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Berliner Colloquium zur Zeitgeschichte
Historische Wurzeln der amerikanischen Geheimdienste

Von Andreas Beckmann | 30.04.2015
    Kaum etwas entspricht dem Selbstverständnis eines Amerikaners weniger, als in der Krise nach dem Staat zu rufen - und doch tat die große Mehrheit der US-Bürger in den 30er- und 40er-Jahren genau das.
    "Was wir beobachten ist, dass eine uramerikanische Tradition verabschiedet wird, nämlich die Skepsis gegenüber einer starken Bundesregierung. Auf der einen Seite beobachten wir den Ausbau eines sogenannten Welfare State und auf der anderen Seite beobachten wir, natürlich forciert durch den Zweiten Weltkrieg und den beginnenden Kalten Krieg, die Herausbildung eines National Security State."
    Eine Neugründung der USA nennt der Historiker Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung diese Entwicklung zum doppelt starken Staat. Das Selbstbewusstsein der jungen Nation sei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark beschädigt worden.
    "Nach dem Ersten Weltkrieg, dann kommt dieses Desaster der großen Depression, das Ängste ganz anderer Art auslöst, dann der Zweite Weltkrieg. Diese kurze Abfolge von Ausnahmezuständen, innerhalb von 20, 25, 30 Jahren eine Krisensituation, ein Ausnahmezustand nach dem anderen, das ist ein ideales Klima, um Angstvisionen zu züchten."
    Die Amerikaner verloren den Glauben, dass ihnen quasi automatisch die Zukunft gehörte, weil sie doch mit der Kombination aus Demokratie und freier Marktwirtschaft ein Gesellschaftssystem besaßen, das allen anderen Ländern überlegen schien. Franklin Roosevelt, der 1933 Präsident wurde und in zwölf Jahren sowohl den Sozialstaat als auch den Sicherheitsstaat begründete, war angetreten, diese Ängste seiner Landsleute abzubauen, erzählt der Historiker Sean Wilentz von der Princeton University.
    "In seiner Antrittsrede sagte er: Wir müssen nichts fürchten außer der Furcht selbst. Ein Viertel der Amerikaner war arbeitslos, die Menschen hatten das Gefühl, das gesamte Wirtschaftsystem bricht zusammen. Und Roosevelt versprach, der Staat wird diese Katastrophe verhindern."
    "Eines der Schlüsselworte der 30er-Jahre war Sicherheit. Social Security heißt bis heute das Sozialsystem, das Roosevelt mit dem New Deal aufgebaut hat und das neben einer Rentenversicherung auch staatliche Unterstützung für Arbeitslose und für Mütter beinhaltet."
    Darüber hinaus, so der Historiker Nelson Lichtenstein von der University of California, plante Roosevelt aber schon in seinen ersten Amtsjahren auch einen Nationalen Sicherheitsstaat. Er ahnte, dass Hitler einen Weltkrieg entfachen würde, dem sich die USA nicht entziehen könnten. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor sah Roosevelt die Zeit gekommen, nicht nur gegen Japan und Deutschland zu kämpfen, sondern die USA zu einer Weltmacht hochzurüsten, die niemanden mehr zu fürchten brauchte.
    "Seit den 40er-Jahren gehören Soziale Sicherheit und Nationale Sicherheit praktisch zusammen. Nur wenn wir unsere Nationale Sicherheit stärken, können wir unsere Demokratie und unsere sozialen Errungenschaften erhalten. Das ist seither die Losung der Regierung."
    Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs schien dieses doppelte Sicherheitsversprechen erfüllt. Der Rüstungsboom hatte dem Land Vollbeschäftigung beschert und Hitler war besiegt. Aber mit der Sowjetunion stieg eine neue Gegenmacht auf. Die USA mussten sich entscheiden, ob sie mit ihr oder gegen sie die neue Weltordnung gestalten wollten. De facto fiel die Entscheidung auf einem Konvent der Demokratischen Partei 1944. Henry Wallace und Harry Truman konkurrierten um die Vizepräsidentschaft. Da Roosevelt schwer krank war, ahnten alle Delegierten, dass der Vizepräsident bald Präsident werden könnte. Sie entschieden sich für Truman.
    "Wäre Henry Wallace und nicht Harry Truman Präsident der Vereinigten Staaten geworden, da hätte die Geschichte wirklich anders sein können. Wallace war ein wirklich linker Demokrat, man müsste ihn als linken Sozialdemokraten bezeichnen."
    Mit Wallace, erklärt Susan Nieman vom Einstein Forum Potsdam, hätten die USA einen Präsidenten bekommen, der zwar den Sozialstaat weiter ausbauen wollte, aber außenpolitisch auf eine Kooperation mit der Sowjetunion setze. Truman dagegen wollte Stalin mit demonstrativer Stärke entgegen treten. Nach Roosevelts Tod setzte er 1947 den National Security Act durch. Damit wurden zum ersten Mal alle Teilstreitkräfte unter einem Verteidigungsministerium zusammengefasst. Und dem wurden neue Geheimdienste wie die CIA und bald auch die NSA zur Seite gestellt. Truman und alle seine Nachfolger im Weißen Haus verfügen seither über umfangreiche Vollmachten, um überall auf der Welt Gegner auszuspionieren und notfalls zu bekämpfen.
    "Die CIA und all die anderen Geheimdienste kommen mit dem Kalten Krieg so richtig in Schwung und operieren rund um den Globus. Und das wird nicht von den Rechten oder den Konservativen vorangetrieben. Es ist eine Regierung der Linken, der Demokraten, die sagt, wenn nötig müssen wir uns überall einmischen."
    Ihre Bedrohungsängste wurden die Amerikaner dennoch nie los, bilanziert Sean Wilentz. In den Zeiten des Rüstungswettlaufs mit der Sowjetunion war die Furcht vor einer atomaren Konfrontation stets präsent. Ereignisse wie die Chinesische Revolution, der Sputnik-Schock oder die Kuba-Krise versetzten die Öffentlichkeit zusätzlich in Schrecken. Der Sieg im Kalten Krieg wurde von Washington als Triumph des Nationalen Sicherheitsstaats dargestellt. Also blieb er erhalten und seit dem 11. September existiert auch wieder eine Bedrohung, die ihn in den Augen der Mehrheit der Bürger notwendig erscheinen lässt. Amerikas Politik, meint Bernd Greiner, wird wie in den 30er-Jahren immer noch von Angst beherrscht.
    "Die Bürokratie, die mit dem National Security State in die Welt gesetzt wird, die Geheimdienste und die Abschottung dieser Geheimdienste von parlamentarischer Kontrolle, das gehört ja dazu, das ist schon eine Traditionslinie, innerhalb derer sich so eine Organisation wie die NSA entwickeln konnte, mit all ihren Auswüchsen, die wir heute kennen."