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Wahlkampf
Debatte über sexuelle Übergriffe in der russischen Politik

In Russland herrscht in diesen Tagen eine Art Wahlkampf. Tiefgründige Debatten über die Zukunft des Landes werden zwar nicht geführt, trotzdem ist Dank unabhängiger Medien eine kleine Debatte über sexuelle Übergriffe auf Frauen entstanden. Täter soll ausgerechnet ein bekannter Politiker sein.

Von Thielko Grieß | 12.03.2018
    Eine junge Frau hält ein Smartphone mit dem Hashtag "#MeToo" in der Hand
    Belästigungen und Übergriffe auf Frauen werden in russischen Medien selten berichtet oder diskutiert. Der Hashtag #metoo wird kaum genutzt. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Leonid Sluzkij teilt gern aus. Seine Kommentare in sozialen Netzwerken sind immer scharf. Nun aber steht er selbst im Fokus scharfer Vorwürfe: Daria Schuk, Mitarbeiterin des unabhängigen Senders Doschd, wendet sich direkt an ihn:
    "Im Herbst 2014 haben Sie mich nach Einladung in eine Sendung geduzt, schlüpfrige Witze gemacht und geantwortet, Sie kämen nur, wenn ich mit Ihnen in ein Restaurant ginge. Ich habe darauf nicht reagiert, und Sie, das muss man Ihnen lassen, sind trotzdem in die Sendung gekommen. Als Sie das Studio betreten haben, haben Sie versucht, mich gewaltsam zu küssen und zu berühren. Sie haben sich grob und aufdringlich benommen. Es war mir unangenehm, und ich hatte Angst."
    Schwieriges gesellschaftliches Klima
    Neben Daria Schuk haben sich zwei weitere Journalistinnen zu Wort gemeldet: Jekaterina Kotrikadse, stellvertretende Chefredakteurin des nichtstaatlichen Senders RTVi und Farida Rustamowa, Journalistin des russischsprachigen Programms der BBC in Moskau. Alle drei leisten Parlamentsberichterstattung. Für Rustamowa spricht im Sender Doschd eine Kollegin.
    "Er hat sie 'Häschen' genannt und ihr vorgeschlagen, bei ihm vorbeizuschauen, weil er nach ihr Sehnsucht habe. Und während er das sagte, hat er ihren Venushügel berührt und ist dann zurückgewichen. Auf die Proteste der jungen Frau hat Sluzkij geantwortet, er habe auf diese Weise sein Interesse an ihr bekundet."
    Die Vorfälle liegen unterschiedlich lange zurück, im Fall Rustamowas etwa ein Jahr.
    "Sie sagt, sie habe Angst gehabt, öffentlich darüber zu sprechen, weil in Russland die Kultur verbreitet ist, dem Opfer die Schuld zu geben. Sie hat jetzt entschieden zu sprechen, weil sich schon andere junge Frauen über die Belästigung von Sluzkij geäußert hatten."
    "Dann muss man halt den Job wechseln"
    Die bei der BBC arbeitende Journalistin Rustamowa verfügt den Angaben zufolge über eine Tonaufnahme des Übergriffs, die bislang nicht öffentlich geworden ist. Der Abgeordnete Leonid Sluzkij stritt die Vorwürfe zunächst ab und sprach von Diskreditierung: "Ich kann nur sagen, dass sowas nie passiert ist und Frauen sich nie über irgendwelche inkorrekte Handlungen meinerseits beschwert haben und nie beschweren werden, denke ich. Was solche Beschuldigungen angeht: Je mehr wir arbeiten, desto mehr solcher Sachen können auftauchen."
    Vor wenigen Tagen schrieb er dann auf Facebook, er entschuldige sich bei denen, denen er bewusst oder unbewusst derlei Erlebnisse beschert habe. "Glauben Sie mir, es geschah nicht in böser Absicht."
    Belästigungen und Übergriffe auf Frauen werden in russischen Medien selten berichtet oder diskutiert. Der Hashtag #metoo wird kaum genutzt. Im Gesetz ist sexuelle Nötigung schwammig definiert. Aktuelle Statistiken gibt es nicht. Diesem gesellschaftlichen Klima haben sich die drei Journalistinnen entgegen gestellt. Ihre Medienhäuser unterstützen sie; aber es gibt auch reichlich Ablehnung: Der Vorsitzende der Journalistenvereinigung in Moskau beklagte nicht die Übergriffe, sondern, die Journalistinnen hätten sich früher äußern sollen. Die Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Familie, Frauen und Kinder, Tamara Pletnjowa, unterstützte Leonid Sluzkij im Gespräch mit dem Sender Echo Moskwy:
    "Vielleicht hat er sich einen Scherz erlaubt, aber ich glaube einfach nicht, dass er eine Frau beleidigt hat. Außerdem finde ich: Junge Journalistinnen sollten sich anständiger anziehen - das Parlament ist doch eine staatliche Einrichtung - und dort nicht mit nacktem Bauchnabel herumlaufen."
    Der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin prüft die Beschwerden. Er riet einer Journalistin, die sich nach dem Stand der Dinge erkundigte, sinngemäß: Wem die journalistische Arbeit in der Duma zu gefährlich sei, müsse den Job wechseln.