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Berlin
Kopftuch-Streit an Grundschule

Darf eine Schule ihren muslimischen Schülerinnen das Tragen von Kopftüchern verbieten? An einer Schule in Berlin war man offenbar dieser Meinung. Doch die Eltern des betroffenen Kindes wehrten sich. Ihr Argument: Religionsausübung ist ein Verfassungsrecht und gilt auch an Schulen.

Von Kemal Hür | 05.02.2015
    Eine Schülerin mit Kopftuch meldet sich im Unterricht
    In Berlin ist über das Tragen von Kopftüchern an Schulen ein Streit ausgebrochen (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Es war in den letzten Sommerferien, erzählt der 42-jährige syrische Vater mit kurzen Haaren und ebenso kurzem Vollbart, da habe seine neunjährige Tochter gesagt, sie wolle ab jetzt ein Kopftuch tragen. Seinen Namen will der Vater im Radio nicht genannt haben, auch nicht den seiner Tochter oder der Schule, auf die sie geht. Er versucht, seine Tochter von der Idee abzubringen. Sie sei noch zu jung und müsse kein Kopftuch tragen. Aber die Tochter besteht darauf und geht am ersten Schultag mit verdeckten Haaren in die Schule.
    "Erster Tag in der Schule war Montag, und sie hatte Sport. Und das Kind kommt zu mir und sagt: Papa, die Sportlehrerin sagte, ich darf keinen Sport machen. Und wenn ich das Kopftuch nicht abmache, dann kriege ich eine Sechs."
    Der Vater macht sich Sorgen und weiß zunächst nicht, was er tun soll. Die Schulleiterin lädt ihn zum Gespräch in die Schule und, so erzählt er es, sie verweist ihn auf ein generelles Verbot von Kopfbedeckungen. Der Vater fragt nach der Vorschrift oder dem Gesetz für dieses Verbot. Aber er bekommt als Antwort: Die Schulkonferenz werde einberufen und darüber diskutieren. Doch eine Woche nach diesem Gespräch sollen Lehrerinnen die Schülerin gezwungen haben, ihr Kopftuch abzulegen.
    "Mein Kind meint zu mir, sie soll unbedingt: 'Wir haben mit deinem Vater gesprochen. Dein Vater ist einverstanden' und und und. Und dann hat sie es weggenommen. Aber sie wollte nicht."
    Verein Inssan bietet Unterstützung
    Hilfe bekommt er in dem muslimischen Verein Inssan. Dessen Projekt "Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit" bietet Beratung und Schutz bei Problemen, wie er und seine Tochter sie haben. Zum nächsten Termin mit der Schulleiterin begleiten ihn eine Juristin vom Antidiskriminierungswerk des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, TBB, und Aliye Yeganeh, die Projektleiterin des Netzwerkes von Inssan:
    "Wir haben die Schulleiterin auch darüber informiert, wie die Rechtslage ist und dass das Mädchen das Recht hat, ein Kopftuch zu tragen. Sie hat im Gespräch die Dinge so formuliert, über ein allgemeines Kopfbedeckungsverbot sozusagen die Strategie durchzuführen, dass auch religiöse Kopfbedeckungen dadurch verboten werden."
    Freie Religionsausübung gelte auch an Schulen
    Das wäre aber rechtswidrig, lässt die zuständige Bezirksschulrätin die Schulleiterin wissen. Die freie Religionsausübung sei ein Verfassungsrecht und gelte auch in Schulen. Eine klare Rüge. Die neunjährige Tochter trägt nun das Kopftuch - und sie habe keine Schwierigkeiten mehr in der Schule, sagt der Vater. Aber damit geben sich die Vereine Inssan und TBB nicht zufrieden. Denn das sei kein Einzelfall, sagt Aliye Yeganeh.
    "Wenn man in Moscheen geht, wenn man mit Jugendlichen spricht, dann werden ganz viele Fälle berichtet. Aber sie melden die Fälle nicht, das heißt, die sind für uns nicht so zu verwerten, dass wir sie wirklich in unsere Statistik aufnehmen können, weil große Ängste bestehen, Nachteile zu erleiden."
    In einem Schreiben forderte deswegen das Antidiskriminierungsnetzwerk des TBB die Berliner Bildungssenatorin auf, alle Schulen über die bestehende Rechtslage zu informieren. Die Senatorin lässt auf unsere Anfrage dazu schriftlich mitteilen: Die Rechtslage sei eindeutig und lasse keinen Interpretationsspielraum. Dennoch werde das Thema im Rahmen der kommenden Schulleitersitzungen auf Arbeitsebene angesprochen, um gegebenenfalls doch noch vorliegende Informationsdefizite aus der Welt zu schaffen.