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Berlin
Flüchtlinge und Zugezogene konkurrieren auf dem Wohnungsmarkt

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt Gas. Täglich 2.300 Asylentscheidungen trifft das BAMF jetzt, das sind viermal so viele wie im letzten Jahr. Und so leben bereits jetzt in den Berliner Notunterkünften mindestens 2.000 Menschen, die dort theoretisch nichts mehr zu suchen haben – ihr Asylantrag ist entschieden. Doch alternative Unterbringungsmöglichkeiten gibt es viel zu wenige.

Von Claudia van Laak | 07.07.2016
    Kinderkleidung hängt am 07.07.2016 in Berlin vor einem Hangar der Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof an einem Bauzaun zum trocken in der Sonne.
    Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof (dpa / picture alliance / )
    Eine Notunterkunft für Flüchtlinge im Berliner Bezirk Neukölln. Kein Tageslicht, kaum Privatsphäre. In dem hastig umgebauten Kaufhaus leben seit letzten Dezember 600 Menschen. Bürgermeisterin Franziska Giffey ist vor Ort, erkundigt sich nach den Bewohnern.
    Die Bedingungen hier sind auf die Dauer kaum zumutbar, meint Neuköllns Bürgermeisterin nach dem Rundgang. Doch alternative Unterbringungsmöglichkeiten kann sie nicht anbieten.
    "Wann hört jemand auf, ein Flüchtling zu sein und hat welchen Anspruch? Es gibt ja viele, die diesen Status nicht mehr haben, aber auch noch keinen Zugang zu Wohnung und Arbeit. Die sind dann praktisch unsere Kunden in der Kommune, wir müssen uns eigentlich um sie kümmern.Eigentlich sind sie nicht mehr die Zielgruppe einer Notunterkunft, wenn alles durchgeprüft ist. Trotzdem sind sie noch hier."
    Berlin hat einen zweistufigen Verwaltungsaufbau. Solange Flüchtlinge im Asylverfahren sind, ist das Land zuständig, ist der Antrag entschieden, sind es die Bezirke. In Neukölln eben SPD-Bürgermeisterin Giffey:
    "Irgendwann sind sie keine Flüchtlinge mehr, sondern Obdachlose. Ganz normale Obdachlose, die über die soziale Wohnhilfe im Bezirk untergebracht werden müssen in Wohnraum. Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz, so heißt es ja, müssen wir diese Menschen unterbringen. Und das ist die große Problematik: Was kommt nach der Flüchtlingsunterkunft? Darauf müssen wir uns vorbereiten."
    Bereits jetzt leben in den Berliner Notunterkünften mindestens 2.000 Menschen, die dort theoretisch nichts mehr zu suchen haben – ihr Asylantrag ist entschieden. Und diese Zahl wächst täglich – denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge arbeitet schneller als früher.
    Wer allerdings länger als ein halbes Jahr in einer Notunterkunft leben muss, der tut sich schwer mit der Integration – so wie dieser syrische Flüchtling.
    "Deutschland betrachtet sich als hochentwickeltes Land, als Verteidiger der Menschenrechte. Doch wir sind hier ohne Perspektive, wir können nicht planen. Ich habe in Damaskus Jura studiert, aber hier fühle ich mich abgestellt. Ich soll warten. Worauf, warum, wieso? Keiner gibt mir eine Antwort."
    Flüchtlinge und Neu-Berliner konkurrieren auf dem Wohnungsmarkt – und der ächzt mittlerweile unter 50.000 Zuzüglern im Jahr. Es hat eine Zeit lang gedauert, bis der rot-schwarze Senat den Schalter umgelegt und ein kommunales Wohnungsbauprogramm gestartet hat. Jetzt, kurz vor der Wahl im September, wird ordentlich Gas gegeben. Es entstehen Container- und Plattenbauten für Flüchtlinge. Mit viel Getöse.
    Wenn Politiker in knallbunte Tröten blasen, dann ist Wahlkampf. In diesem Fall sind es zwei Staatssekretäre, die beide demonstrieren müssen, dass a) die Berliner Verwaltung grundsätzlich handlungsfähig und b) manchmal sogar schnell ist. Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup, SPD:
    "Dass wir jetzt schon im dritten Obergeschoss angekommen sind, das ist schon eine gute Leistung. Und ich finde, dass wir es in einem halben Jahr geschafft haben von der ersten Sitzung bis zum Bauen im dritten Geschoss, da sollten wir mal einen Applaus machen. "
    Hier im Bezirk Reinickendorf entsteht eine Unterkunft für 230 Asylbewerber – Typ moderner Plattenbau. Lütke-Daldrup lobt sich und seinen Senat.
    Auf den Bezirk Mitte entfallen rund ein Drittel der Flüchtlinge
    "Wir sind viel schneller geworden, wir bauen viel mehr als vor wenigen Jahren, wir geben den landeseigenen Gesellschaften viele Grundstücke kostenlos und insofern haben wir die Trendwende geschafft."
    "Nur zu sagen, wir haben das Problem bald gelöst und solange bleibt ihr alle in völlig inadäquaten Unterkünften wie Turnhallen, die ja für den Schulsport, den Vereinssport gebraucht werden. Das kann keine Lösung sein. Und das bringt nichts zu sagen, im Oktober sind die alle leer, da wette ich dagegen", kontert der grüne Sozialstadtrat des Bezirks Mitte, Stephan von Dassel. Sein Bezirk bekommt als allererstes zu spüren, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antragsberg schneller abarbeitet und viele Flüchtlinge mittlerweile anerkannte Asylbewerber sind - erfolgt doch die Zuteilung dieser Personen auf die zwölf Berliner Bezirke nach dem Geburtsmonat. Alle im Januar Geborenen landen auf dem Schreibtisch von Stephan von Dassel.
    "Das Problem ist nur, dass immer, wenn Sie nicht wissen, wann Sie geboren sind, Sie in der Bundesrepublik Deutschland den 1. Januar eingetragen bekommen. Und darüber hinaus ist in ganz vielen Ländern auch der Januar der übliche Geburtsmonat. In Syrien zum Bespiel, wenn man am 15. Januar eingeschult wird und noch kein Geburtsdatum hat, dann kriegt man eben den 15. Januar. Und das hat zur Folge, dass fast ein Drittel der anerkannten Flüchtlinge in ihrem Pass Januar stehen haben und dann in unserer Zuständigkeit sind."
    Die Verwaltung in der Hauptstadt kennt viele Skurrilitäten – dass allerdings der Geburtsmonat einer Person zur Verschärfung der Lage auf dem Wohnungsmarkt führt – das gelingt nur der Berliner Bürokratie.