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Berlin
Abwechslungsreich und lebendig: "Jewish Culture Day"

Das jüdische Leben in Berlin boomt wieder. Zuerst zogen Tausende russischsprachige Juden in die Hauptstadt, jetzt kommen junge Israelis hinterher. Damit erlebt auch das jüdische Kulturleben einen Aufschwung. Grund für die Heinrich-Böll-Stiftung, zu einem "Jewish Culture Day" einzuladen - zu einem jüdischen Kulturtag.

Von Jens Rosbach | 01.09.2015
    Es lief anders als geplant. Eigentlich sollte es beim "Jewish Culture Day" um das moderne jüdische Kulturleben gehen. Doch die Künstler hatten vor allem politische Anliegen - angesichts brennender Asylheime und Hasswellen im Internet.
    "Ich finde der Umgang mit Flüchtlingen jetzt - und was nicht nur von rechter Ecke, aber auch wirklich aus Mitte der Gesellschaft kommt - absolut erbärmlich."
    Klagte etwa Nicola Galliner, die Leiterin des Jüdischen Filmfestivals Berlin und Potsdam bei einer Podiumsdiskussion.
    "Und ich frage mich: Dass so viele Leute so viele widerliche Sachen sagen und auch tun - was ist schief gegangen in West, in Ost, das wir diese Situation jetzt haben?"
    "Manche Künstler jüdischer Abstammung spitzen es auch zu: Oliver Polack hat sich grad geäußert in der 'Welt', glaube ich, wo er geschrieben hat: Die Deutschen hätten 1945 lernen sollen, dass sich nicht nur mit Juden nett sein müssen."
    Der Moderator, der jüdische Publizist Sergey Lagodinsky - Referatsleiter der Heinrich-Böll-Stiftung - fragte nach den eigenen Erfahrungen der geladenen Künstler. Denn sie sind allesamt jüdische Einwanderer, die aus der Ex-Sowjetunion stammen. Darunter sogenannte Kontingentflüchtlinge wie die Berliner Schriftstellerin Olga Grjasnowa. Die Autorin des Buches "Unschärfe einer Ehe" kam 1996 nach Deutschland.
    "Meine Situation ist extrem privilegiert. Also jüdische Kontingentflüchtlinge hatten von Anfang an einen unbegrenzten Aufenthaltsstatus. Und das kann man bei Weitem nicht vergleichen mit den Flüchtlingen, die jetzt ankommen. Die Stimmung in Deutschland wird immer schlimmer. Also nicht, dass es jemals gut gewesen wäre. Die Entnazifizierung hat nicht sonderlich weit gegriffen. Ich glaube auch nicht, dass die Deutschen gelernt hätten, so wahnsinnig nett zu Juden zu sein. Man hat sich nur verbal ein bisschen besser im Griff."
    Die Literatin verschwieg allerdings die Hilfs-Aktionen für Flüchtlinge und auch Solidaritäts-Aktionen für diskriminierte Juden, die es auch immer wieder gibt. Dass die jüdischen Kulturschaffenden zu dieser - meinungsstarken - Runde zusammen kamen, hat auch einen innerreligiösen Grund. Die jüdische Gemeinde zu Berlin hat nämlich die beliebten "Jüdischen Kulturtage" ausfallen lassen, die derzeit stattfinden sollten. Auslöser war ein Streit der Gemeindeleitung mit dem Intendanten des Festivals. Christian Römer, Kulturexperte der Böll-Stiftung, wollte sich - wie schon in den Vorjahren - an dem jüdischen Event beteiligen. Doch dann kam das Aus.
    "Ich habe es in der Zeitung gelesen - es kam für mich sehr überraschend, weil es - ich glaube - nur acht Wochen vor dem Ereignis selber war. Also tatsächlich eine sehr sehr überraschende Nachricht."
    Römer hatte den australischen Performance-Künstler David Solomon als Einlage eingeplant. Um ihn nicht wieder ausladen zu müssen, rief die Stiftung kurzerhand den eigenen "Jewish Culture Day ins Leben" - unabhängig von der jüdischen Gemeinde.
    "Warum sollten wir nicht noch zwei, drei, vier andere interessante Persönlichkeiten aus dem jüdischen Kulturleben einladen, um zumindest so eine Alternative anzubieten?"
    So wurden Berliner Literaten und Event-Veranstalter zu einer Diskussion gebeten - und der Australier zu einem unterhaltsamen Vortrag über die Botschaft der biblischen Propheten.
    Die meisten Fans fand jedoch der jüdischen Reggae- und HipHop-Musiker Matisyahu - Höhepunkt des "Jewish Culture Day". Allerdings stand auch das Konzert des US-amerikanischen Sängers im Schatten der Politik. Denn Matisyahu war kürzlich von einem spanischen Reggaefestival ausgeladen worden. Die Veranstalter hatten ihn – als einzigen Musiker - aufgefordert, eine propalästinensische Erklärung zu unterschreiben. Doch der Sänger sah keinen Grund dafür. Die Folge: ein internationaler Proteststurm - und eine Entschuldigung der Festivalleitung. Matisyahu durfte schließlich auftreten.
    "Aus meiner Sicht ist es schon schlimm genug, dass israelische Künstler, Wissenschaftler und NGO-Aktivisten für die Politik ihrer Regierung in Sippenhaft genommen werden."
    Empörte sich Ralph Fücks, Vorstandsmitglied der Böll-Stiftung.
    "Aber dass jetzt auch ein jüdisch-amerikanischer Musiker ins Visier der Boykottkampagne gegen Israel gerät, ist vollends eine Geschichte aus Absurdistan. Solidarität mit den Palästinensern ist kein Alibi für die Diskriminierung von Juden."
    Der Umgang mit Asylsuchenden in Deutschland, der Umgang mit Juden in aller Welt: Beim deutsch-jüdischen Austausch gestern in Berlin ging es immer wieder um Antisemitismus - und auch den Holocaust. Nicola Galliner, die Leiterin des Jüdischen Filmfestivals, sieht weiteren, intensiven Gesprächsbedarf zwischen Juden und Nichtjuden - für viele Jahre.
    "Es gibt erst mal keine normalen Beziehungen. Es kann es gar nicht geben. Weil das Verbrechen so immens war, dass es beiden Seiten auf Generationen beschäftigen wird."
    Die Worte der Kultur-Organisatorin blieben unwidersprochen. Trotz - und auch wegen der vielen pointierten Äußerungen: Der "Jewish Culture Day" war lebendig, abwechslungsreich und ein kleiner Ersatz für die ausgefallenen "Jüdischen Kulturtage".