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Berichterstattung über Straftaten
Pressekodex in der Kritik

Dürfen Medien die Herkunft der Täter nennen, wenn sie über Strafdelikte berichten? Dürfen sie, entschied der Presserat im vergangenen Jahr, und zwar bei "begründetem öffentlichen Interesse". Eine Neuausrichtung, die bis heute umstritten ist.

Von Silke Ballweg | 05.02.2018
    Ein Fotograf betrachtet in einem Gerichtssaal das Foto eines Angeklagten.
    "Es gibt den Stereotyp, der denen, die fremd sind, schlechte Eigenschaften zuschreibt: sprich Kriminalität." (picture alliance / Patrick Seeger / dpa)
    Wenn eine Frau vergewaltigt, eine Bank überfallen oder eine Handtasche gestohlen wurde - wie wichtig ist es dann zu wissen, ob der Täter Deutscher, Afghane oder Koreaner war? Der deutsche Presserat, das Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen (Print-)Medien, hatte zu dieser umstrittenen Frage jahrelang eine klare Haltung. Sie besagte: unwichtig. Mit einer Ausnahme: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigten oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."
    Die Zuwanderung der Flüchtlinge nach Deutschland und vor allem die sexuellen Übergriffe in Köln während der Silvesternacht 2015 entfachten jedoch eine heftige Debatte über diese Praxis. Nannten die Medien die Herkunft der ausländischen Täter nicht, sahen sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, bestimmte Fakten bewusst auszuklammern. Schrieben Redaktionen über die nationale, religiöse oder ethische Zugehörigkeit von Straftätern, unterstellten ihnen andere rassistische Motive. Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats: "Da war eine große Unsicherheit in den Redaktionen: Wann darf man benennen, wann darf man nicht benennen? Und das war der Auslöser, dass wir uns damit intensiver beschäftigt haben."
    Seit der Presserat die entsprechende Formulierung im Pressekodex im vergangenen März geändert hat, können Redaktionen die Herkunft eines Täters nennen, wenn ein "begründetes öffentliches Interesse" besteht. In ergänzenden Leitsätzen hat der Presserat formuliert, wann dieses zutrifft: "Ein begründetes, öffentliches Interesse kann sein ein schwerwiegendes Verbrechen, das kann die Existenz eines Haftbefehl sein, dann wird polizeilich nach jemandem gesucht, und dann kann die Presse darüber berichten."
    Wortlaut der geänderten Passage im Pressekodex
    Im März 2017 hat der Presserat den Pressekodex geändert. Seitdem ist öffentliches Interesse ausschlaggebend für die Nennung, zu welchen Gruppen Täter oder Tatverdächtige stammen. (Deutschlandradio / Stefan Fries)
    Die Kritik wird lauter
    Die Neufassung stellt eine Liberalisierung dar. Schon damals störten sich daran viele Kommunikationswissenschaftler und Journalisten. Jetzt wird ihre Kritik lauter: In einem offenen Brief haben sich einige an den Presserat gewandt, denn sie fürchten, dass die Medien Vorurteile verstärken könnten. Professorin Friederike Herrmann von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat den Brief mitunterzeichnet: "Es gibt den Stereotyp, der denen, die fremd sind, schlechte Eigenschaften zuschreibt, sprich Kriminalität. Das waren mal die Juden, dann die Türken, dann die Marokkaner, die Struktur ist wiederkehrend, das Böse bringen die Flüchtlinge, und damit muss man umgehen als Journalist, weil es in den Köpfen eine Verknüpfung von Realität und Straftat gibt, die es in der Realität nicht gibt."
    Die Unterzeichner wünschen sich deshalb eine Rückkehr zu der alten Formulierung. Auch, weil nicht klar formuliert sei, wann das öffentliche Interesse greife. "Das kann in einem Zirkelschluss enden, denn das öffentliche Interesse wird durch die Vorurteile hergestellt, die ich im Kopf habe und durch die Berichterstattung der Medien, und daraus begründe ich dann wieder meine Berichterstattung. Das sollte man vermeiden."
    Größere Vielfalt in der Berichterstattung
    Heinrich Löbbers, Mitglied der Chefredaktion der Sächsischen Zeitung in Dresden, kennt die Probleme und die teils rassistischen Vorurteile aus Zuschriften und Kommentaren seiner Leser. Die Sächsische Zeitung hat sich deswegen vor anderthalb Jahren für einen ganz anderen Weg entschieden. "Wir haben uns eine klare Linie gegeben, wir nennen immer die Herkunft des Täters, wenn wir es wissen. Sowohl, wenn es ein deutscher Täter ist als auch, wenn es jemand ausländischer Herkunft ist."
    Mit dieser Entscheidung will die Redaktion Vorurteile abbauen. "Hier in Dresden hat Pegida 'ne Rolle gespielt in der Diskussion. Weil Pegida eher behauptet, dass das doch bestimmt ein Ausländer gewesen sein muss. Und wir fragen halt nach, welche Nationalität hatte denn der Täter."
    Die Änderungen im Pressekodex haben zu größerer Vielfalt in der Berichterstattung geführt. Manche Redaktionen nennen die Herkunft eines Täters. Andere nicht. Lutz Tillmanns vom Presserat ist mit dieser Entwicklung durchaus zufrieden. Die Redaktionen sollten selbständig entscheiden, wie sie mit jedem Einzelfall umgehen.