Aus den Feuilletons

Katalonien - eine Bananenrepublik?

Der ehemalige katalanische Regierungschef Puigdemont bei einem Besuch im finnischen Parlament kurz vor seiner Festnahme in Deutschland.
Der ehemalige katalanische Regierungschef Puigdemont kurz vor seiner Festnahme. © picture alliance /dpa /Lehtikuva /Antti Aimo-Koivisto
Von Burkhard Müller-Ullrich · 25.03.2018
Nicht viele trauen sich, gegen Kataloniens Separatistenführer Puigdemont Stellung zu beziehen - eine Ausnahme macht die FAZ.
Die Schocknachricht von der Verhaftung des katalanischen Separatisten und ehemaligen Regionalpräsidenten Puigdemont in Deutschland wird zwar allerlei politische Nervosität verursachen, aber vor allem die herrschende Ratlosigkeit verstärken. Da tritt der Schriftsteller, Übersetzer, Europa-Kulturkorrespondent der FAZ und vor allem Spanienkenner Paul Ingendaay mutig hervor und schlägt sich ganz auf die Seite von Puigdemonts Verfolgern. Er hat nämlich den 258 Seiten starken Bericht der Guardia Civil über die Vorgänge gelesen, die, wie er schreibt, "der Region Katalonien vor sieben Monaten den Anstrich einer Bananenrepublik gegeben haben."

Eine ganze Nation in Geiselhaft

Und in diesem Bericht, der mehr als zwei Jahre zurückgeht, werden zahlreiche katalanische Politiker, mit Puigdemont natürlich angefangen, schwer belastet. Unter anderem geht es um die Veruntreuung öffentlicher Gelder. Wie objektiv dieser Polizeibericht ist, wie schwerwiegend die behaupteten Verfehlungen im Einzelnen sind, teilt Ingendaay leider nicht mit. Statt dessen kritisiert er die Sympathie, die zahlreiche europäische Medien den Separatisten entgegenbringen, Separatisten, die – so wörtlich – "eine ganze Region in Geiselhaft nehmen, das eigene Parlament faktisch außer Kraft setzen und, gestützt auf den vielbeschworenen "Volkswillen", einen Staatsstreich in Zeitlupe durchführen."
Soviel Entschiedenheit wie bei Paul Ingendaay in der FAZ findet man wahrhaftig selten in dieser Angelegenheit bei auswärtigen Betrachtern, was wohl auch daran liegt, dass die Katalanen hälftig gespalten sind. Das Verwerfliche und das Akzeptable bilden hier also eine problematische und zugleich faszinierende Schnittmenge, und genau das ist die Erkenntnis, die Thomas Steinfeld beim Besuch einer – wie er schreibt – "riesenhaften Schau" in der Fondazione Prada im Süden von Mailand gewann.
Die Schau zeigt die Kunst des italienischen Faschismus, aber nicht so, wie wir das gewohnt sind, nämlich geschieden in Gut und Böse. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärt Steinfeld:
"In Italien wurde nie eine Grenze zwischen "entarteter" und nationaler oder völkischer Kunst gezogen."
Dies nicht zuletzt deshalb, weil – wie es ein paar Zeilen weiter heißt, "viele dieser Künstler eher wechselhafte politische Lebensläufe entwickelten, in oft elastischen Beziehungen zum Faschismus."

Mussolinis Respekt vor der Kunst

Das lag auch daran, daß Mussolini selbst hohen Respekt vor der Kunst hegte und keineswegs nur einen regressiven Stil mochte und förderte, sondern auch viel und sehr Modernes. Politischer Faschismus und ästhetischer Futurismus atmeten denselben Aufbruchsgeist, weswegen Kunstausstellungen sogar an Bedeutung gewannen. Daraus zieht Steinfeld folgende interessante Schlußfolgerung:
"Kunstausstellungen gelten bis auf den heutigen Tag als etwas Gutes und Begrüßenswertes. Die Mailänder Schau aber liefert Grundlagen zu ihrer Kritik, indem sie eine besondere Konjunktur des Ausstellungswesens an eine bestimmte Form von Staat und Gesellschaft bindet."
Von der politischen Bedeutung beziehungsweise Indienstnahme der Kunst handelt auch ein Artikel in der WELT. Wolf Lepenies erinnert an den vor 100 Jahren gestorbenen Claude Debussy, der Teil eines großen Kulturkampfes zwischen Deutschland und Frankreich war. Auf seinem Grabstein steht "Musicien français", genauso unterschrieb er auch seine letzten Partituren.

Debussy war Teil eines deutsch-französischen Kulturkampfes

"Zu Debussys Kriegskompositionen gehört die Suite für zwei Klaviere mit dem Titel "En Blanc et Noir", erinnert Lepenies. "Weiß und schwarz stehen für Frankreich und Deutschland."
Im vorigen Krieg, dem deutsch-französischen von 1870/71 hatte sich die Société Nationale de Musique unter dem Motto "Ars Gallica" explizit in Opposition zu deutscher Musik gegründet – und die trug vor allem einen Namen: Richard Wagner. Auch Debussy war ihm eine zeitlang verfallen, aber sein "Pelléas et Mélisande" von 1902 wurde von keinem Geringeren als dem Großschriftsteller Romain Rolland zur "Unabhängigkeitserklärung der französischen Musik" stilisiert.
Die Kunst mag in der Weltgeschichte nur ein Nebenkriegsschauplatz sein, bloß dass dort die Kämpfe oft schon früher losgehen.
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