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Berliner Branchentreff
Wie man freiberuflich von Literatur leben kann

Etwa 10.000 freie Autoren und Übersetzer sollen in Berlin leben. Doch deren Lebensumstände sind oftmals alles andere gerade rosig. Auf einem Treffen haben etwa 100 von ihnen Zukunftsstrategien diskutiert - gerade die Digitalisierung könnte dabei neue Chancen bieten.

Von Mirko Schwanitz | 05.12.2016
    Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse
    Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    Moritz Malsch: "Was sind die drei Hauptprobleme dieser Leute? Man hat mit Auftraggebern zu tun, die eine deutlich größere Marktmacht haben. Man hat eine sehr hohe fachliche Qualifikation, hat aber nicht zwangsläufig die Qualifikation, sich zu vermarkten, zu präsentieren und Kundenakquise zu betreiben. Das betrifft Autoren, Lektoren und Übersetzer gleichermaßen. Ein Übersetzer arbeitet heute ganz anders als vor 20 Jahren."
    Nicht wegzudiskutieren sei der Trend, dass viele Verlage einst klassische Verlagsaufgaben immer mehr in die freie Szene auslagerten. Die Folgen für viele Berufsfelder beschrieb die Übersetzerin und Herausgeberin der Reihe "Versschmuggel" im Wunderhorn-Verlag, Aurelie Maurine, in einer Diskussionsrunde am eigenen Beispiel:
    "Der Übersetzer wird eigentlich zum versteckten Agenten des Autors. Wenn jemand ein Buch übersetzen will, muss er sich selbst dafür engagieren, die Rechte einholen, eine Probeübersetzung machen, die nicht immer akzeptiert wird. Das heißt, monatelange Arbeit, die nicht honoriert wird."
    Vernetzung wird immer wichtiger
    Angesicht solcher Entwicklungen, da waren sich die weit über 100 Teilnehmer in Berlin einig, würden Veranstaltungen wie der Branchentreff Literatur in Zukunft immer wichtiger. Nicht nur als Plattformen der Vernetzung, sondern vor allem für die Fortbildung, meint die Unternehmensberaterin und Dozentin am Institut für Angewandte Wissenschaften, Andrea Margitics:
    "Der Literaturmarkt ist ein sehr wettbewerbsintensiver Markt. Im letzten Jahr sind 90.000 Titel neu erschienen. Nur ein Bruchteil davon werden Bestseller. Es ist bekannt, dass Kultur- und Literaturschaffende, die freiberuflich sind, ungefähr 20.000 Euro Einnahmen haben. Die meisten, die auch qualitativ hervorragende Werke hervorbringen, hervorragend übersetzen, besitzen aber nicht immer die unternehmerischen Fähigkeiten, die notwendig sind, um die Leserschaft zu erreichen."
    Andrea Margitics empfiehlt der freien Szene, sich selbst Fortbildungstools zu schaffen. Qualifikation im Umgang mit den Instrumenten des Internets biete für freie Autoren oder selbstständige Kulturschaffende eine reale Chance, die oft als Nachteil wahrgenommene Digitalisierung in einen Vorteil zu verwandeln.
    Autoren müssten sich als Dienstleister begreifen
    Voraussetzung dafür sei aber, dass sich Autorinnen und Autoren endlich auch als Dienstleister begriffen, meint Andrea Margitics. Tatsächlich zeigen die Vorreiter der Branche, die sogenannten Selfpublisher, dass sich auch unabhängig von Verlagen durchaus mehr Geld verdienen lässt. Das bestätigt Sabine Zimzinski vom Crowdfunding-Portal Die Höragenten und Expertin für digitales Publizieren:
    "Ich kann mich da immer nur auf die Aussagen von Selfpublishern verlassen oder von freien Autoren, die diese Art von Medien nutzen, wenn die sagen, dass ihre Verkäufe auf zehn, 20 oder gar 25 Prozent gestiegen sind. Da steckt eine völlig neue Industrie dahinter, die durch die Digitalisierung entstanden ist. Das heißt also nicht nur, dass es Lektoren gibt, die jetzt endlich mal eine Chance haben, wirklich an gute Titel ranzukommen oder Coverdesigner, die jetzt einfach auch schöne Cover machen dürfen, sondern dass da wirklich drumrum ein Ökosystem entsteht, wo wir alle noch gar nicht so richtig wissen, was daraus wird."
    Selbstkritisch wurde festgestellt, dass die freie Theaterszene oder freie Filmszene bereits wesentlich vernetzter agiere, als die freie Literaturszene. Am Ende des Branchentreffs waren sich die mehr als 100 Teilnehmer einig, dass es dringend notwendig ist, dass die gesamte freie Kulturszene ein starkes gemeinsames Netzwerk ins Leben rufen sollte – um mehr Marktmacht zu erlangen und Honorare durchzusetzen, die prekäre Lebensverhältnisse selbstständiger Kulturschaffender in ganz Deutschland grundsätzlich ausschließt.