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Salzburger Festspiele: "Zauberflöte"
Horror unter der Zirkuskuppel

Mozarts "Zauberflöte" spielt in der neuen Salzburger Aufführung auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Die "Königin der Nacht" sitzt im Schützenpanzer. US-Regisseurin Lydia Steier erinnert damit an 1918.

Von Christoph Schmitz | 28.07.2018
    Adam Plachetka (Papageno), Christiane Karg (Pamina) in der Inszenierung der "Zauberflöte" von Lydia Steier bei den Salzburger Festspielen.
    Adam Plachetka (Papageno), Christiane Karg (Pamina) in der Inszenierung der "Zauberflöte" von Lydia Steier bei den Salzburger Festspielen 2018. (Salzburger Festspiele/Ruth Walz)
    Feurig, rasant, pointiert, unruhig und nervös starten die Wiener Philharmoniker ins turbulente Geschehen der "Zauberflöte". Ohne Schmuck und Schmelz und bestens informiert in historischer Aufführungspraxis lassen sie sich zu Beginn von Constantinos Carydis am Pult durch die Ouvertüre peitschen, vital, überdreht – und passend zur unterschwelligen Anspannung und Gereiztheit, die wir auf der Bühne wittern. Denn dort sehen wir im Querschnitt das Interieur einer großbürgerlichen Villa Anfang 1900, vielleicht sogar am Vorabend des Ersten Weltkriegs, mit Küche und Magd im Souterain, Kinderzimmerglück, edles Treppenhaus und Speisesalon, dazu viel Dienerschaft und die Familie an großer Tafel: Die drei Söhne werden streng gemaßregelt, die Mutter ist hysterisch, der Vater springt nach einem Blick in die Zeitung auf und stürzt davon – draußen in der Welt ist was passiert. Und nun kommt der besondere Einfall der amerikanischen Regisseurin Lydia Steier: Der Großvater, jovial gespielt von Klaus Maria Brandauer, will die drei Enkeljungs beruhigen und liest ihnen in deren Zimmer das Märchen von der "Zauberflöte" vor.
    Böse Clowns im Bürgerhaus
    Und was die Knaben dort hören, explodiert in ihrer Imagination und für uns Zuschauer sichtbar auf der Bühne zu einem phantastischen Budenzauber, zu einer ebenso surrealen wie bizarren Phantasmagorie im Gewand einer Zirkuswelt. Der Flammenwurf eines Ungeheuers züngelt durchs Kinderzimmerfenster, Tamino in k.u.k-Uniform purzelt herein, die Gouvernanten der Bürgervilla verwandeln sich in die drei Botschafterinnen der Königin der Nacht, der Koch in den Vogelhändler Papageno, und die drei Bürgersöhnchen, denen der Opa vorliest, lassen sich vom Sog ihrer Träume mitreisen und werden zu den "Drei Knaben" der Oper. Sie führen Prinz Tamino und Co. durch ihre Abenteuer – drei Wiener Sängerknaben mit himmlisch schönen Stimmen und schauspielerischem Naturtalent.
    Das Bürgerhaus zerbricht mehr und mehr. Artisten, Jongleure, Stelzenriesen, Zwerge, schräge Typen, bizarre Figuren und zunehmend Horrorclowns bevölkern die Bühne vor den gigantischen Eisengerüsten der Illusionsmaschinerie. Verspielt, zauberhaft, spektakulär und schrill sieht das alles aus, quirlig wie ein lebendiges Wimmelbild, dazu genauestens choreographiert hinsichtlich Personenregie. Und Christiane Karg als Pamina und Mauro Peter als Tamino samt Kollegen lassen darin aufs schönste ihre Kehlen zwitschern, so auch die perfekt trillerende Albina Shagimuratova als Königin der Nacht in weißem Ornat und mit weißen Hörnern auf dem Kopf.
    Distanziert und kühl
    In den wuchernden Albtraum hinein läßt Regisseurin Lydia Steier mit Projektionen historischen Schwarzweiß-Filmmaterials die Schlachten des Ersten Weltkriegs einsickern, die Nachkriegsunruhen und die aufkeimenden Totalitarismen. Am Ende herrscht Sarastro als blutrünstiger Diktator, Stalin und Hitler lassen grüßen. Das ist klug gedacht, reizvoll fabuliert, opulent erzählt, unterhaltsam mitunter, manchmal allerdings etwas kalauernd und oft zu kulinarisch-fett und überinszeniert. Es entsteht eine seltsame Distanz und Kühle. Als spule da nur das Räderwerk einer Spieluhr ab: Jahrmarktshorror, Gruselkino inklusive Popcorn und Zuckerwatte. Die eingebauten Vorlesepassagen des Großvaters hemmen zudem die an sich schon disparate Geschichte der "Zauberflöte". Auch das Dirigat von Constantinos Carydis trägt dazu bei, daß der Spannungsbogen immer wieder einbricht. Die Tempoverhältnisse zwischen den verschiedenen Nummern wirken recht unausgewogen. Die Proportionen scheinen nicht zu stimmen. Hinzu kommt ein enttäuschender Matthias Goerne als Sarastro. Sein Baß ist so leise, daß er manchmal nicht mehr zu hören ist. Aber wie sollte es anders sein, wenn man einem Baritonsänger, wie Goerne einer ist, eine Baßpartie überstülpt, die hier und da so tief ist, daß selbst ausgesprochene Baßsänger ihre Probleme damit haben. Eine krasse Fehlbesetzung. So fühlt man sich bei allem Reichtum dieser Neuinszenierung nicht wirklich beschenkt. Schade.