Mittwoch, 24. April 2024


Berlin: Die Abschiebehaftanstalt Köpenick

Die Endstation Sehnsucht liegt in Berlin-Köpenick. Der Abschiebegewahrsam, wie es im Behördendeutsch heißt, ist in einem ehemaligen DDR-Frauengefängnis untergebracht. Ein schmutzig-weißer Gebäudekomplex mit vergitterten Fenstern, umgeben von Mauer und Stacheldrahtzaun.

Von Victoria Eglau | 06.05.2006
    In einem kleinen Plattenbau befindet sich die Verwaltung des Abschiebegefängnisses. Ein Polizeibeamter geht voran in den Besuchertrakt. Aus Neonröhren kommt kaltes Licht, auf einer Tür steht "Verwahrten-WC".

    Der Sicherheitsbeamte hat eine schwere Eisentür aufgeschlossen. Dahinter wartet ein Mann mit schwarzer Baseballkappe, schwarzem Anorak und Badeschlappen über den Socken. Er heißt Julius Jonathan Dennis, ist 40 Jahre alt und stammt aus dem westafrikanischen Land Liberia, sagt er. Er ist Abschiebehäftling - seit mehr als fünf Monaten.

    In dem kleinen Besuchsraum stehen zwei Stühle und ein Tisch, darauf eine rot-grüne Decke mit Weihnachtsmuster. Julius Dennis setzt sich, erzählt seine Geschichte:

    " Letztes Jahr im August bin ich nach Berlin gekommen. Ich habe in einer Kirche übernachtet, weil ich sonst keinen Ort zum Schlafen hatte. Am 7. Oktober habe ich einen Job gefunden, als Tellerwäscher in einem Restaurant. Ich hab dort nur eine Woche gearbeitet, dann gab es eine Polizeikontrolle. Sie haben nach meinen Papieren gefragt, ich hatte aber keine. Ich wurde dann ins Polizeipräsidium nach Tempelhof gebracht. "

    Von dort kam Julius Dennis in die Abschiebehaftanstalt. Hier ist er unter anderem Namen registriert - dem Namen, den er bei seiner Festnahme angegeben hatte. Einen falschen Namen habe er genannt, sagt Julius Dennis - aus Angst. Einen Pass besitze er gar nicht, erzählt der Abschiebehäftling weiter. Den habe er nicht gebraucht, als er vor dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland Liberia an die Elfenbeinküste geflohen sei.

    " Mein Bruder ist bei den Rebellen gewesen, und er wollte, dass auch ich mich ihnen anschließe. Ich habe Nein gesagt, und er wollte mich deshalb umbringen. Ich bin kein Soldat, ich kann nicht töten, ich bin Christ, ich glaube an Gott und ich will kein Blut vergießen. Deswegen habe ich gesagt, okay, es ist besser, wenn ich Liberia verlasse und an die Elfenbeinküste gehe. Dort habe ich ein wenig Geld verdient. Später bin ich dann nach Spanien gegangen. "

    Versteckt auf einem Schiff erreichte Julius Dennis die spanische Küste. Sechs Monate habe er in Spanien gelebt, wo, das wisse er nicht mehr. Dann sei er in einen Zug gestiegen und nach Berlin gefahren - kein großes Problem im Europa der offenen Schengen-Grenzen. Ein paar Wochen lernte er Deutschland in Freiheit kennen, doch die längste Zeit in diesem Land hat er hinter Gittern verbracht. Julius Dennis seufzt, als er vom Leben im Abschiebegefängnis berichtet:

    " Die Situation hier ist nicht gut. Das Leben hier ist nicht gut. Ich schlafe schlecht. Gesundheitlich geht es mir auch nicht gut. Wenn Du keinen Besuch bekommst, wenn keiner nach Dir schaut, ist das ein Problem. Wir sehen fern, manchmal wirst Du müde davon, dann schläfst Du. So verbringe ich meine Tage hier. "

    Mit dem Argument, aus dem Bürgerkriegsland Liberia zu stammen, hat Julius Dennis politisches Asyl beantragt - praktisch die einzige Möglichkeit, in Deutschland noch ein dauerhaftes Bleiberecht zu bekommen. Doch sein Antrag wurde abgelehnt. Dennis soll Deutschland verlassen, vor kurzem aber ist die Abschiebehaft bis zum 11. Mai verlängert worden. Denn die Ausländerbehörde weiß nicht, wohin sie Julius Dennis überhaupt abschieben kann. Seine Herkunft ist bis heute ungeklärt. Die liberianische Botschaft behauptet, er stamme nicht aus Liberia. Jetzt soll überprüft werden, ob der Abschiebehäftling vielleicht Nigerianer ist. Julius Dennis’ Anwältin findet, dass sich die Ausländerbehörde mit der Klärung der Nationalität viel zu viel Zeit lässt. Sie hat gegen die Haftverlängerung Beschwerde eingelegt. Julius Dennis selbst versichert immer wieder, er stamme wirklich aus Liberia.

    " Die Botschaft ist hier in Deutschland. Sie kann nicht alle Leute aus Liberia kennen. Wenn in Afrika ein Kind geboren wird, wird das nicht im Computer gespeichert. Das ist das Problem. Wenn meine Botschaft sagt, dass ich kein Liberianer bin, kann ich mit ihr nicht darüber diskutieren. Meine Geburtsurkunde war in meinem Haus in Liberia, aber als der Krieg ausbrach, geriet alles in Unordnung, alles ist verbrannt, ich konnte nichts mitnehmen. Wissen Sie, was Krieg bedeutet? "

    Vierzehn Jahre hat der grausame Bürgerkrieg in Liberia gedauert, wahrscheinlich bis zu 200-tausend Menschen fielen ihm zum Opfer. Im Herbst 2003 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet, im vergangenen Oktober fanden freie Wahlen statt. Doch das Land ist immer noch vom Krieg gezeichnet: Zehntausende von Menschen harren nach wie vor in Flüchtlingslagern aus, der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze und die Arbeitslosigkeit liegt bei über achtzig Prozent. Julius Dennis möchte nicht nach Liberia zurück.

    " Es ist nicht einfach, in Liberia zu überleben. Ich kann nicht einfach so zurück, verstehen Sie? Ich war noch nicht lange in Europa. Wenn ich länger hier gelebt hätte, hätte ich vielleicht wenigstens Kleidung zum Wechseln. Ich habe nur das, was ich anhabe. Seit Oktober sitze ich im Knast, ich konnte mir hier kein Leben aufbauen. Wenn ich nach Liberia käme, würde die Regierung mich nicht finanziell unterstützen. Ich muss arbeiten. Aber wo ist die Arbeit? "

    Julius Dennis hat die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch in Deutschland bleiben zu können. Er möchte die Sprache lernen, von der er schon ein paar Wörter beherrscht. Und er überlegt, was er hier tun könnte:

    " Ich versuche, nützlich für andere zu sein. Ich wäre sehr dankbar dafür, wenn sie mich freilassen und mir einen Platz zum Schlafen besorgen würden, nicht den Knast. Dann kann ich sagen, okay, ich kann jetzt darüber nachdenken, was ich tun kann, was ich erreichen kann. "