Freitag, 19. April 2024

Archiv

Berichterstattung bei Strafprozessen
Wenn plötzlich alle über Freiburg berichten

Vor einem Jahr hat ein junger Flüchtling in Freiburg eine Studentin getötet. Nicht nur der Mord an Maria L., sondern auch die Berichterstattung darüber sorgte für Schlagzeilen. Inzwischen läuft das Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter. Und wieder ist der Medienrummel außergewöhnlich.

Von Burkhard Schäfers | 16.10.2017
    Der Angeklagte Hussein K. sitzt am 05.09.2017 in Freiburg (Baden-Württemberg) im Landgericht im Gerichtssaal vor Journalisten. Er ist wegen Mordes an einer Studentin angeklagt. Links steht Verteidiger Sebastian Glathe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, die 19 Jahre Maria L. im Oktober 2016 angegriffen, gewürgt und vergewaltigt zu haben. Anschließend habe er sie bewusstlos ins Wasser des Flusses Dreisam gelegt, wo sie ertrank.
    Freiburger Mordprozess: Welche Medien berichten zuerst? (dpa / Patrick Seeger)
    Der 16. Oktober 2016 in Freiburg: Eine 19-jährige Medizinstudentin wird nachts auf dem Heimweg von einer Party überfallen und vergewaltigt, sie ertrinkt in der Dreisam. Anderthalb Monate später nimmt die Polizei den mutmaßlichen Täter fest. Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer sagt auf einer viel beachteten Pressekonferenz:
    "Es handelt sich um einen 17 Jahre alten Jugendlichen afghanischer Herkunft, der 2015 als Flüchtling in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist."
    Fast so viele Journalisten wie beim NSU-Prozess
    "Flüchtling tötet Studentin" - die Schlagzeile lief bundesweit und sorgte bei Facebook und Twitter für eine Welle an ausländerfeindlichen Hasskommentaren. Seit Anfang September nun steht der Angeklagte vor Gericht, und wieder ist das Medieninteresse enorm. 48 Journalisten hat das Gericht akkreditiert, fast so viele wie beim Münchner NSU-Prozess. Bärbel Waltenbauer berichtet für den SWR über das Verfahren:
    "Es ist ganz klar, dass dieser Prozess mit sehr, sehr großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Ich muss sagen, dass das, was geschrieben wird, sich doch sehr gleicht. Es erscheint schnell, aber es gibt wenig Neues, es gibt nicht so viel Analyse, es gibt nicht so viel Hintergrund. Und das fände ich eigentlich in dem Fall jetzt sehr angemessen."
    Live und schnell – hohes Tempo in der Berichterstattung
    Unter den Journalisten ist offenbar eine Art Wettbewerb entbrannt: Welches Medium meldet zuerst, was die Zeugen etwa über den Drogenkonsum oder frühere Gewalttaten des Angeklagten erzählen. Die Badische Zeitung bloggt sogar live aus dem Gerichtssaal. Klaus-Dieter Stark, der Sprecher des Landgerichts Freiburg, kritisiert diese Form der Berichterstattung.
    "Das rührt ein bisschen an den Grundfesten der Strafprozessordnung. Wir haben das Erfordernis, dass die Zeugen einzeln und unabhängig voneinander vernommen werden. Wenn jetzt ein Zeuge schon in der Zeitung nachlesen kann, was die anderen haarklein gesagt haben, dann ist das eine Konstellation, die nicht beabsichtigt und auch nicht gut ist, weil da Aussagen abgestimmt werden können."
    Mit ihrem Liveblog beeinflussen die Journalisten also womöglich das Verfahren, sagt Richter Stark.
    "Ich würde mir erwarten, dass Berichte da zurückhaltender erfolgen. In der Regel kennen die Zeugen nicht die Angaben der anderen Zeugen. Und ein Zeuge, der noch nicht vernommen ist, dem wird auch die Anwesenheit im Gerichtssaal nicht gestattet."
    Auch Bärbel Waltenbauer vom SWR sieht das hohe Tempo bei der Berichterstattung kritisch – aus journalistischen Gründen:
    "Es setzt natürlich uns Journalisten auch sehr unter Druck, immer schneller, immer mehr zu liefern. Jedes einzelne Wort rauszublasen aus dem Prozesssaal. Und das find ich eigentlich ne eher ungute Entwicklung. Also ich fänd’s gerade auch in diesem Fall sehr, sehr ratsam, da eher reflektiert ranzugehen, zu filtern und dann zu sagen: Wie analysieren wir das, wie schätzen wir das ein."
    Vollständig berichten – aber kein Forum für Hetze bieten
    In anderen Ländern werden Prozesse live im Fernsehen oder im Netz übertragen. In Deutschland ist das bisher nicht erlaubt. Insofern mögen Live-Texte aus dem Gericht ein Antwortversuch auf Vorwürfe sein, die Medien würden Informationen zu dem Fall verschweigen. So wurde die Tagesschau dafür kritisiert, dass sie die Festnahme des Tatverdächtigen nicht gemeldet hatte. Andererseits müsse der SWR viele Hasskommentare unter Beiträgen auf seiner Website sperren, sagt Bärbel Waltenbauer. Vollständig berichten und gleichzeitig kein Forum für ausländerfeindliche Hetze bieten - in diesem Spannungsfeld bewegten sich die Journalisten.
    "Konsequenzen für uns zum Beispiel: Es gibt neue Nachrichtenrichtlinien beim SWR. Wir diskutieren viel mehr und viel deutlicher, wie wollen wir was darstellen, wollen wir was mit Pro und Contra machen, und sind natürlich jetzt in diesem Prozess um sehr viel Sachlichkeit bemüht. Man möchte auch nicht mehr jeden tönen lassen, der sich ans Mikrofon drängt, sondern bei den Menschen nachfragen, die wirklich auch Ahnung vom Geschehen haben."
    Im Dezember soll im Mordfall Maria L. das Urteil gegen den Angeklagten fallen. Spätestens dann wird es wieder bundesweit Schlagzeilen aus Freiburg geben.