Samstag, 20. April 2024

Archiv

Berlinale
Grellbunt, kriegerisch und erotisch

Ein richtiges Feuerwerk an Beiträgen schoss die Berlinale bislang ab - musikalisch betrachtet der Kopfsatz einer Symphonie. Bunt und auch erotisch ging es bis zum Wochenende zu.

Von Christoph Schmitz | 12.02.2014
    Berlinale-Plakate des 64. Internationalen Filmfestivals
    Berlinale-Plakate des 64. Internationalen Filmfestivals (dpa / picture alliance / Ole Spata)
    Im Wettbewerb zeigen Filmfestivals, wenn’s gelingt, nicht nur wahllos hintereinander die besten Filme, die ihnen ins Netz gegangen sind. Sondern sie ordnen die Beiträge unter dramaturgischen Gesichtspunkten, thematisch, ästhetisch. Auch die Berlinale hat in diesem Jahr wieder so etwas versucht. Bis einschließlich Wochenende schoss sie mit grellbunten, kriegerischen und erotischen Beiträgen ein richtiges Feuerwerk ab - musikalisch betrachtet der Kopfsatz einer Symphonie. Am Montag folgte das Scherzo, der Spaß, das Vergnügen. Ein wundervoll heiteres Stück lieferte dazu der französische Altmeister Alain Resnais.
    "Life of Riley"
    Resnais "Life of Riley" ist die Filmversion einer britischen Theaterkomödie über drei Ehepaare im Seniorenalter. Deren bester Freund, der alte Verführer und ewige Junggeselle George Riley, hat nur noch wenige Wochen zu leben, weswegen sich die verheirateten Damen aufopfernd um ihn kümmern. Obwohl George selbst nie auftritt, wirbelt der Abschied seine einstigen Affären mit den drei Frauen ans Tageslicht. Seine Leichtigkeit erhält der Film neben der Schauspielkunst dadurch, dass die Szenerie reine Theaterkulisse aus bemaltem Pappmaschee ist. Dazu zwitschern die Vögel und scheint das frische Licht der Sonne. Eine entspannte und altersweise Arbeit über Mann und Frau und die Ehe hat der über 90-jährige Resnais geschaffen, vielleicht sein Abschiedswerk. Zum lustigen Teil gehörte auch eine rabenschwarze Gaunerkomödie aus Norwegen. Der Titel: "Kraftidioten", der Regisseur - Hans Petter Moland.
    "Kraftidioten"
    Mit seinem gigantischen Schneepflug befreit Nils irgendwo im hohen Norden eine Landstraße von tonnenschweren und meterhohen Schneemassen. Mit den Mördern seines Sohnes samt der Hierarchie der Auftraggeber macht Nils nacheinander kurzen Prozess. Er wickelt die Toten in Maschendraht und wirft sie einen Wasserfall hinab, Trauermusik, eingeblendete Todesanzeige. Am Schluss ist der Drogenboss dran, ein schlanker Anzugtyp, der sich in guten Manieren, Bioernährung und Bildung übt. Letztlich sind die "Kraftidioten" eine blutige Satire über den norwegischen Wohlfahrtsstaat. Der Bandenkriminalität steht eine naive und dümmliche Gesellschaft hilflos gegenüber. Ein noch galligerer Humor steckt im Wettbewerbsbeitrag "Stratos" von Yannis Economides. Die griechische Gesellschaft ist in diesem Genrefilm über einen Auftragsmörder nur noch eine Ansammlung skrupelloser, zynischer, gieriger, geiler, ja ganz und gar amoralischer Familienclans. Wenn ihre Mitglieder reden, können sie nur noch fluchen, brutal, obszön. Ein eigenwilliger, stringent erzählter Thriller.
    Ungleich ausgewogener und sensibel korrekt bis zum Gähnen geht Feo Aladag in ihrem Afghanistan-Spielfilm "Zwischen Welten" vor. Womit wir beim Andante angekommen wären, kurz vor dem Finale der Filmfestspiele. Beinahe nachdenklich begleitet Feo Aladag eine kleine Gruppe deutscher ISAF-Soldaten.
    "Zwischen Welten"
    Die Einheit soll ein afghanisches Dorf unter Führung eines einheimischen Kommandanten schützen. Jesper, der Chef der Deutschen, freundet sich mit dem jungen Tarik an, seinem Übersetzer. In ihren Dialogen wird die kulturelle Kluft deutlich – welche Neuigkeit! Fragen nach Sinn und Unsinn ausländischer Truppen, vor allem nach deren Verantwortung für die afghanischen Helfer werden verhandelt. Regisseurin Feo Aladag in ihrer Pressekonferenz:
    "Ich finde, dass Filme nicht dafür da sind dogmatische Antworten zu geben, sondern im Bestfall Fragen zu stellen und aufzuwerfen."
    So intensiv Feo Aladag den Afghanistan-Einsatz auch befragt, eines jedoch bringt sie nicht in die Diskussion, was etwas feige ist, nämlich die Gründe für den Alliierten-Einsatz, dass unter dem Schutz der tyrannischen Taliban Al-Qaida den globalen Terror ins Werk setzen konnte. Dieser Gedanke fehlt "Zwischen Welten", vor allem aber eine markante künstlerische Handschrift. Zu viele brave Fernsehbilder, zu viel moralisierender Schuldiskurs. In einen Wettbewerb gehört das nicht. Auch nicht in den langsamen Satz. Heute Morgen ging der weiter mit der drögen argentinischen Familienaufstellung "La tercera orilla" von Celina Murga. Hoffentlich hat die Berlinale nicht schon jetzt ihr Pulver verschossen!