Donnerstag, 18. April 2024

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Berlin-Umzug "ist unumkehrbar"

Vor 20 Jahren beschloss der Bundestag, dass Berlin Hauptstadt werden soll. Der ehemalige Bonner Wirt und jetzige Betreiber der Kneipe "Ständige Vertretung" in Berlin, Friedel Drautzburg, war damals ein vehementer Gegner des Umzugs. Heute sagt er: "Ich kenne niemanden, der das zurückdrehen will".

Friedel Drautzburg im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.06.2011
    Tobias Armbrüster: Heute vor genau 20 Jahren haben die Abgeordneten im Bundestag - damals noch in Bonn - eine historische Entscheidung gefällt. Berlin sollte künftig Bundeshauptstadt werden und Bonn ablösen. Das klingt heute wie eine Selbstverständlichkeit, war damals aber hoch umstritten. Es gab 1991 mehrere Initiativen, die Lobbyarbeit für Bonn gemacht haben und die sicherstellen wollten, dass die Hauptstadt auf jeden Fall am Rhein bleibt. Einer der bekanntesten Vertreter war der Bonner Kneipenwirt Friedel Drautzburg mit seiner Kampagne "Ja zu Bonn". Er ist dann sechs Jahre nach dem Umzugsbeschluss doch noch nach Berlin gezogen und betreibt dort heute wieder ein Lokal, die sogenannte Ständige Vertretung. Schönen guten Morgen, Herr Drautzburg.

    Friedel Drautzburg: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Drautzburg, trauern Sie der Hauptstadt Bonn heute noch manchmal nach?

    Drautzburg: Das ist zwangsläufig so, wenn man in Bonn sozialisiert wurde, dort 40 Jahre oder annähernd 40 Jahre gelebt hat und seinerzeit für das Verbleiben von Parlament, Regierung und, na ja, Bundeshauptstadt gearbeitet und gekämpft hat und knapp verloren hat.

    Armbrüster: Aber dass Berlin inzwischen die Hauptstadt ist, das haben Sie akzeptiert?

    Drautzburg: Selbstverständlich! Das ist unumkehrbar und ich denke, das geht auch jedem so, der seinerzeit anders votiert hat und sich anders entschieden hat seinerzeit. Ich kenne niemanden, der das zurückdrehen will und der das umkehren möchte.

    Armbrüster: War es dann damals Unsinn, so leidenschaftlich für Bonn zu kämpfen?

    Drautzburg: Nein, natürlich nicht! Man muss doch immer wieder mal für die nachwachsende Generation, die darüber sehr erstaunt ist, klarmachen, dass Bonn nur neun Stimmen gefehlt haben. Und ich sage noch dazu, dass 34 Abgeordnete der PDS, die damals noch Nachfolgepartei der SED hieß, 34 Stimmen für Berlin abgegeben haben, was ja auch psychologisch klar ist. Wer 40 Jahre gelernt hat, dass Bonn der Inbegriff des Bösen ist, des Militarismus, des Opportunismus, des Kapitalismus und all dieser Ismen, der kann doch nicht auf einmal für Bonn, dem Zentrum des Gegners, stimmen, und insofern ist diese Abstimmung äußerst knapp gewesen. Das muss man immer wieder betonen.
    Nun ist es aber so, und ich würde niemals sagen, dass es unsinnig war, so damals gekämpft zu haben. Dann wäre ja die Hälfte der deutschen Abgeordneten, annähernd die Hälfte der deutschen Abgeordneten im damaligen Bundestag einer unsinnigen Entscheidung aufgesessen.

    Armbrüster: Aber man hört das schon aus Ihren Worten: Sie waren einer der glühendsten Bonn-Verfechter damals vor 20 Jahren. Was ist Ihnen nach dieser oder bei dieser Debatte durch den Kopf gegangen, als Rita Süssmuth dann im Bundestag die Mehrheit für Berlin verkündet hat?

    Drautzburg: Zunächst mal war das eine herbe Enttäuschung, das kann man sich vorstellen. Trauer, Unverständnis und Niedergeschlagenheit sind die persönlich psychologischen Momentreaktionen gewesen. Aber politisch war erstens festzustellen, es war eine sehr ernsthafte Debatte auf außerordentlich hohem Niveau, das muss man sowohl den einen wie den anderen attestieren. Aber ich habe damals schon gesagt und bestehe heute noch darauf, das sagen zu müssen: Es war auch eine Stellvertreterdebatte über die gesamte Problematik Wiedervereinigung.

    Armbrüster: Wie meinen Sie das?

    Drautzburg: Eine solche Debatte hatte ja nie stattgefunden. Es gab keine Verfassungsdebatte, es gab keine Grundsatzdebatte über Wiedervereinigung, die frühere DDR hatte überhaupt nicht ein einziges Mal Gelegenheit, zu Wort zu kommen, und die Hauptstadtdebatte zwei Jahre nach der Maueröffnung war eigentlich eine Stellvertreterdebatte, wenn man die nachliest, die einzelnen Beiträge, über die Wiedervereinigung, und dafür war eben die Auseinandersetzung Bonn-Berlin. Das kann man bedauern, das kann man befürworten, jedenfalls ist es eine historisch-politische Feststellung. Kurz und gut, aber es ist Müll der Geschichte, wie ich gelegentlich sarkastisch sage. Die Würfel sind gefallen und entscheidend ist, dass damals aber der Begriff faire Arbeitsteilung und Aufteilung der Ministerien beschlossen wurde, woran immer wieder einseitig aus Berliner Sicht versucht wird, insbesondere im Sommer, zu rütteln.

    Armbrüster: Wie sind Sie damals nach diesem Entschluss des Umzugs dann zu Ihrem Entschluss gekommen, ebenfalls nach Berlin zu ziehen?

    Drautzburg: Also da darf ich mal klarstellen, dass das sieben Jahre nach dem Entschluss war. Wir sind ganz Ende 1997 hier hingekommen. 1991 war der Beschluss.

    Armbrüster: Das heißt, da war eine ziemliche Trauerzeit dazwischen?

    Drautzburg: Dazwischen war eine lange Trauerzeit und der Rheinländer verdrängt ja gerne. Dann hat man sich vielleicht damit getröstet, dass die Sand ins Getriebe bekommen, dass die Hochwasser kriegen wie der Schürmannbau, oder dass das Geld ausgeht. Jedenfalls irgendwann haben wir auch begriffen, dass sie betonieren und tatsächlich Ernst machen und der Umzug Realität wird. Und aus dem Kreis meiner journalistischen Freunde, namentlich der Gelben Karte, kamen immer wieder dann die Fragen, was machen wir eigentlich ohne euch, und einer hat dann mal einfach spaßeshalber mit ein paar Kölsch im Kopf gesagt, komm doch nach Berlin und mach' 'ne Kölschkneipe und mein Partner, Harald Grunert, und ich haben darüber nur gelacht, und irgendwann wurde es aber ernst mit diesen Überlegungen und dann haben wir uns gesagt, wo 30.000, 40.000, 50.000, 60.000 Rheinländer hinziehen, hinziehen müssen, ja da muss doch eigentlich ein tolles Kölschlokal florieren. Und so hat es sich ergeben.

    Armbrüster: Herr Drautzburg, was ist denn heute, 20 Jahre später, Ihr Eindruck von Ihren jüngeren Gästen? Können die noch etwas mit Bonn anfangen?

    Drautzburg: Für die ist das, was für uns in meinem Alter die Weimarer Republik war, allerdings ohne den Mehltau, denn Bonn ist ja nach wie vor eine ganz wichtige politische Stadt, sie wird es auch bleiben, sie ist UNO-Stadt und verdankt sehr viel der früheren Bürgermeisterin Bärbel Dieckmann, das betone ich ausdrücklich, die sehr viel geleistet hat, dass Bonn das geworden ist, was es ist. Es hat zwei DAX-Unternehmen, es blüht. Die junge Generation betrachtet das als einen lebendigen Beitrag zur Geschichte dieses unseres Landes, beider Teile, der DDR und der Bundesrepublik, und das stellen wir dar im Ambiente der Ständigen Vertretung, und das führt dazu, dass wir drei Generationen in einem Lokal haben und die Älteren mit den Jüngeren über die ausgestellten Bilder der sogenannten, heute sogenannten Bonner Republik diskutieren und sich gegenseitig unterhalten, und das ist sehr lebendige Politik am, sagen wir ruhig, Stammtisch.

    Armbrüster: Heute vor 20 Jahren hat der Bundestag entschieden, die deutsche Hauptstadt zieht um von Bonn nach Berlin. Wir sprachen darüber mit Friedel Drautzburg, dem Chef und Gründer der Berliner Kneipe Ständige Vertretung. Besten Dank, Herr Drautzburg, für das Gespräch.

    Drautzburg: Vielen Dank! Schönen Tag an alle.