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Berlinale-Chef Dieter Kosslick in der Kritik

Die Filmkritik sorgt sich um die Berlinale. Im schärfer gewordenen Verdrängungswettbewerb der Filmfestivals sei die Berlinale qualitativ eine gefährdete Marke. Der deutsche Filmkritikerverband übte auch Kritik an Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, der nicht am Symposium teilnahm.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 14.10.2011
    "Das "mea culpa" der Filmkritik war immer in dem Entwurf drin, die Kritik an der Berlinale war immer in dem Entwurf drin und ich kann nur sagen, der Vorstand war relativ erstaunt, um nicht zu sagen schockiert, dass die Berlinale diese Einladung so negativ, so einseitig negativ interpretiert hat."

    Hanns Georg Rodek, Vorstandssprecher des Verbandes der deutschen Filmkritik und Filmredakteur der Tageszeitung "Die Welt". Berlinale Chef Dieter Kosslick hatte vor wenigen Tagen seine Teilnahme abgesagt: Die schriftliche Einladung des Verbandes lese sich "wie eine Einladung zum Tribunal". So fand die Veranstaltung im Berliner Filmmuseum ohne offizielle Vertreter der Berlinale statt. Filmkritiker Rüdiger Suchsland untersuchte in seinem einführenden Vortrag das Verhältnis des deutschen Feuilletons zur Berlinale:

    "Fazit von all dem, was die Kollegen schreiben und ich unterschreiben kann: Die Berlinale ist im schärfer gewordenen Verdrängungswettbewerb der Filmfestivals qualitativ eine gefährdete Marke und das ist längst keine Einzelmeinung mehr oder auch kein Kritikervorurteil. Während sie in die dubiose Breite von kulinarischem Kino und Berlinale Special für fett geförderte Fernsehfilme expandiert, während die Nebenreihen oft immer die besseren Filme enthalten, zeigt ausgerechnet der Wettbewerb als Aushängeschild die künstlerisch entbehrlichsten Filme."

    In den drei Podiumsdiskussionen, mit Filmkritikern, Regisseuren, Produzenten und Programmgestalter anderer Festivals, ging es um die Erwartungen an die Berlinale aus journalistischer Sicht, um die Erwartungen der Filmbrache und um Zukunftsperspektiven. Es wurde diskutiert, ob die Programmfülle großer Festivals die Arbeit kleiner Programmkinos eher gefährde oder fördere, und es ging auch um das Profil der Berlinale. Kritisiert wurde dabei immer wieder eine harmonische Beliebigkeit, die sich besonders in der mangelnden Trennschärfe zwischen den zentralen Sektionen des Festivals, dem Wettbewerb, dem Forum und dem Panorama, zeige. So vermisst Filmregisseur Christoph Hochhäusler eine cineastische Streitkultur:

    "Grundsätzlich finde ich natürlich Profil gut und möchte, dass ein Kurator und eine Gruppe von Kuratoren eine Idee von Kino verficht, gegen eine andere Idee. Da kann man dann anderer Meinung sein. Die Umarmungsstrategie, wir zeigen alles und es gibt für alles Reihen und du kommst auch noch ins Boot, ist für mich eine Schwäche."

    Bei aller Kritik war das Symposium aber kein Femegericht in Abwesenheit des Angeklagten. Immer wieder hoben Diskussionsbeiträge die positiven Effekte der Popularisierung der Berlinale unter Dieter Kosslick in den letzten Jahren hervor, die Verbreiterung des Angebots und die steigenden Zuschauerzahlen. In Zeiten einer verschärften Konkurrenz unter internationalen Festivals bringe es wenig, andere große Festivals zu imitieren, sagte der deutsche Produzent Roman Paul:

    "Der hat nicht versucht ein zweites Cannes aufzubauen, sondern er hat das Festival als ein sehr freundliches Event gestaltet, zu dem Leute sehr gerne kommen, sich Filme angucken und Filme kaufen. Das ist ein unglaublich wichtiger Markt geworden."

    Angesichts einer sich schnell und radikal verändernden Medienlandschaft blieben die Zukunftsvisionen für eine, so der Titel des dritten Panels, "Berlinale 2020" erstaunlich mager. Eine konkrete Zukunftsvision zog sich allerdings von Anfang an durch die Diskussionsbeiträge: die sogenannte Doppelspitze. Dem populären Aushängeschild der Berlinale Dieter Kosslick solle ein künstlerischer Leiter als Kodirektor an die Seite gestellt werden. Cristina Nord, Filmredakteurin der Tageszeitung "taz", plädierte auf dem Podium für mehr Leidenschaft für Film im überschäumenden Berlinale Trubel:

    "Ich fände einen künstlerischen Leiter oder eine künstlerische Leiterin großartig, die oder der genau diese Leidenschaft, von der ich eben sprach, mitbringt und der die auch vertreten kann auch gegenüber der Kulturpolitik vertreten kann, weil ich oft auch den Eindruck habe, dass man hier nicht so richtig eine Vorstellung davon hat, was Film eigentlich alles sein kann und was das Tolle an Film ist und das, was sozusagen der Kunstcharakter des Films ist."