn, Polen oder Österreich weigerten, sie umzuverteilen. Seitdem reicht die Wahrnehmung gerade noch bis zum Mittelmeer, wo nun europäische Grenzschützer Flüchtlingsboote zurück schleppen nach Afrika, ja sogar ins Bürgerkriegsland Libyen. Denn in der EU heißt es klipp und klar: Das Boot sei voll.
    Als im November die Bilder vom Sklavenmarkt in Libyen in den weltweiten Medien publik wurden ging ein Aufschrei durch Afrika. Auf Facebook und Twitter, in den afrikanischen Zeitungen – überall entrüsteten sich die Afrikaner. In Deutschland ging auch dies zwischen der Debatte um Groko, Jamaika oder anderen Konstellationen einer neuen Regierung unter.
    Ein Leben auf dem "Planeten Pluto"
    Oft wird mir im Kontakt mit Redaktionen zu Hause das Gefühl vermittelt, hier in Afrika wie auf dem Planeten Pluto zu leben – weit weg vom Gravitationspunkt im Sonnensystem der deutschen Wahrnehmung. Dabei ist es eigentlich umgekehrt. In dieser globalisierten Welt liegt Afrika mittendrin. Es ist unser direkter Nachbarkontinent. Nur leben die Deutschen in einem Elfenbeinturm des Wohlstands und der Sicherheit, aus welchem sie nur noch ungern herabblicken.